Wo beim Warten ein Kraut wächst

Sollten Sie beim Warten das Gras wachsen hören, so stehen Sie entweder am Hard- oder am Albisriederplatz. Auch wenn der Winter Einzug gehalten hat, ist dort nämlich einiges im Busch. Beziehungsweise auf dem Dach. Ein Gespräch mit Bettina Tschander, Grün Stadt Zürich, über die begrünten Wartehallen der VBZ.

Die Blüten sind blass und welk, die Blätter gefallen. Unsere Stadtnatur hat den Wintermantel übergezogen. Doch auch wenn die Pflanzen an diesen kühlen Tagen ein dürres Gesicht zeigen, ist das nächste grosse Erwachen bereits unter Dach und Fach. Oder vielmehr darauf – zumindest an zwei VBZ-Haltestellen. Jene am Hardplatz trägt schon seit 26. August einen grünen Hut in Form von Pflanzentrögen, deren Inhalt im kommenden Frühling austreiben wird. Aber auch am Albisriederplatz ist man Anfang Dezember auf einen grünen Zweig gekommen.

Bettina Tschander, stellvertretende Leiterin des Fachbereichs «Naturschutz» bei Grün Stadt Zürich, hat uns in einem Gespräch Details zu den blühenden Wartehäuschen verraten. Sie berät im Rahmen des Projekts «Mehr als Grün» von Grün Stadt Zürich Private und Unternehmen, die ihre Flachdächer nachträglich begrünen wollen oder Rahmen eines Bauvorhabens eine Begrünungsauflage erhalten. So auch die VBZ, welche zwei Haltestellen zu einer Art multifunktionalem Blumentopf herausgeputzt haben (siehe dazu den Artikel «Begrünte Haltestellen» vom 26. August).

Am 26. August erhielt die Haltestelle am Hardplatz eine neue Frisur. (Bild: VBZ)

Der Grundgedanke des Pilotprojekts wurzelt in grösseren Flächen der VBZ: Den Dächern der Zentralwerkstatt in Altstetten und dem Depot Wollishofen sowie auf den Tramtrassen, die sich schon länger in sattem Grün zeigen. Nun haben die VBZ auch die Wartehallen ins Visier genommen: Wird Hundertwassers Traum von Bäumen auf den Dächern nun an Zürichs Haltestellen Realität? Wohl eher nicht: Selbst wenn sich der einjährige Pilot bewähren sollte, sind der Wuchsfreudigkeit der Flora Grenzen gesetzt. Die neun Zentimeter dicke Substratschicht erlaubt lediglich niedrigwachsende Arten mit einer Höhe von maximal 20 Zentimetern.

Schwerwiegende Fragen waren zu klären

Wer nämlich glaubt, das Bepflanzen einer Wartehalle sei so einfach, wie Blumenschalen auf den Balkon zu stellen, irrt sich. Wir wollen nicht hinter dem Busch halten, dass es den Fachleuten von Grün Stadt Zürich und den VBZ ebenso erging: «Zunächst dachte man, man könne einfach das Glas mit den Pflanztrögen ersetzen. Aber dann zeigte sich, dass die Tröge zu schwer für die Haltestelle würden», erinnert sich Tschander. Kleiner ist nicht immer einfacher: Die Haltestellendächer hätten das Team von Grün Stadt Zürich gefordert, gerade wegen der speziellen Anforderungen, meint sie: «Wir sind in dieses Projekt viel stärker eingestiegen als üblich und wurden selber fast zu Planern. Es war eine spezielle Erfahrung, eine Herausforderung – aber eine Spannende!»

Um dem Übergewicht Herr zu werden, haben die VBZ die Haltestellen verstärkt. Damit beträgt das Maximalgewicht 130 Kilogramm pro Quadratmeter, was noch immer nicht sehr viel ist. «Nebst der Erde und den Pflanzen muss auch das Wasser miteinberechnet werden, ja im Winter sogar der Schnee», erklärt Bettina Tschander. Dennoch mussten gute Bedingungen für das Wachstum geschaffen werden, was vor allem genügend Wasser bedeutet, wie die Projektleiterin berichtet: «Wir haben vier verschiedene Systeme eingesetzt, die sich einerseits im Substrat und andererseits in der Art unterscheiden, wie das Wasser zurückgehalten wird.»

Eine neun Zentimeter dicke Substratschicht ist nicht viel, trägt aber dennoch zu einem beachtlichen Gewicht bei. (Bild: VBZ)

Ziel dieser unterschiedlichen Systeme ist es, während des Testjahrs die beste Methode zu ergründen, um danach ein vereinfachtes und standardisiertes Vorgehen festlegen zu können. Lochblech, Drainageplatten, ja gar ein Vlies mit textilen Einsätzen – die innovative Idee eines Dachbegrünungs-Experten einer privaten Firma – wurden eingesetzt. Besagtes Vlies könne Wasser aufsaugen und den Pflanzen zur Verfügung stellen, was diese weniger schnell austrocknen lasse, so Tschander.

Ein Festessen für Bienen und Hummeln

Aber kommen wir zum eigentlich Wichtigen, nämlich den grünen Sprösslingen. Wie gesagt handelt es sich um niedrigwüchsige Pflanzen: Eine Standardmischung verschiedener Samen namens «UFA-Dachkräuter-17» verleiht den Wartehallen ihre neue Frisur. Auch anderswo im städtischen Raum hat sich diese Zusammensetzung bewährt.

