Die Zeit wird reif

Affoltern und der ÖV – das war in früheren Jahren vor allem eine Geschichte misslungener Bestrebungen. Beim Bus brauchte es 5 Anläufe und 27 Jahre, bis eine einigermassen befriedigende Lösung realisiert werden konnte. Die Affoltemer Tramidee ist noch viel älter. Bereits vor 122 Jahren gab es den ersten Anlauf, dann war das Thema 50 Jahre lang ein Dauerbrenner. Insgesamt 4 Konzessionsgesuche wurden eingereicht, ehe eine längerdauernde Funkstille einkehrte. Einmal war das Tram Affoltern sogar Realität – allerdings nur auf den Trambilletten.

Bettelarme Gemeinde

Kurioserweise hiess das einstige Bauerndorf im Furttal ursprünglich «Affoltern bei Höngg»; es gehörte halt lange Zeit zur Grosspfarrei Höngg. 1896 wurde es umgetauft und hiess nun offiziell «Affoltern b. Zürich». Es waren vor allem Arbeiter, die nach Affoltern zogen; sie verdienten ihr Brot in Oerlikon oder Zürich und brachten kaum Steuern ein. Die Gutsituierten waren rar. Daher fehlte stets das Geld und die Einrichtung eines öffentlichen Verkehrsmittels war eine steinige Sache. Mit der Eingemeindung 1934 wurde Affoltern Teil der Stadt, verlor seine Eigenständigkeit, aber auch seine finanziellen Probleme.
Einen Bahnhof gab es zwar schon, die Verbindungen waren indes miserabel. 1905 verkehrten beispielsweise nur gerade fünf Züge in jede Richtung; wer den 9-Uhr-52-Zug verpasste, musste bis 13.29 Uhr auf den nächsten warten und für die Heimkehrer fuhr um 18.45 Uhr der letzte Zug. Schon früh bemühten sich die Affoltemer um einen Tramanschluss. 1897 fand im Restaurant Grünau eine erste Zusammenkunft interessierter Bürger statt. Damit begann die unendliche Geschichte.

1903, 1910, 1928: Platzhirsch ZOS erwirbt Konzessionen

Nägel mit Köpfen machte die Strassenbahn Zürich–Oerlikon–Seebach (ZOS). Das private Unternehmen beherrschte und verteidigte das Feld in Zürich Nord. 1903 reichte es ein Konzessionsgesuch ein für eine Tram-Querverbindung von Wallisellen über Schwamendingen–Oerlikon–Affoltern nach Regensdorf. Nicht zuletzt waren taktische Gründe die Motivation für das Konzessionsbegehren, das Unternehmen wollte allfälligen Konkurrenten zuvorkommen. Die Konzession wurde erteilt, gebaut wurde allerdings nur das Teilstück Schwamendingen–Oerlikon. Für die Strecke nach Affoltern war der Übergang über die SBB-Gleise beim Bahnhof Oerlikon problematisch, denn die Regensbergbrücke bestand damals noch nicht. Daher wurde dieser Projektteil zurückgestellt.

1910 erfolgte ein erneuter Anlauf. Das ursprüngliche Projekt wurde abgeändert. Nun wurde Affoltern zum Endpunkt. Auf der gegenüberliegenden Seite sollte die Linie nach Dübendorf führen, um dem dortigen Flugplatz einen Tramanschluss zu bieten. Ganz uneigennützig war die ZOS nicht, zwar hätte sie sich am Bau beteiligt, aber nur, wenn auch lokale Geldgeber ihren Beitrag geleistet hätten. Trotz wiederholten Anläufen gelang das in Affoltern nie. Ein letzter vielversprechender Versuch scheiterte 1926, als von den geforderten 200 000 Franken Aktienzeichnungen nur 175 000 Franken zusammenkamen.

