Zwei VBZ-Ingenieure besuchten die Verkehrsbetriebe im rumänischen Cluj-Napoca. Dort läuft zwar manches noch nicht digital, aber viel moderner als gedacht.
«Dass Fahrgäste ihre Tickets per SMS lösen und im Bus ein kostenfreies WLAN nutzen, hat uns dann doch etwas überrascht», wundern sich Dominic Hink, Fachleiter Engineering Elektrotechnik, und Christian Wrubel, Werkstattleiter, auch noch einige Zeit nach ihrem Besuch Anfang Juli bei den Verkehrsbetrieben in Cluj-Napoca.
Weniger überrascht hingegen waren sie, dass die Mitarbeitenden stolz sind auf ihr knappes Dutzend eBusse, das seit Mitte Juni auf bislang vier Linien zwischen je 6,6 und 17,2 km fährt. Zwölf weitere Batteriebusse sollen im Dezember 2018 folgen. Deren Beschaffung und Einsatz sind denn auch der Grund eines Besuches, für den die VBZ-Ingenieure im Auftrag des SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft) in die osteuropäische Stadt reisten. Mit im Rucksack: viele Ideen, Fachwissen und Neugier. «Wir hoffen, dass der Austausch mit Compania de Transport Public Cluj Napoca SA (CTP) neue Erfahrungen bringt, die allenfalls auch in die Umsetzung der eBus-Strategie bei den VBZ einfliessen können», so der Besuch aus der Schweiz.
In Draculas Heimat
Mit rund 300‘000 Menschen ist Cluj-Napoca die zweitgrösste Stadt des Landes. Im Nordwesten Rumäniens gelegen, gehört sie zur Region Transsilvanien. Die Strassenschilder sind oft zweisprachig – auf rumänisch und deutsch –, denn seit dem zwölften Jahrhundert leben hier die Siebenbürger Sachsen. So heisst Transsilvanien auch Siebenbürgen, und viele Orte haben deutsche Namen, wie Cluj gleich Klausenburg. Dracula, Vampir und Hauptfigur zahlreicher Geschichten, soll in dieser Gegend sein Unwesen getrieben haben.
Heute strebt Cluj-Napoca eine nachhaltige kommunale Energiepolitik an, auch im Bereich Mobilität. Das zeigt der Kauf der 23 Elektrobusse, für die sich die städtischen Verkehrsbetriebe CTP entschieden haben. Die Schweiz unterstützt dieses Projekt im Rahmen eines Programms, das auf dem Schweizer Energiestadtkonzept basiert.
Unterwegs mit dem «Bus of the Year 2017»
«Das Hauptziel des Pilots ist die Ablösung alter Dieselfahrzeuge und die Reduktion von CO2-Emissionen. Zudem ermöglicht der Einsatz von eBussen eine höhere Flexibilität bei Änderungen der Linienführung», so Dominic Hink. «Am ersten Tag wurden wir in der Stadthalle durch den Direktor von CTP und durch das ganze Projektteam der Beschaffung herzlich empfangen. Wir konnten Busse und Ladestationen in der Busgarage Gheorgheni besichtigen und eine Probefahrt unternehmen. Und auch die nächsten Tage waren mit technischen Diskussionen und weiteren Besichtigungen ausgefüllt», ergänzt Christian Wrubel.
«Im Vorfeld wurden umfangreiche Simulationen, jedoch kein Testbetrieb, durchgeführt. Das Risiko, ohne praktische Erfahrung 23 eBusse auf einmal zu beschaffen, ist aus unserer Sicht hoch.»
Dominic Hink
Bisher sind 249 Busse, davon 105 Trolleybusse sowie zehn Kleinbusse und 27 Trams in Cluj-Napoca unterwegs. Mit den neuen «Solaris Urbino 12 electric» wird die Flotte durch rein elektrisch betriebene Batterie-Linienbusse in Niederflurbauweise ergänzt. Das Fahrzeug der polnischen Firma Solaris wurde 2016 an der internationalen Automobil-Ausstellung in Hannover als «Bus of the Year 2017» gekürt und ist u.a. in Oslo, Berlin, Hamburg oder Krakau im Einsatz.
