Im Rahmen der VBZ-Netzentwicklungsstrategie 2040 und des Zukunftsbilds 2050 sollen die ÖV-Zentren Altstetten und Oerlikon gestärkt und zugleich die Innenstadt entlastet werden. Als Begleitlektüre steuern wir drei persönlich gefärbte Flaneurs-Berichte bei, welche die verkehrstechnische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft thematisieren.
Klar wäre es ein Leichtes gewesen, nun auch beim dritten Teil dieser Reihe nochmals den persönlichen Erinnerungsteppich auszurollen. Und dabei zum Beispiel vom ersten Matchbesuch im Letzigrund zu berichten, wo ich als Sechsjähriger bittere Tränen weinte, weil «mein» FCZ gegen Servette verlor – und mir mein weiser Vater auf dem Heimweg beibrachte, dass man aus Niederlagen oft mehr fürs Leben lernt als aus Siegen.
Oder von den oft engen Duellen, die wir als Junioren des FC Wollishofen auf den Altstetter Sportanlagen Buchlern (lauschig, am Waldrand gelegen, toller Rasen) und Juchhof (an der dauerbrummenden A1 situiert, echt mieser Rüebliacker) zu bestehen hatten.
Anders als das Central oder Neu-Oerlikon ist Altstetten im Begriff, im Rahmen der VBZ-Netzentwicklungsstrategie 2040 und des Zukunftsbildes 2050 zum neuen, «dezentralen» Hauptverkehrsknotenpunkt und Zentrum zu werden. Was also hier draussen zählt, sind der Status Quo beziehungsweise das «Heute» als Ausgangspunkt der Geschichte – sowie die künftige Ausgestaltung dieses Stadtrandquartiers als Ziel. Darum (und nur darum!) soll es in diesem Serien-Finale gehen, Reminiszenzen an längst verblichene Souvenirs des Schreibenden würden da nur störend wirken. E basta!
Es braucht eine Strassenumfrage
Der Plan, der zu diesem Ziel führen soll, heisst Strassenumfrage! Durchgeführt wird sie an zwei bereits bestehenden neuralgischen Punkten von «Neu-Altstetten» (das kaum je so heissen wird) und die wären:
1. Der 2005 neu gestaltete Altstetterplatz auf der Vorderseite des Bahnhofs, auf dem die eindrückliche Eisenplastik «Grosse Giraffe» des Berners Bildhauers Bernhard Luginbühl (1929-2011) steht und
2. Die am 18. Oktober 2022 mit dem Hockeyspiel ZSC Lions gegen Fribourg-Gottéron (2:1) eingeweihte, futuristisch wirkende Swiss Life Arena an der Vulkanstrasse 130.
Es ist ein frühlingshaft sonniger Nachmittag, eigentlich viel zu warm für Eishockey. Dennoch spielt der ZSC gegen Ambri-Piotta, das verspricht Fans en masse. Also ideale Voraussetzungen für eine kleine Volksbefragung. Damit sie wenigstens den Stempel «einigermassen repräsentativ» erhält, bedürfte es meiner Meinung nach 40 bis 50 Stimmen, eine Zahl, die gerade an diesen stark frequentierten Standorten eigentlich kein Problem darstellen sollte. Hier mein aufs Wesentliche reduzierter Fragebogen:
1. Was (Attraktionen, Einrichtung, generelle Standortqualitäten etc.) würden Sie sich für das neue, periphere Stadtzentrum Altstetten zusätzlich wünschen?
2. Welche (baulichen, planerischen, strukturellen etc.) Fehler müssten bei der Ausgestaltung des künftigen Zentrums Altstetten tunlichst vermieden werden?
3. Wenn Sie persönlich im Zuge dieser Neuerung zwei Aspekte bestimmen oder zwei Projekte auswählen dürften – welche wären das?
