«Alli Biiilleeett, bittee!»

Sie kommen mehrheitlich unerwartet und unbemerkt, zu praktisch jeder Tages- und Nachtzeit, ob zivil oder in Uniform – die Kundenberater der VBZ. Kennen tun sie alle Fahrgäste, zumindest unter dem Namen «Kontrolleure», geschätzt werden sie mal mehr, mal weniger. Wir haben eine Gruppe Kundenberater einen Morgen lang begleitet.

Ein regnerischer, grauer Montag. Eigentlich der perfekte Bürotag, drinnen, mit laufender Heizung. Doch nichts mit kuscheliger Wärme und heissem Kaffee. Als Kundenberater der VBZ spielt sich die Arbeit in den Fahrzeugen und draussen auf dem Liniennetz ab. Es beginnt mit dem obligatorischen Briefing der zur Tagesschicht eingesetzten Gruppen. Das Zürich-Zwei-Gebiet steht für uns auf der Tagesordnung, also alles rechts der Limmat bis zum Flughafen. «Hoffen wir auf einen ruhigen Tag» – so der Serviceleiter, der die Einteilung verantwortet. Es folgt allgemeines Kopfnicken. Und die Tour kann beginnen. Mit der Tramlinie 17 geht es Richtung Werdhölzli.

Mladen ist ein Kundenberater wie aus dem Bilderbuch: Gross, breite Schultern, tiefe Stimme. Ein wenig einschüchternd und doch herzlich. Bei den ersten Ticket- oder Billettkontrollen kommen schon die ersten frechen Sprüche eines jüngeren Mannes mit überdimensionaler Daunenjacke und dröhnender Musik aus den Ohrenstöpseln. Er versteht sich wahrscheinlich als supercooler Hip-Hopper von Zürich-West. Er besitzt ein gültiges Ticket, es bleibt somit beim «krassen» Geschwätze. Sonst herrscht Morgenstimmung: Schläfrige Blicke und Slow-Motion bei der Suche nach dem Abonnement oder Ticket.

Vorbild: Herr und Frau Pendler in Zürich

Satte fünf Minuten vergehen bis zur ersten «Beanstandung» (das ist der VBZ-Jargon für Personen, die kein Ticket gelöst oder ihr Abo zu Hause vergessen haben). Der betroffene Fahrgast wird Post bekommen, inklusive Einzahlungsschein. Die VBZ verzeichnen in der Limmatstadt eine Schwarzfahrer-Quote von gut 1 Prozent, sprich in etwa auf jeden 100. Passagier fährt jemand Bus oder Tram, ohne dafür zu bezahlen. Eine äusserst erfreuliche Bilanz. Jede Kundenberaterin und jeder Kundenberater registriert während seines Einsatzes fortlaufend die persönlichen Fahrgastzahlen und erstellten Taxzuschläge. Das gibt pro Jahr eine stattliche Zahl von 3,4 Millionen Kontrollen. Apropos Kontrollen: Warum die Kundenberater nicht mehr Kontrolleure heissen, wollen wir wissen. Der Begriff «Kundenberater» sei deshalb gewählt, weil die Abteilung Netz die Fahrausweiskontrolle als Dienstleistung (Kundendienst) an die zahlende Kundschaft versteht. Durch die regelmässige Präsenz möchte man sicherstellen, dass die erfreulich hohe Zahlungsbereitschaft der Fahrgäste auch weiterhin anhält. Ausserdem übernehmen die Kundenberater längst nicht nur Kontrollaufgaben, sondern springen kurzfristig ein, wenn Not am Mann oder an der Frau ist.

Englischer Homer und französische Büsserin

Doch zurück zum eigentlichen Geschehen: Wir steigen in den ETH-Shuttle Richtung Höngg. Dieser ist rappelvoll, es herrschen japanische Verhältnisse. «Alli Biiilleeett, bittee!?» Ein Ding der Unmöglichkeit. Wie Sardinen pferchen wir uns an unsere Stehnachbarn. Der junge Student mit den lockigen Haaren neben mir riecht nach Wollpullover und abgestandener Zigarette. In der Hand ein englisches Werk von Homer – nicht jedermanns präferierte Montagmorgenlektüre. Erinnerungen an die gute alte Studentenzeit kommen auf. Ein neuer «Zwischenfall»: Die junge Frau mit französischem Dialekt hat zwar ihren Swisspass dabei, leider aber kein entsprechendes Zonenabo. Auch für sie kommt diese Fahrt teurer als erwartet.

