Die Disposition oder das komplexe Planungspuzzle

Jeden Tag fahren bis kurz nach 6 Uhr rund 370 Trams und Busse ins VBZ-Netz aus. In jedem Tramcockpit und an jedem Bussteuer sitzt eine Fahrerin oder ein Fahrer. Was passiert aber, wenn eine Trampilotin oder ein Busfahrer den Dienst nicht antreten kann? Eine Krankheit, Kollision oder ein anderer Zwischenfall - die Disposition hat die Aufgabe, kurzfristig Ersatz aufzubieten, ohne dass der Fahrgast es merkt.

Autorinnen: Daniela Tobler und Natascha Hufschmid
Dieser Artikel erschien in unveränderter Form im VBZ Mitarbeitermagazin Im Takt, Oktober 2015.

Wie schafft es die Abteilung Disposition, tagtäglich die anspruchsvolle Dienstleistung zu erbringen und so einen funktionstüchtigen Fahrbetrieb auf dem Netz zu gewährleisten? Dafür wollen wir uns erst einen Überblick über die Strukturen im Hintergrund verschaffen. Bruno Häfeli empfängt uns in der Garage Hardau – einer der Standorte, wo disponiert wird – zum Gespräch. Von ihm erfahren wir, wer eigentlich hinter der Abteilung Disposition steckt und was deren konkrete Aufgabe ist. Er leitet die zentrale Abteilung des Unternehmensbereichs Betrieb seit dem 1. Juli 2008 (vorher waren Tram- und Bus-Dispo getrennt) und hat deren Struktur weitgehend geprägt. Heute ist er für 18 Mitarbeitende verantwortlich; sein Stellvertreter heisst Robert Päsler. Bruno Häfeli: «Unsere Aufgabe ist es, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen laufend genügend Fahrpersonal mit der richtigen Qualifikation für den sicheren Betrieb der Verkehrsbetriebe zur Verfügung zu stellen. Im Gegensatz zur Dienstplanung planen wir den Einsatz der Menschen.» Vereinfacht könnte man auch sagen, dass wir die von der Dienstplanung erstellten Leistungen, also die zu besetzenden Kurse, mit den Namen der Fahrdienstmitarbeitenden besetzen. Der ganze Prozess beginnt aber mit der Fahrplangestaltung, eine Aufgabe, die beim Markt liegt. Sobald nach abgeschlossenem Fahrplanverfahren die nötige Kostengutsprache des ZVV vorliegt, können der Jahresdienstplan sowie die einzelnen Turnusse erstellt werden – die einzelnen Kurse werden definiert.

18 Disponentinnen und Disponenten agieren im Hintergrund

Zu diesem Zeitpunkt übergibt die Dienstplanung an die Disposition. «Dann beginnt die Arbeit unserer 18 Disponentinnen und Disponenten in den Betriebshöfen», erklärt Bruno Häfeli. «Es gilt nun, unter den 1‘400 Fahrerinnen und Fahrer die passende Person für rund 700 Dienste zu finden. Zusätzlich stehen uns täglich in 4 – 5 verschiedenen Zeitfenstern 8-16 Mitarbeitende, Kundenberater und Springer, der Abteilung Netz zur Verfügung, vor allem dann, wenn wir Dienste sehr kurzfristig wegen Krankheit, Unfall oder einer nicht planbaren privaten Angelegenheit, neu besetzt oder umbesetzt werden müssen.» Eine Teamleiterin und drei Teamleiter mit ihren jeweiligen Mitarbeitenden arbeiten in den verschiedenen Betriebshöfen von Bus und Tram zu Bürozeiten. Dazu kommt die Tagesdisposition auf der Leitstelle mit jeweils zwei Mitarbeitenden, die von Montag bis Sonntag direkt kontaktiert werden und für raschen Ersatz sorgen.
Alles klingt ziemlich komplex und ist ohne Beispiel schwierig erklärbar. Sehen wir uns also vor Ort um und lassen uns überraschen, was alles an einem Tag an Unvorhergesehenem geschehen kann!

