«See you later» – der abschliessende Satz meines ersten Beitrages ist tatsächlich schon über fünf Wochen alt, gefühlt sind es hingegen etwa zwei. Das «later» kommt für mich also schon früher als erwartet. Denn in Anbetracht dessen, dass ich in diesem Moment ein Resümee zu meinem Sommer verfasse, muss ich mich wohl oder übel mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass der Sommer 2015 bereits mehr oder weniger der Vergangenheit angehört. Und für einen Menschen, der den Sommer liebt, ist dies nicht gerade einfach (darum überlege ich mir gerade, das Sommerende bis zum ersten Schneefall einfach zu ignorieren!).
Bevor ich nun aber vollends abschweife, besinne ich mich besser auf das eigentliche Thema – wie erlebte ich, als Aargauer Landei, den Sommer in Zürich. Müsste ich ihn, rückblickend auf die vergangenen Wochen, mit einem Wort beschreiben, es wäre: HEISS. Hätte ich sogar zwei Worte zur Verfügung, wären sie: VERDAMMT HEISS. Jetzt mal im Ernst: Nachdem ich tagelang all jene innerlich beschimpft habe, die sich negativ über die hiesigen Temperaturen äusserten und lauthals verkündete, wie toll ich das Wetter finde, musste ich spätestens zu dem Zeitpunkt, als meine Arme bei 35 Grad Celsius im Büro am Pult kleben blieben, kleinlaut und widerwillig zugeben, dass auch ich an meine körperlichen Grenzen gestossen war.
Abgesehen vom Wetter, war mein Sommer relativ unspektakulär. Ich vermute, viele von euch schütteln jetzt den Kopf und fragen sich, was aus meinem Vorsatz geworden ist, «Zürich neu zu entdecken? Plätze und Orte zu finden, die mich überraschen» oder auch «Leuten zu begegnen und sie kennenzulernen»? Denn genau diese Ziele und noch viele mehr hatte ich im ersten Teil meiner Kolumne angekündigt. Doch das war gar nicht so einfach!
Kennt ihr die Situation, wenn ihre euch auf ein kommendes Ereignis freut, euch Dinge in der Zukunft ausmalt und Bilder vor eurem inneren Auge kreiert, die im Nachhinein relativ wenig mit der Realität zu tun haben? Etwa genau so ist es mir ergangen – nicht, dass mein Sommer total langweilig und enttäuschend gewesen wäre, ganz und gar nicht! Ich habe sogar sehr viele schöne und lustige Tage und Abende in Zürich verbracht. Jedoch waren diese Erlebnisse nicht so aussergewöhnlich, als dass sich jetzt etliche fesselnde und ausführliche Kolumnen darüber hätten verfassen lassen. Gleichwohl möchte ich hier nun fünf kürzere Episoden und Geschichten schildern, die meinen Stadtsommer auf die eine oder andere Weise geprägt haben.
Das schockierendste Erlebnis: «De Bünzli-Schwiizer»
Mitte Juli machte ich mich zusammen mit meinen Eltern und meiner Schwester auf zu einem gemeinsamen Familienausflug auf dem Zürichsee. Mit dem Schiff tuckerten wir binnen zwei Stunden vom Bürkliplatz bis nach Rapperswil. Die Fahrt war einfach wunderbar. Meine Eltern, beide gebürtige Stadtzürcher, heute Aargauer, genossen den Ausflug in die Heimat. Und meine Schwester und ich schworen uns nur geschätzte 15 Mal, dass wir Ausbildung und Job hinschmeissen und einen reichen Kerl heiraten, damit wir eines Tages auch in einem solchen «Haus am See» leben können, wie wir sie zu Haufe während der Fahrt anschmachteten.
In Rapperswil und somit auch zurück auf dem Boden der Realität angekommen, assen wir zu Mittag und flanierten später dem Seeufer entlang, um die Sonne zu geniessen. Nach ein paar Minuten, als wir uns schon etwas abseits des Geschehens befanden, setzten wir uns auf eine Bank mit Aussicht auf das Gewässer. Plötzlich bemerkten wir ein paar Meter weiter eine Familie, ebenfalls mit zwei Kindern, die sich mit einer Urne und vier Rosen in den Armen in Richtung Wasser begaben. Schnell wurde uns klar, dass die vier wohl, im kleinen Rahmen, Abschied nehmen wollten. Als der ältere Junge der beiden Geschwister damit begonnen hatte, die Asche im See zu verstreuen, entfernten wir uns von der Stelle, da wir diesen privaten Augenblick ganz der Familie überlassen wollten – als plötzlich ein Mann auf seinem Velo an uns vorbeizischte, direkt in Richtung Trauerfamilie und genau auf deren Höhe eine Vollbremse hinlegte, so dass der Kies auf dem Boden wild aufstäubte. «Äh sii, was mached si da? Isch das d Äsche vomene Mänsch? Dörfed sie das überhaupt?».
