Die VBZ-Linien sind Zürichs Lebensadern. Schnurgerade oder mit Ecken und Kurven verlaufen sie kreuz und quer durch die ganze Stadt. Dabei hat jede dieser Linien ihren Charakter, der geprägt ist von den Fahrgästen und der Strecke. In einer losen Serie gehen wir ihren Persönlichkeiten auf den Grund. Diesmal: Die Tramlinie 14.
«Die Linie 14, naturverbunden?» mögen Sie ob des obigen Titels vielleicht zweifelnd fragen und einwenden, besagte Tramlinie starte doch an der stark befahrenen Schaffhauserstrasse im überbauten Seebach und führe – von Natur keine Spur – mitten durch die Stadt, um schliesslich im von Wohnsiedlungen und Spitalgebäuden geprägten Triemli zu enden. Aber sehen Sie, eventuell arbeiten Sie ja auch der Stadt, was nicht ausschliesst, dass Sie naturverbunden sind. Denn letztlich geht es bei all den Adjektiven, die uns beschreiben, doch um das, was uns im Innersten ausmacht, ja was wir uns sehnlichst wünschen. Wenn man es so betrachtet, kann man die buchstäbliche Natur der Linie 14 deutlich erkennen: Seebach beispielsweise! Nicht nur ein Bach, sondern gleichzeitig ein See – Ausdruck der Sehnsucht nach einem Naherholungsgebiet, das schöner nicht sein könnte.
Tatsächlich bietet Seebach mit seinem Katzenbach (Sie sehen, schon wieder ein Bach!) auch Naherholung. Vielleicht nicht unmittelbar am Seebacherplatz, wo das Tram in die Wendeschleife einfährt. Als die Tramlinie im Jahr 1931 eingeführt wurde, dürfte der Platz jedoch noch deutlich anders ausgesehen haben als heute. Sehen Sie sich das Bild von Seebach anno 1931 an: Welche Idylle!
Starten wir unseren Weg den Gleisen entlang in Richtung der entgegengesetzten Endhaltestelle, so führt die Tramfahrt in Gedanken über einen steinigen Felsenrain, in Wahrheit natürlich nach Oerlikon, wo wir beim Sternen unseren Blick gen Himmel erheben, um abzuschätzen, wo sich am Firmament der Polarstern befindet. Kurz vor dem Milchbuck – der Bedeutung des Namens nach ein Geländebuckel mit einem den Milchertrag fördernden Graswuchs – erspähen wir bei der Hirschwiesenstrasse vielleicht gar einen Hirsch in den Wiesen und rufen: «Gugg! Ach… schon ist er wieder weg».
Nun beginnt allmählich der Abstieg in die Stadt: Am Schaffhauserplatz stellen wir uns vor, wir sässen in einem Boot mit Blick auf den grössten Wasserfall Europas – der Krone aller Wasserfälle gewäss… äh gewissermassen, in dessen Becken wir in der Beckenhofstrasse noch immer schaukeln, um schliesslich in den Stampfenbach(platz) einzuwassern.
Obschon mitten in der Innenstadt angekommen, mag die Tramlinie 14 ihrer Liebe zum Element des Wassers noch nicht ganz entsagen. Nach einem kurzen Exkurs über den Bahnhof, bei dem sie stolz wie ein Löwe einmal kurz brüllt beziehungsweise klingelt, überquert sie den nächsten Fluss – diesmal nicht nur metaphorisch –, die Sihl. Nur folgerichtig hält sie kurz nach dem Stauffacher bei der Werd, wobei «Werd» nichts anderes bedeutet, als ein von Wasser beziehungsweise mehreren Flussarmen umgebenes Stück Land.
Nach all diesen Flüssen und Bächen könnte man doch glatt den alten ZVV-Slogan bemühen, der da sagt: «Ich bin auch ein Schiff». Doch spätestens beim Goldbrunnenplatz endet das metaphorische Plätschern. Nun breiten sich wieder Talwiesen vor unseren Tramfenstern aus, ebenso ein Heuried. Die Schaufelbergerstrasse ist nicht nach einem Berg benannt, sondern nach dem Sekundarlehrer Albert Schaufelberger, der ein Förderer des Natur- und Heimatschutzes gewesen sein soll. Fast wie unsere Linie 14. Die nun ihr Ziel erreicht, das Triemli. Dort, am Fusse des Uetlibergs, standen freilich nicht immer Spitäler. Anfangs der Sechziger Jahre soll sich dort noch eine Brache befunden haben, ebenso sprudelt laut Tagblatt am Triemli Quellwasser für die Wasserversorgung.
So wie das Wasser, ist auch unser Tram einem ewigen Kreislauf unterworfen und macht bald wieder kehrt, um im Verkehrsfluss zurück zur Quelle seiner Reise, dem Seebach, zurückzukehren.