Die VBZ verzeichnen in der Limmatstadt eine Schwarzfahrer-Quote von gut 1 Prozent, sprich in etwa auf jeden 100. Passagier fährt jemand Bus oder Tram, ohne dafür zu bezahlen.

Klappe die Erste

Die Glattalbahn Richtung Flughafen birgt ihre Tücken: Zonenüberfahrt von 110 auf 121. Eine prominente Strecke für Taxzuschläge. Das wissen auch die Kundenberater. Bereits die ersten beiden kontrollierten Personen tappen ins Netz von Mauro und Eugen. Die Herren indischer Herkunft behaupten, sie hätten auf dieser Strecke stets nur eine Zone benötigt. Heute gilt diese Ausrede leider nicht, die Busse in der Höhe von 75 Franken wird ausgestellt.

Im selben Tram begegnen wir zu guter Letzt einer äusserst «kurligen» Person. Riechen tut man ihn schon von einer beträchtlichen Distanz. Mit Mladen möchte der Randständige nur auf Ungarisch sprechen – wir verstehen daher kein Wort. Ob sein Kauderwelsch wirklich Ungarisch ist, bleibt ungewiss, wir sprechen diese Sprache nicht. Er reicht uns einen Ausweis von der Justizvollzuganstalt. Grund genug, die Kantonspolizei zu informieren. Sie sollen den «blinden» Passagier am Flughafen überprüfen. Nach kurzem Widerstand steigt er mit seinem Einkaufswagen (wohl mit seinem ganzen Hab und Gut) an der Endhaltestelle aus. Die Flughafenpolizei ist bereits im Anmarsch. Wie im Film. Unbeeindruckt von der Szenerie, rollt sich der «Ungare» genüsslich eine Zigarette. Nun ist es Sache der Wache. Im Normalfall werden den Kundenberatern nach einem Intermezzo mit einem solch speziellen Passagier von der Polizei dessen Personalien zugestellt – in diesem Fall scheint das aber eher hoffnungslos. Erstaunlicherweise scheint der Ungare plötzlich wieder der deutschen Sprache mächtig zu sein. Das Fluchen in allen Tönen beherrscht er ganz ordentlich. Ob ihm das auf dem Polizeiposten weiterhilft? Unser kleiner «Hollywoodstreifen» endet auf jeden Fall hier.

Kundenberater – Abwechslung garantiert

In der Kaffeepause wird nochmals heiss über den soeben von der Polizei abgeführten Hauptdarsteller diskutiert. Hansjörg weiss nur allzu gut, dass schräge Erlebnisse zum Berufsalltag eines Kundenberaters gehören. Schliesslich ist er seit 30 Jahren treuer VBZ’ler. Die Entblössung der Brüste einer jungen Frau während der Kontrolle ist nur ein Beispiel unter vielen. Solche Erlebnisse kommen im Graubünden, Hansjörg’s Hauptwohnsitz, seit geraumer Zeit weniger vor. Neben solch amüsanten Intermezzi birgt dieser Job aber auch ernsthafte Schattenseiten: So kommt es gelegentlich vor, dass Kundenberaterinnen und Kundenberater tätlich angegriffen werden . Auch vor verbalen Auseinandersetzungen und Drohungen ist man nicht immer geschützt. Eugen weiss, dass es in solchen Situationen wichtig ist, Ruhe zu bewahren. «Wie man den Fahrgästen gegenüber auftritt, ist das A und O. Mit viel Augenkontakt kann ich in den meisten Fällen den stürmischen Wind bereits aus den Segeln nehmen.» Schwierige Tage gibt es immer. Unangenehm ist es für Mauro und die Truppe auch, wenn sie während der Weihnachtszeit Taxzuschläge an einsame Menschen verteilen müssen. Da würde man gerne ein paar Augen mehr zudrücken. Mladen weiss, dass der richtige Ausgleich zu diesem nervenaufreibenden Job von grosser Bedeutung ist. Er findet ihn im Sport und bei seiner geliebten Familie.

Ein Geständnis meinerseits: In meiner Vorstellung war der Kundenberater-Job eher als monotone Tätigkeit verankert. Wie kann man täglich bloss stundenlang Tickets kontrollieren? Doch ich wurde zum Glück eines Besseren belehrt. Bereits die Kontrollen selbst verlangen sehr viel Feingefühl und Spürsinn für die Situation. Hinzu kommen Fahrdiensteinsätze für ausgefallene Trampilotinnen und Busfahrer und die Lenkung der Fahrgäste bei Unfällen. Man muss den unterschiedlichsten Menschen begegnen können, sie antizipieren und sich entsprechend anpassen. Einen 0815-Ablaufprozess gibt es schlicht weg nicht.

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