Da hatte Herr Bünzli doch wirklich nichts Besseres zu tun, als die kleine Familie inmitten ihres Trauerrituals zu stören. Nachdem der Vater dem «Eindringling» mehrere Male, und dies in erstaunlich ruhiger und gelassener Manier, mitgeteilt hatte, dass sie sich im Vorhinein logischerweise darüber informiert hatten und er sich nicht unnötig aufzuregen brauche, entschied Herr Bünzli, doch noch für den Rest der Zeremonie dazubleiben und zuzusehen – versaut hatte er sie ja eh schon. Einfach ein Typ zum Gernhaben, dieser Bünzli!
Das bezauberndste Erlebnis: Eine Hochzeit, die ist schön
Vor zwei Wochen war ich an die Hochzeit von zwei guten Freunden im Seebad Enge eingeladen. Bei schönstem Wetter und viel guter Laune feierten wir das junge Eheleben bis in die frühen Morgenstunden hinein. Doch nicht nur die Stimmung, sondern auch die Location war einfach fantastisch! Von der flossartigen Erweiterung, welche vom überdeckten Teil in den offenen See übergeht, hat man eine atemberaubende Aussicht auf den beleuchteten Springbrunnen im Hafen Enge sowie die beiden Seeufer, welche in der Nacht von tausenden von Lichtern geschmückt sind. Viel romantischer geht es echt nicht! Wobei man doch erwähnen sollte, dass es dem ein oder anderen nach dem ein oder anderen Cüpli und/oder Bier und/oder Glas Wein und/oder Mojito auf dem schaukelnden Floss etwas Flau im Magen wurde. Im Ganzen einfach ein schöner, gelungener Abend und in erster Linie, ein unvergessliches Hochzeitsfest!
Das «Versuch-mal-was-Neues» Erlebnis: der Filmfluss
Vom 8. – 26. Juli fand in der Badi am unteren Letten der sogenannte Filmfluss statt. Während dieser Zeit werden jeweils von Mittwoch bis Sonntag neue und ältere Filme unter freiem Himmel gezeigt. Ich nehme an, dass die meisten Zürcher den Filmfluss bereits kennen und eventuell sogar schon besucht haben. Mir, als Aargauer Landei, war dieser bisher leider unbekannt. Auf die Empfehlung einer Kollegin trommelte ich also drei Freundinnen zusammen – und als wir nach dem dritten Doodle tatsächlich einen Termin gefunden hatten, der auch wirklich allen passt, freuten wir uns auf den gemeinsamen Filmabend am Fluss.
Zwei Stunden vor Filmbeginn kam der Anruf einer meiner Begleiterinnen: «Ele, es schiffet». Ich schaute aus dem Fenster: «Ja, es schiffet». Fazit: Der Flussfilm ging Bach ab. Schade!
Erfreulichstes Erlebnis: Die Polizei, dein Freund und Helfer
Sonntagmorgen, 4.30 Uhr vor dem Club Mascotte. Meine Füsse schmerzten nach einer langen Tanznacht wie verrückt, sodass alleine beim Gedanken an einen Fussmarsch bis zum Hautbahnhof mein Hallux auf seine dreifache Grösse anschwoll.
Also entschieden mein Freund und ich (also eigentlich ich), uns ein Taxi bis zum HB zu genehmigen. Leichter gesagt als getan – kein einziger Taxifahrer wollte uns für diese «kurze» Strecke mitnehmen, alle warteten sie auf einen besseren Kunden, der ihnen mehr Geld einbringen würde. Nach einer Viertelstunde und ungefähr zehn Neins auf Seiten der Taxifahrer hatte meine Geduld einen Tiefpunkt erreicht, wie ich es nur selten erlebe. Just in diesem Moment näherte sich uns ein Polizeiauto mit vier jungen Insassen – also Polizisten natürlich – die so aussahen, als würden sie sich über einen besonders kniffligen Fall freuen.
Diese Chance liess ich mir nicht entgehen, klopfte ans Fenster des Polizeiwagens (über diese Geste freuten sie sich besonders), und tat meinem Unmut kund: «Sii `tscholdigong, aber niemmer wett ois metneh an HB, mer möge aber nöm laufe, chönd si ois helfe?» (Übersetzung auf Züri-Dütsch: «Sii `tschuldigung, aber niämmärt wett ois mitnää an HB, mir mögäd aber nümä läufä, chönd si ois hälfä?»). Ohne eine Miene zu verziehen, stieg einer der jungen Polizisten aus, klopfte seinerseits an die Scheibe des Taxis und sagte zum Fahrer: «Fahräd sii diä zwäi an Hauptbahnhof, sii müend, si sind gsetzlich dezue verpflichtet». Noch nie war ich einem Polizisten einerseits so dankbar und andererseits so erfreut darüber, dass er sich meinem Leid annahm und sich um die Situation kümmerte. Ich bedankte mich, und eine Minute später sassen wir auf der Rückbank des Taxis. Der Fahrer freute sich übrigens enorm, und die Fahrt war durchwegs von einem peinlichen Schweigen geprägt.
Das AHA-Erlebnis:
Zürich ist toll – trotz unspektakulärem Sommer! Denn manchmal ist weniger auch mehr…