Wohnen über der Tramhalle

In der Genossenschaft Kalkbreite leben 260 Menschen. Sie teilen sich nicht nur den Velokeller und die Waschküche, sondern auch den Hobbyraum oder die Ravioli-Maschine. Funktioniert dieses zeitgeistige «Sharing» tatsächlich? Wir haben nachgeschaut.

Das Kalkbreite-Areal und die VBZ haben eine gemeinsame Vergangenheit: So war das damalige, auf diesem Grundstück stehende, besetzte Haus bis im Jahr 2011 im Besitz der Zürcher Verkehrsbetriebe. Das Depot Elisabethenstrasse vis-à-vis ist bereits über 70 Jahre alt und die neue Tramabstellanlage befindet sich direkt in der Genossenschaft unter dem Innenhof. Bis dieses Projekt realisiert werden konnte, waren viele Gespräche nötig. Doch die Einigung führte schliesslich zu einer Erfolgsgeschichte. Die für die VBZ wichtige Tramhalle ist Teil der Überbauung geworden, ja sie ist fast schon Teil des Restaurants Bebek und der Wohnzimmerbar.

Bügelzimmer, Dachgarten und Wäscheleine – geteilt wird fast alles

Teil sein von oder teilen ist aber auch das zentrale Thema in der Kalkbreite-Genossenschaft selbst: Vom Sitzungszimmer zum Gemeinschaftsbüro, vom Bügelzimmer zum Meditationsraum, vom Nähatelier zum hauseigenen «Fitnesscenter» mit Sauna, vom Gefrierraum bis zum riesigen Velokeller (er verfügt gar über eine eigene Velowerkstatt und eine Putzstation für die Zweiräder), steht hier fast alles den Bewohnerinnen und Bewohnern gemeinsam zur Verfügung.

Dafür, so steht es in den Statuten, muss man als Mieter aufs Auto verzichten. Und: Keine Wohnung hat einen eigenen Balkon (die gibt es nur bei den Gemeinschaftsräumen, auch sie werden also geteilt). Ebenso wie die Dachterrasse mit Möglichkeiten zu Urban-Gardening-Aktivitäten sowie die verrückteste Wäscheleine von ganz Zürich (nehm ich wenigstens an, sie hat schliesslich eine Länge von einem Kilometer).

Teilen und ausleihen statt kaufen und besitzen

In denselben Kontext gehört auch die Teil- und Ausleihwand, die sich gleich oberhalb der Rezeption in der zentralen Halle befindet: Dank diesem analogen Anschlagbrett können die Mieter von der Ravioli-Maschine bis zum Abfluss-Stöpsel fast alles ausleihen, was sie im Alltag benötigen. Teilen statt kaufen, auch hier die Devise. Die Wand ist nicht nur schön anzuschauen, sie wird rege genutzt.

Und die andere Seite?

Teilen, tauschen, verzichten – das klingt sozial und ist zweifellos sinnvoll für Mensch und Umwelt. Wie wir aber im Auftaktartikel zu unserem Schwerpunktthema «Teilen» aufgezeigt haben, birgt ein solches System immer auch den einen oder anderen Stolperstein.

Wir haben unterschiedliche Bewohner der «Chalchi» (wie die Genossenschaft vom Volksmund liebevoll genannt wird) nach zu ihren Erfahrungen bei dieser schier grenzenlosen «Teilerei» befragt. Was klappt? Was nervt? Wo liegen die Vor- und wo die Nachteile?

«Der Grosshaushalt ist sozusagen mein Wohnzimmer»

Eva Enderlin bewohnt eine 1-Zimmerwohnung. (Bild: Fabia Bernet)

Eva Enderlin wohnt in einer Einzimmerwohnung und teilt die Gemeinschaftsküche mit zehn weiteren Personen. Die freischaffende Sängerin mag die Mischung aus alleine Wohnen und doch oft unter inspirierenden Menschen zu sein sehr. «Die Möglichkeit des Grosshaushaltes nutze ich am meisten, es ist sozusagen mein Wohnzimmer, das ich mit vielen Leuten teile. Das ist schön.» Kommt es dennoch auch zu Konflikten? «Wir haben hier die gleichen Diskussionen und Konflikte wie in anderen Siedlungen. Den einen ist es zu laut im Innenhof, den anderen zu leer. Wichtig ist, dass man die Probleme anspricht und miteinander diskutiert».

Familienleben in der «Chalchi»

Rüdiger Kreiselmayer liest hier ein Buch im Waschsalon (Bild: Fabia Bernet)

Rüdiger Kreiselmayer lebt mit seiner Familie in der Kalkbreite. Der selbstständige Architekt hat selbst am Wettbewerb zum Bau der Genossenschaft teilgenommen, den Zuschlag aber nicht erhalten. Trotzdem wohnt er nun hier, und das sehr gerne. «Ich finde es super, dass es in der Kalkbreite genügend gedeckte Veloparkplätze gibt. Es ist alles sehr einladend und durchdacht. Es macht Spass, das Velo zu nutzen. Kombiniert mit dem grossen ÖV-Angebot ist man in der Kalkbreite sehr mobil.» Was Kreiselmayer aber vermisst, ist den eigenen Balkon; in diesem Punkt, findet er, hätte man besser planen können.

Mit der Partnerin in einer 5er-WG

David Gaus konzipierte und gestaltete die Ausleihwand. Zuerst wollte er diese online realisieren. Die Möglichkeiten der Genossenschaft mit zentralen Begegnungsorten und vielen Bewohnern boten aber die besten Voraussetzungen, diese Wand real herzustellen. Und so hängen nun die farbigen Schilder aus Magnetfolie im Treppenhaus und zeigen, was alles ausgeliehen werden kann. David ist Mitglied des Grosshaushaltes und isst mit seiner Freundin unter der Woche fast jeden Abend da «Znacht». Für ihn funktioniert das Teilen in der Überbauung in fast allen Bereichen. Einzig wenn es um das Teilen der Reinigung von Gemeinschaftsräumen geht, sieht er noch Steigerungspotenzial.

Wollen Sie mehr erfahren über das Teilen?
Hier gehts zum Dossier unseres Fokusthemas.

 

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