Wartung und Ladung
Rund 140 km können die eBusse fahren. Bei einem Ladezustand von weniger als 70% werden die Batterien im Schnellade-Verfahren an den Endhaltestellen mittels Pantograf auf dem Fahrzeugdach geladen. «In acht bis zehn Minuten wird damit die Reichweite um etwa 20 bis 25 km erweitert. Dafür stehen an drei Standorten insgesamt elf Standard-Ladestationen (40 kW) und drei Schnellladestationen (230 kW) zur Verfügung», berichtet ein Mitarbeiter von CTP. «Nach Betriebsschluss startet der Chauffeur den normalen Ladevorgang, der je nach Entladetiefe bis zu sechs Stunden dauert.»
Der Wartungsaufwand ist aufgrund der Traktionsbatterie geringer im Vergleich zu Dieselbussen. «Es entfallen viele Unterhaltsarbeiten, wie das Ersetzen des Keilriemens, die Säuberung der Wasserpumpe oder der Ölwechsel am Motor. Speziell ist, dass die Busse auch im Winter draussen stehen, obwohl dies für Traktionsbatterien nicht optimal ist», staunt Christian Wrubel.
Kameras, Echtzeitinformationen und Improvisationstalent
Die Infrastruktur der Werkstatt entspricht einem modernen osteuropäischen Standard. Grössere Karrosseriearbeiten führt ein externer Partner aus. Nach Vorschrift sind überall Kameras installiert. Die Aufnahmen werden bei einem Arbeitsunfall zur Ursachenklärung beigezogen.
Von einer Werkstatt im digitalen Zeitalter ist die Trolleybus-Werkstatt Gheorgheni dann doch noch etwas entfernt. Deshalb empfehlen die beiden Schweizer Besucher, in Zukunft das Augenmerk auf die Digitalisierung der Werkstattprozesse zu legen und neue Kommunikationswege zu etablieren. «Zudem sollten alle Mitarbeitenden u.a. im Bereich Batterietechnik Kompetenzen aufbauen und Nachwuchs ausgebildet werden», so Christian Wrubel. Reparaturarbeiten müssten zudem besser dokumentiert werden und Erfahrungen in die weitere Produktentwicklung einfliessen.
Gleichzeitig ist CTP in vielen Bereichen modern: «Wartende Fahrgäste werden an den Haltestellen über Abfahrtsanzeiger mit Echtzeitinformationen zum Fahrplan versorgt. Überrascht hat uns auch, dass es an und in den Fahrzeugen keine Werbung gibt», staunten Christian Wrubel und Dominic Hink. Auffällig ist auch das Improvisationstalent der Mitarbeitenden. So werden noch intakte Teile aus alten Bussen als Ersatzteile weiter verwendet.
Recycling, Umweltbilanz, neue Ladestationen – wie geht es weiter?Die notwendige Finanzierung für Austauschbatterien bzw. für das Recycling der Altbatterien ist derzeit noch ungeklärt. Zudem möchte CTP verschiedene Szenarien für den Einsatz von Second-Life Traktionsbatterien unter den Aspekten Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit prüfen. «Wir empfehlen, relevante Betriebsdaten wie den Energieverbrauch der Traktion, der Heizung oder auch die Aussentemperaturen periodisch zu erfassen und auszuwerten, damit diese Daten für die Optimierung des Betriebes und die Auswahl neuer Technologien zur Verfügung stehen.»
«Die Stadt Cluj-Napoca geht in die richtige Richtung. Die Reduktion der Schadstoffemissionen im Stadtverkehr leistet einen Beitrag zum Klimaschutz und steigert die Lebensqualität in der Stadt.» Christian Wrubel
Für die beiden Ingenieure brachte der Besuch neue Impulse: «Wir konnten wertvolle Kontakte knüpfen und erhielten einen spannenden Einblick in ein osteuropäisches Verkehrsunternehmen.» Und – vielleicht steht bald ein Gegenbesuch bei den VBZ an.
Schweizer Energiestadtkonzept
Die Schweiz unterstützt zahlreiche europäische Gemeinden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiepolitik. Dazu gehören der Aufbau eines Trägervereins „Energiestadt Rumänien“ sowie die Umsetzung von neun energierelevanten Infrastrukturprojekten in vier ausgewählten rumänischen Städten. Dauer: 2014-2019. Mehr dazu hier.