Der Eishockeymatch beginnt um 15.45 Uhr. Deshalb, so meine Absicht, werde ich ab 14 Uhr zuerst das Volk auf dem Altstetterplatz befragen, danach gemütlich zum Stadion spazieren, und dort eine Stunde vor Spielbeginn die Fans aushorchen. Kurz vor halb drei Uhr eine erste Ernüchterung: Von sieben Angesprochenen haben vier wortlos den Kopf geschüttelt, eine Frau hat Alt-Bundesrat Ueli Maurers Kultspruch «Kä Luscht!» zum Besten gegeben – und zwei weitere Personen mit unterschiedlichen Worten in etwa dasselbe gesagt, nämlich dass sie sonntags jeweils frei hätten und deshalb auch keine Umfragen beantworten würden.
Auf dem Weg zum Hockey-Tempel wird die Situation nur unmerklich besser. Obwohl die Anzahl der potenziellen Umfrage-Kandidatinnen und -Kandidaten rasch in die Höhe schnellt, ändert das leider nichts an ihrer Auskunfts(un)freudigkeit: «Muess zum Bier!» – «Bin z nervös, chasch nach em Match namal cho.» – «Sorry, wir sind aus München, wir können dazu leider nichts sagen.» So und ähnlich geht das die ganze Zeit. Nach insgesamt 33 Versuchen liegt die Ausbeute bei mageren drei Antworten. Ich breche die Übung ab und hoffe, mich beim Flanieren zu einer eigenen Altstetter Utopie inspirieren zu können.
Als nächstes folgt die Herostrasse (bei der ich nicht weiss, ob «Hero» Deutsch oder Englisch gelesen wird, sprich ob damit Büchsenravioli beworben werden oder doch ein namenloser Held geehrt wird). Schon biege ich in die Vulkanstrasse ein, die bald am Mercure Hotel vorbeiführt. Ein paar Schritte später Freude zum Zweiten: Auch an der Vulkanstrasse gibt es noch Kleingewerbe, hier ist es eine Verpackungsfirma.
Der Kulturclash an der Vulkanstrasse
Die Rundtour kann natürlich nicht ganz Altstetten abdecken, dafür bräuchte es im Minimum einen Tag. Nein, sie soll durch jene «Kernzone» gehen, in der, vergleichbar mit Neu-Oerlikon, das künftige Zentrum entstehen und erblühen soll.
Sie beginnt am Altstetterplatz. Von da schlendere ich via Bahnhofsunterführung zum Vulkanplatz. Ich gönne mir eine Stippvisite beim eindrücklichen Sozialprojekt FOGO und beim erfreulicherweise hier noch ansässigen Kleingewerbe, vertreten durch eine Autospenglerei und eine Schreinerei. Dann geht es weiter der Aargauerstrasse entlang (deren Signalisationstafel sich auf etwas ungewohnte Weise präsentiert).
Als nächstes folgt die Herostrasse (bei der ich nicht weiss, ob «Hero» Deutsch oder Englisch gelesen wird, sprich ob damit Büchsenravioli beworben werden oder doch ein namenloser Held geehrt wird). Schon biege ich in die Vulkanstrasse ein, die bald am Mercure Hotel vorbeiführt. Ein paar Schritte später Freude zum Zweiten: Auch an der Vulkanstrasse gibt es noch Kleingewerbe, hier ist es eine Verpackungsfirma.
Darauf passiere ich den Bändliweg, wo eine Einrichtung ihren Sitz hat, die Zürcherinnen und Zürchern Jahr für Jahr Geld abknüpft – notabene immer für gute Zwecke: Genau, des Rätsels Lösung heisst «Steueramt des Kantons Zürich». Schon aber hellt sich die Stimmung wieder auf: Es geht an die einmalige Umrundung der Swiss Life Arena, die Sie wie ich ja bereits kennengelernt haben.