1928 kam dann noch eine abgespeckte Version aus dem Hause ZOS aufs Tapet: eine Tramlinie bis Neuaffoltern. Die Weiterführung nach Westen sah man nicht vor. Die anschliessende Wehntalerstrasse erachtete man als zu schmal, als dass man hier Tramschienen hätte einbauen können. Der Plan war nur das Anhängsel eines andern Projektes: eine Tramlinie durch die Hofwiesenstrasse Richtung Stadt. Damit reagierte die ZOS auf die Pläne der Städtischen Strassenbahn, die ebenfalls nach Oerlikon vorrücken wollte. Die Sache ging wie folgt aus: Die Städtische Strassenbahn erhielt die Konzession und baute 1930 die Linie. Die ZOS wurde ein Jahr später durch die Stadt aufgekauft. Auf die Stichlinie nach Neuaffoltern wurde verzichtet.

1905: Zwei Monate lang Autobus-Probefahrten

Parallel zu den Tramplänen wurde die Erschliessung Affolterns mit dem Bus angestrebt. Im April 1905 sprang die Schweizerische Automobil-Betriebsgesellschaft in die Bresche und nahm vom Milchbuck über Affoltern nach Regensdorf einen Probebetrieb auf. Das Unternehmen, ein Jahr zuvor gegründet, hatte ein interessantes Geschäftsmodell. In verschiedenen Landesgegenden schickte es Autobusse auf Probefahrt. Ziel war es, lokale Investoren zu gewinnen und mit ihrer Hilfe Tochtergesellschaften zu gründen. Die Automobil-Betriebsgesellschaft hätte Logistik und Abrechnung besorgt, Fahrpläne und Betriebsvorschriften nach einem einheitlichen Schema ausgearbeitet, wäre – etwa bei Wagendefekten oder Grossanlässen – mit eigenen Wagen eingesprungen und hätte einen eigene Reparaturwerkstätte für die Wagen aller Tochtergesellschaften eingerichtet.

Die Probefahrten im Furttal wurden von Pech verfolgt. Drei Wochen nach Betriebsaufnahme verunglückte der Wagen beim Katzensee. Wie die Medien berichteten, hatte der Chauffeur das Steuer dem Kondukteur überlassen, welcher auf der frisch gekiesten Strasse die Herrschaft über den Wagen verlor. Der Bus prallte gegen einen Baum, stürzte ein drei Meter hohes Bord hinunter und landete im Sumpf. Der Wagen wurde arg demoliert, der Kondukteur verletzt. Zur Bergung musste der Wagenkasten vom Fahrgestell getrennt werden. Vier Pferde waren nötig, das Fahrzeug wieder auf die Strasse hinaufzuziehen. Am 5. Juni wurde der Betrieb eingestellt. Nicht wegen des Unglücks, sondern weil es nicht gelang, in Affoltern und Umgebung Geldgeber für einen dauernden Betrieb zu finden. Auch die Automobil-Betriebsgesellschaft hatte letztlich keinen Erfolg. 1909 wurde sie liquidiert.

1910–1914: Regelmässiger Autobusbetrieb

Es war Jakob Egli, Metzger und Wirt «zum Löwen», der im Mai 1910 mit Unterstützung einer Handvoll Affoltemer Persönlichkeiten einen Autobusbetrieb Milchbuck–Affoltern aufzog. Als Kursfahrzeug wurde ein Autobus der Albisrieder Firma Arbenz eingesetzt. Auch ein Reservewagen stand bereit und für alle Fälle schloss Egli mit zwei lokalen Fuhrhaltern eine Vereinbarung ab, um bei einem Ausfall beider Wagen einen Ersatzdienst mit Ross und Wagen aufzuziehen. Im August gleichen Jahres wurde eine Aktiengesellschaft gegründet. Egli übergab ihr die Konzession und trat ins zweite Glied zurück. Die ZOS beteiligte sich am Aktienkapital und stellte den Verwaltungsratspräsidenten. Guido Meyer hiess dieser Mann, einer der wohl verrücktesten Tramdirektoren aller Zeiten. Er lancierte Tram- und Bus-Projekte am laufenden Band und sammelte Direktorenposten wie andere Leute Verwaltungsratsmandate. Vom ZOS-Direktorenposten offensichtlich krass unterfordert, amtete er nebenbei bei insgesamt neun weiteren Unternehmen als Direktor, von der Dampfschiffgesellschaft Zugersee über die Uetlibergbahn bis zur Südostbahn.