Bruno Häfeli, Leiter Disposition, ist glücklich, wenn alle Kurse besetzt sind (Bild: Tom Kawara)

Schauplatz Tagesdisposition

«Ständig klingelt das Telefon» – treffender könnte kein anderer Satz die Tagesdisposition in der Leitstelle beschreiben. Täglich kümmern sich zwei Disponenten um die Abwesenheiten des gesamten Fahrpersonals von heute, morgen und übermorgen. Passieren Zwischenfälle neben deren Präsenzzeit, ist die Leitstelle erste Ansprechpartnerin und verantwortlich für das Aufbieten von Netz-Mitarbeitenden für das ausfallende Fahrpersonal. Elmar Schnyder, alteingesessener VBZ’ler und Disponent, hat an diesem Morgen die Meldungen der Leitstelle von vergangener Nacht übernommen. Zusammen mit seiner Arbeitskollegin ist es seine Aufgabe, unter Zeitdruck qualifiziertes Personal für die Ablösung der Netzmitarbeitenden zu finden. Keine leichte Aufgabe – so sind sie auf die Unterstützung Freiwilliger angewiesen, die bereit sind, in ihrer Freizeit zusätzliche Dienste zu übernehmen. «Ich habe mit der Zeit ein grosses Wissen über die Fahrerinnen und Fahrer aufgebaut und weiss in der Regel ganz genau, wen ich anrufen kann und bei wem ich es gar nicht erst zu versuchen habe» – schmunzelt Elmar. Glücklicherweise gibt es auch immer fleissige Bienchen, die ihren Wunsch für zusätzliche Fahrdiensteinsätze auf der Tagesdispo melden. Eine sehr willkommene Geste.

«Wir haben immer mehrere Suppen gleichzeitig am Kochen»

Und Action!

Das Telefon klingelt: Auf der Linie 8 Kurs 5 Höhe Stockerstrasse war keine Ablösung vor Ort. Die Trampilotin muss zwangsläufig den nachfolgenden Dienst übernehmen. Elmar versucht den vermissten Fahrer zu erreichen, jedoch ohne Erfolg. Wo ist er bloss? Dieser war schliesslich am Morgen bereits gefahren und hätte nun nach der Pause das Tram übernehmen müssen. Minuten vergehen bis der Rückruf erfolgt. Der Trampilot meldet, dass er auf der falschen Seite gestanden sei, Richtung Klus- statt Hardplatz. Nach einer gefahrenen Schlaufe kann er das Tram an der Ablösestelle nun übernehmen, um 09:48 anstelle von 09:23 Uhr. Jetzt beginnt für Elmar der Administrationszirkus. Er muss sicherstellen, dass die eingesprungene Trampilotin die betrieblich vereinbarte Ruhepause einhält. Die Zeit reicht, sie hat nun eine Mehrleistung. Dem «Falschsteher» wird gleichzeitig ein Dienstversäumnis verbucht. Ausserdem muss Elmar die Dienste im Dispositionssystem Crew dem tatsächlichen Ablauf entsprechend abändern. Zu guter Letzt bekommt der zuständige Gruppenleiter eine Benachrichtigung des Vorfalls per Mail. Eine Kleinigkeit kann also im Hintergrund einen grossen Aufwand auslösen. Obendrauf klingelt weiterhin praktisch permanent das Telefon. Neue Fälle, die sofortiges Eingreifen erfordern. «Wir haben immer mehrere Suppen gleichzeitig am Kochen», lacht Elmar. Schön, dass er dieses «Durcheinander» mit Humor nehmen kann. Elmar ist von Grund auf eine Frohnatur. Er weiss aber, dass die Ansprüche des Fahrpersonals immer grösser werden. «Vor allem die langen Präsenzzeiten sind bei jungen Fahrdienstmitarbeitenden nicht besonders beliebt.» Der Wunsch nach einer verkürzten Wartezeit zwischen den Diensten ist ein Dauerthema.

Neuer Notruf: Eine Busfahrerin meldet sich krank. In so kurzer Zeit kann der erste Dienst nicht mehr an das Personal im Ersatzdienst vergeben werden. Das Netz springt ein und Elmar veröffentlicht den noch offenen Nachmittagsdienst in der sogenannten Dienstbörse im Webclient – ein System für alle Fahrerinnen und Fahrer zur Einsicht eigener und offener Fahrdienste. Für den nächsten Morgen ist ebenfalls ein Spätdienst mit Kasse  offen. Von den zur Verfügung stehenden Arbeitskollegen hat genau noch eine Busfahrerin mit entsprechenden Voraussetzungen noch keinen Kasseneinsatz. Elmar strahlt, er kennt die Fahrerin und ist sich sicher, dass sie den Überlandbus übernehmen wird. Er appelliert an ihre Flexibilität – mit Erfolg, die Kollegin willigt ein. Elmar weiss seinen Charme einzusetzen. Durch den Wechsel bleibt nun aber der Trolleybus-Einsatz offen. Das Spiel beginnt von vorne. So geht es den ganzen Morgen weiter – das Puzzle wird ständig neu zusammengesetzt. Im Normalfall werden täglich rund 20 Krankheitsfälle, Mitarbeitende die einen Fahreinsatz hätten, verarbeitet. Die Besetzung gestaltet sich an Wochenenden deutlich schwieriger. Fahren die Busse und Trams einerseits an den Wochenendabenden in einem höheren Takt, so ereignen sich andererseits geläufige Veranstaltungen wie Hochzeiten und Grillabende an besagten Tagen.