Das Saatgut würde nicht nur einer Haltestelle, sondern ebenso einem Salat die nötige Würze zu verleihen. So finden sich darin Schnittlauch, Thymian und Salbei, ja sogar Erdbeeren. Eine Kennerin heimischer Wildpflanzen könnte darin manch eine Heilpflanze entdecken. Trotzdem hat das Verkehrsunternehmen weder die Absicht, die Mittagsmenüs ihrer Mitarbeitenden zu optimieren, noch eine Apotheke zu eröffnen. Die Zielgruppe der kostbaren Fracht auf dem Dach ist klein und summt, kurzum: Begrünte Dächer sind ein Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität, die gewählten Pflanzen vor allem bei Insekten und insbesondere Bienen und Hummeln beliebt. Der Klima- und Insektenschutz sei denn auch das Ziel des Projekts, hält Tschander fest: «Es gibt eine Studie über die Bedeutung von Kleinflächen zur Förderung der Biodiversität. Diese geht davon aus, dass Flächen ab 4 Quadratmeter mit mindestens zehn Arten in diesem Sinne interessant sein können – die Haltestellen sind sogar grösser.»

Nebst diesem Anspruch besteht vor allem ein solcher an die Anspruchslosigkeit der Flora. Wie alle Pflanzen in Höhenlagen müssen auch diese hier gewisse Unannehmlichkeiten aushalten können, sei es in Form längerer Trockenperioden oder anhaltender Regengüsse, Wind, Sonne, Hagel. «Wichtig für Pflanzen im städtischen Raum ist vor allem, dass sie an den Standort und die hiesigen Verhältnisse angepasst sind. Aus diesem Grund enthält die Mischung nur Saatgut, das genetisch regionalen Ursprungs und an unser Klima angepasst ist und ausserdem mit der dünnen Substratschicht auskommt», betont Tschander. Auf den 52 Quadratmetern Fläche reihen sich nun über 40 verschiedene Pflanzenarten aneinander, dennoch «werden wohl nicht alle aufkeimen», mutmasst die Biologin und Raumplanerin. Immerhin: Damit die Dächer zu Beginn dennoch nicht trostlos aussehen, seien auch einige Setzlinge gepflanzt worden.

Abwarten und (Kräuter-)Tee trinken

Natürlich ist es mit der Montage der Pflanztröge nicht getan. «Es wird eine wichtige Aufgabe des Pilotprojekts sein, zu prüfen, wie der Unterhalt in einem sinnvollen Verhältnis von Aufwand und Ertrag sichergestellt werden kann.» Zwar werden die Gewächse weitgehend sich selbst überlassen. Trotzdem oder gerade deswegen finden Kontrollen statt, damit die technischen Anlagen nicht unter dem Dickicht verschwinden. Ebenso müssen unerwünschte Neophyten in die Schranken gewiesen werden. Klingt einfach, jedoch ist das Dach nicht so ohne weiteres begehbar und gewisse Stellen sind schwer zu erreichen.

Was für die Wartehallen freiwillig geschah, ist für grössere Gebäude schon seit 1991 in der Bau- und Zonenordnung der Stadt Zürich verwurzelt: Flachdächer sind zu begrünen, so sie nicht als Terrassen genutzt werden. «Unterdessen hat die Dachbegrünung durch diese Bauvorschrift eine Breitenwirkung erfahren. Seit 2015 gilt es, ökologisch wertvoll zu begrünen», meint die Naturschützerin, und ergänzt: «Es gibt viel mehr begrünte Flächen als noch vor zehn Jahren, auch konnte die Qualität gesteigert werden.» Die Anforderungen auf regulären Gebäuden sind etwas grösser: Nebst einem Minimum von zehn Zentimetern Substrat sollen auch Hügel eingebaut werden: Diese bleiben länger feucht und bieten einen Raum, wo Pflanzen und längerfristig Kleintiere überleben können – die dann wieder die übrige Dachbegrünung besiedeln. Auch in Zukunft sollen die Dächer weiter spriessen: Für die kommenden zehn Jahre hat Grün Stadt Zürich Gelder in der Höhe von fünf Millionen Franken vorm Gemeinderat bewilligt erhalten zur ökologischen Aufwertung privater Grünflächen und zur Umwandlung von Kiesdächern in Gründächer, unabhängig von einem Bauvorhaben: Damit lassen sich etwa 20 Dachobjekte pro Jahr fördern.

Der Pflanzaktion auf den Wartehallen folgt nun die Beobachtungsphase: «Die VBZ behalten die Reaktion der Kunden im Auge und wir die Pflanzen», kündigt Tschander an. Die Biologin hofft, dass es nicht bei einem einmaligen Versuch bleiben wird: «Die Haltestellenbegrünung ist vor allem deshalb interessant, weil sie gut sichtbar ist und der Bevölkerung so das Thema näher bringt.» Gleichzeitig sei aber auch im Hinblick auf das Klima und die Hitzeminderung wichtig, dass weitere Projekte florieren. Sollte das Modell der Haltestellendächer Schule machen, könnte dieses vielleicht auch für andere kleinere Objekte wie Velohäuschen in Betracht gezogen werden. Ganz Zürich ein blühender Garten also? Der erste Samen ist gesät.

Weitere Infos und Bilder:
Grüne Haltestellendächer mitten in der Stadt

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