Der Busbetrieb war zunächst ein Erfolg, man schaffte sogar einen neuen Saurer-Bus an. Nach dem Anfangshoch folgte die Talfahrt. 1913 sackten die Frequenzzahlen von 51 067 auf 41 664 Personen ab, während die Betriebsausgaben auf schmerzlich hohem Niveau verharrten. Im Januar 1914 erlitt der Kurswagen einen Defekt. Zu allem Unglück war auch der Reservewagen in Reparatur. Weil die Gesellschaft für einen Ersatzbetrieb kein Geld locker machen konnte, wurde der Betrieb während sechs Tagen eingestellt, was eine Rüge der Aufsichtsbehörde nach sich zog. Als die Aktionäre im Juni 1914 zur GV eingeladen wurden, um über die Zukunft zu beraten, war die Versammlung nicht beschlussfähig. Konsterniert verfügte der Verwaltungsrat die Einstellung des Betriebes. Die Gesellschaft war bankrott. Die Aktionäre verloren einen Grossteil ihres Einsatzes. Von ihren 3000 Franken musste sich die ZOS 2295 Franken ans Bein streichen. Die Zeit war einfach noch nicht reif für den Autobus.

1925: Anlauf 3 und 4

Der Affoltemer Garagist Fritz Frei wagte gut zehn Jahre später einen neuen Versuch. Anfangs war auch ein Compagnon an Bord, der Mechaniker Albert Schwarber. Im Mai 1925 pendelte der Bus ohne festen Fahrplan hin und her. Dann wurde das Duo darauf aufmerksam gemacht, dass es für ein solches Unterfangen eine Konzession brauche. Erschreckt stellten sie den Betrieb sofort ein und bemühten sich um eine Konzession, die sie prompt erhielten. Ab Dezember 1925 zogen sie einen fahrplanmässigen Betrieb zwischen Affoltern und Milchbuck auf; bei Bedarf wurden auch Fahrten zum Katzensee ausgeführt.

Genau in diesem Moment funkte der bereits erwähnte Guido Meyer dazwischen. Er beauftragte die Zürcher Firma Jenny, ab Oerlikon nach Affoltern einen Probe-Busbetrieb mit einem Dreiachserbus einzurichten. Es gab keinen festen Fahrplan, der Bus fuhr hauptsächlich zu den Hauptverkehrszeiten. Die ZOS gab kombinierte Billette Tram/Bus aus; eine Fahrt vom Central bis Affoltern kostete 70 Rappen: In Verbindung mit dem Bus von Frei kostete die gleiche Strecke 1 Franken. Gegen die unerwartete Konkurrenz wehrten sich Frei und Schwarber energisch, erhielten Unterstützung von politischer Seite, worauf Meyer seinen Probebetrieb nach gut zehn Tagen beendete, sich aber nicht geschlagen gab. Knapp ein Jahr später strengte er Konzessionen für Buslinien nach Regensdorf, Kloten, Dübendorf und Wallisellen an, mit dem Hintergedanken, eine kantonale Automobilgesellschaft zu gründen.

Frei führte nebenbei eine kleine Garage mit Tankstelle und kam mit seinem Busbetrieb mehr schlecht als recht über die Runden. Er beschäftigte im Fahrdienst und als Reparateure drei Mitarbeiter, musste sich aber nicht selten selbst ans Steuer setzen. Seine Frau besorgte die Buchhaltung und wenn Not am Mann war, übernahm sie auch mal den Kondukteurdienst. Obwohl Freis Pionierleistung allgemein anerkannt wurde, konnte sein Familienbetrieb auf die Dauer nicht konkurrieren. Bevölkerung und Politik forderten häufigere Fahrten und tiefere Taxen.