Szenenwechsel: Betriebshof Oerlikon

Während sich die Tagesdispo um aktuelle Vorkommnisse kümmert, stellen die vier Dispositionen in den sieben dezentralen Betriebshöfen die Vor- wie auch Folgedisposition sicher und sind Anlaufstelle für alle vorhersehbaren Änderungen in den privaten Agenden des Fahrpersonals. Vom Abholdienst der Kinder, Notariatsterminen bis hin zum Schulbesuch, kein Wunsch, der noch nie geäussert wurde. Obwohl die meisten Anfragen telefonisch vonstattengehen, haben hier die Mitarbeitenden auch die Möglichkeit, ihr Anliegen direkt vor Ort an der «Theke» anzubringen. Heute ist Christoph Krause in Oerlikon zuständig. Auch er ist ein versierter Disponent und weiss mit den Tücken seines Arbeitsalltages umzugehen. Sein Ziel: Gesetzeskonforme Anpassungen generieren und gleichzeitig einen dynamischen Ausgleich schaffen. Einfacher ausgedrückt: Wenn schon eine Änderungen im Dienstplan vorgenommen werden muss, dann so, dass gleichzeitig an einer anderen Stelle ein Gewinn erzielt wird. Bekommt ein Fahrer einen zusätzlichen Feiertag, hilft er dafür später freiwillig aus. Steht zu wenig Personal zur Verfügung, so geht Christoph immer jene mit einem Minuten-Minus-Guthaben zuerst an. «Ich möchte mit wenigen Transaktionen möglichst viele Faktoren verbessern.» Lobenswert, dieses systematische Problemlösen.

Fall Telefon: Christian Ammann, Leiter Betrieb Tram, möchte sich für zwei offene Dienste eintragen. Zum Einen muss er seine Fahr-Pflichtstunden einhalten, zum Anderen möchte er einen Dienst in der Freizeit übernehmen, um die Disposition zu entlasten. «Dieses Angebot ist herzlich willkommen – wir sind auf diese Unterstützung der Verwaltungsfahrenden angewiesen», betont Christoph.

Vom Telefon zur Theke: Ein Busfahrer muss nach einer schweren Rückenoperation mehrmals einen Spezialisten aufsuchen. Solche Experten sind oft ausgebucht, einen Termin am freien Tag zu finden ist schwierig. So braucht der Busfahrer eine Sperrzeit im Einsatzplan. Christoph disponiert ihm morgens einen Ersatzdienst und blockiert ihn für den Nachmittag. Klingt einfach, birgt aber Konsequenzen. Die Nachtruhezeiten zu den beiden Vortagen werden durch die Verschiebung nicht mehr eingehalten, so dass auch diese beiden Dienste umdisponiert werden müssen und somit wieder offen sind. Doch Christoph räumt das kurzfristig verursachte Durcheinander gleich wieder auf und macht alle Dienste wieder sauber, so der Dispo-Jargon. Es ist ein verdächtig ruhiger Tag im Betriebshof, so bleibt Zeit, alle anderen Aufräumarbeiten in der Personaldispositionssoftware Crew zu tätigen. Das System hat zum Ziel, dass künftig eine komplett individuelle Dienstplanung möglich ist.

Mitarbeitende melden ihre Anliegen direkt vor Ort im Betriebshof (Bild: Tom Kawara).

Anforderungsprofil Disponent – bitte kühlen Kopf bewahren

Hat sich ein Job das Wort Multitasking auf die Fahne geschrieben, dann sicherlich jener der Disposition. So gilt es im hektischen Alltag stets mehrere Probleme zu lösen, ohne dabei den Gesamtüberblick zu verlieren. Gleichzeitig erfordert die Tätigkeit ein hohes Mass an Flexibilität und Einfühlungsvermögen den Mitarbeitenden gegenüber. So sehr Elmar und Christoph die durch den Job bedingte Nähe zu den Fahrerinnen und Fahrer schätzen, sie hat auch ihre Schattenseite – man ist nicht selten mit persönlichen Schicksalen wie Krankheitsdiagnose oder Unfall konfrontiert. Trotzdem stellen sich die beiden Herren gerne jeden Tag von Neuem dem komplexen Planungspuzzle der Fahrdienstmitarbeitenden.

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