Eine Viertelstunde später ist es vollbracht, ich stehe wieder an der Stadionecke und will eben weiter der Vulkanstrasse entlang gehen, als sich plötzlich eine Art Kulturclash offenbart – notabene in einer Unmittelbarkeit, wie sich das wahrscheinlich nirgendwo sonst in der Stadt beobachten lässt! Konkret: Auf der linken Seite einer namenlose Verbindungsstrasse «kämpft» die seit 1947 wuchernde, heute aber irgendwie verloren wirkende Natur in Gestalt der Familiengärten Juchhof – und auf der rechten die im Herbst 2022 eröffnete, also junge, kräftige, imposante, moderne und wuchtige Architektur dieser Sportstätte, die es sogar zu einem eigenen Buch geschafft hat. Ein ungleiches «Duell», aber ein eindrückliches Bild.
Direkt neben den Familiengärten befindet sich die Sportanlage Juchhof. (Wer grad spontan «Rüebliacker!» gerufen hat, darf sich stolz auf die Schulter klopfen: Genau so steht es nämlich im ersten Abschnitt dieser Geschichte!). Wobei der Rüebliacker, staun-staun!, heutzutage von einem Mähroboter rasiert wird. Und der Juchhof – staun-staun! zum Zweiten –, inzwischen um einen topmodernen Kunstrasenplatz mit Flutlichtanlage erweitert worden ist.
Fortgesetzt wird mein Spaziergang auf der Hermetschloobrücke, die sowohl stadtauswärts (Briefzentrum Mülligen) wie stadteinwärts (Bahnhof Altstetten mit Swiss Life Arena und mit Mülligen-Cargoport) spektakuläre Aus- und Weitblicke anbietet und die mich nach einer loopartigen Kurve an die Hermetschlossstrasse übergibt. Im obersten Stock des Gebäudes «Genossenschaft Gleis 70», das von der Kreativwirtschaft genutzt wird, befindet sich die Hermetschloo-Kantine, die sich auch für Anlässe mieten lässt.
Eine echte Zürcher Rarität
Der «on the road»-Trip geht geradeaus weiter der Hermetschloos-Strasse entlang. Zuerst passiere ich die Rückseite von Micas Garten, einer szenigen Vergnügungsbrache (wenn man das so salopp sagen darf), die vor wenigen Jahren quasi als jüngere Schwester der Kreis-5-Oase «Frau Gerolds Garten» aufs partyfreudige Stadtrandvolk losgelassen wurde, betrieben wird die Zwischennutzung nämlich vom selben Team um die Miteinander GmbH. Et voilà, direkt daneben gibt es eine genuine Zürcher Rarität zu bestaunen – UNGENUTZTES BRACHLAND!
Das letzte Teilstück führt schliesslich vorbei an einem heruntergekommen wirkenden Wohnhaus an der Micafilstrasse, dessen Fenster lustigerweise ganz ähnlich angeordnet sind wie jene an der Swiss Life Arena, die lustigerweise auf selber Höhe ennet den Gleisen sichtbar ist. Ich überquere den Parkplatz des Cargo-Bahnhofs von Transportunternehmer Planzer und nehme die Unterführung Richtung Vulkanstrasse und Arena. Drüben angelangt, zeigt sich ein stupendes Fotosujet mit einfahrendem Zug als Vordergrund und einem in den dramatischen Himmel getauchten Skyscraper als Kulisse – mehr als ein ergriffenes «Wow» bringe ich nicht zustande, immerhin finde ich grad noch rechtzeitig den Bildauslöser auf dem Smartphone. Zwischen anonymen Verwaltungsgebäuden hindurch, deren Stufen und Rampen von ein paar wilden Jungen zum inoffiziellen Skaterpark umfunktioniert werden, begebe ich mich zurück zum Ausgangspunkt des Spaziergangs… und hab unterwegs durch einen Abfallkübel noch ein Déjà-Vu: Wie schon damals in Oerlikon gibt es auch hier in Altstetten eine geklebte Verbrüderung von FCZ- und ZSC-Anhängern.
Auf dem Altstetterplatz angekommen, schnappe ich mir ein freies Bänkli, blicke ich die milchig-warme Sonne und male mir dann gemütlich tagträumend eine Utopie der künftigen Altstetter City.
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