1932: Städtischer Busbetrieb

Nach Ablauf von Freis Konzession 1932 war der Autobusbetrieb der Städtischen Strassenbahn zur Stelle. Frei erhielt eine Entschädigung, deren Höhe ihn freilich nicht glücklich stimmte. Seine Fahrzeuge mochte die Stadt nicht übernehmen, sie seien für den Stadtverkehr nicht geeignet. Auch das Personal wurde nicht übernommen. Von den drei Mitarbeitern war der eine mit 39 zu alt, der andere mit 22½ zu jung und der dritte hatte das Schweizer Bürgerrecht nicht. Die Stadt hatte damals rigorose Anforderungsbedingungen: Nur Schweizer zwischen 25 und 30 Jahren hatten eine Chance.
Am 16. September 1932 fuhr der erste Bus der Linie D nach Affoltern. Nun verkehrten 41 Kurspaare, statt 17. Der Fahrpreis in die Stadt ermässigte sich um die Hälfte. Der Freudentag war vor allem ein Fest für die Affoltemer Schuljugend. Sie kam in Genuss eines schulfreien Freitagnachmittags, einer Ausfahrt im blau-weissen Bus und einem Zvieri am Katzensee. 1950 kam ab Bucheggplatz eine zweite Buslinie hinzu (Linie M, dann 64, dann 74, heute 32 und Vorläuferin der geplanten Tramlinie).

1946–1950: Ausser Spesen …

Im Zweiten Weltkrieg hatten die tramlosen Quartiere besonders zu leiden. Der Treibstoffmangel zwang zu Einschränkungen im Autobusbetrieb. Zeitweise wurde an Sonntagen der Autobusbetrieb ganz eingestellt. Betroffen waren vor allem die bevölkerungsreichen Quartiere Schwamendingen und Affoltern. Nach dem Krieg nahm der Verkehr rapid zu. Daher tauchte die Idee der Tramerschliessung für die beiden Quartiere auf.  Zunächst war die Sache unbestritten. Der Stadtrat stand voll dahinter, als 1946 ein Konzessionsgesuch eingereicht wurde. Die Pläne für den Strassenausbau mit Tramgleisen wurden ausgearbeitet. Im Gegensatz zu früheren Projekten wurde die Doppelspur vorgesehen und für Affoltern eine Anbindung an die Stadt, direkt über die Wehntalerstrasse Richtung Bucheggplatz gesucht. Auf den Trambilletten wurde die Strecke bis Neuaffoltern bereits eingezeichnet.

Dann schlug die Stimmung um. In der Bevölkerung und auch in der Politik regte sich Widerstand und es entbrannte ein regelrechter Glaubenskrieg «Tram oder Trolleybus». Denn der mit einheimischer Energie betriebene Trolleybus war für viele das Transportmittel der Zukunft. Der freisinnige Gemeinderat und Quartiervereinspräsident Georg Kempf – für seine Verdienste im Quartier ist sogar eine Strasse nach ihm benannt – lancierte eine private Umfrage in der Bevölkerung. 68 Prozent der Affoltemer votierten für den Trolleybus, nur 32 Prozent für das Tram. Auf der andern Seite empfahl eine eigens eingesetzte Kommission aus drei externen Fachleuten den Bau der Tramlinie. Auch die VBZ-Leitung und der Vorstand der Industriellen Betriebe, Stadtrat Jakob Baumann, traten für das Tram ein, während der Stadtingenieur sich für eine Buslösung aussprach. In der Stadtratssitzung vom 18. August 1950 wurde die Tramlinie nach Schwamendingen von einer Mehrheit im Stadtrat abgelehnt, man wollte generell keine neuen Tramlinien. Damit wurde auch das Tram Affoltern ein weiteres Mal für Jahre auf Eis gelegt.

Schwamendingen hat nie einen Trolleybus erhalten, aber 1986 mit viel Verspätung doch noch ein Tram. Dafür bekam Affoltern – ebenfalls mit reichlicher Verzögerung – 1975 den Trolleybus. Und jetzt dann hoffentlich das Tram – damit die unendliche Geschichte zu einem Abschluss kommt.

 

Das Tram Affoltern – City

Weshalb braucht Zürich-Affoltern ein eigenes Tram?Lesen Sie dazu das vbzonline-Interview oder besuchen die Website www.vbz.ch/affoltern.

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