Die «Pikmi»-Minibusse, die abends durch Albisrieden und Altstetten cruisen, sind nicht bloss Fahrzeuge. Es sind Fahrzeuge mit Namen – und mit ganz schön viel Persönlichkeit. Dürfen wir vorstellen: Else, Eugen, Konrad, Nora, Regula und Robert.
Die Zukunft der Mobilität ist da: Die nächste Haltestelle? Gleich um die Ecke! «On demand ride pooling» heisst das. Oder Bedarfsverkehr. Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) nennen es «Pikmi». So jedenfalls heisst das Pilotprojekt, das sie am 10. November gemeinsam mit der Dienstabteilung Verkehr und dem Tiefbauamt der Stadt Zürich starteten: In Albisrieden und Altstetten können Fahrgäste während 18 Monaten jeweils zwischen 20 und 24 Uhr ihre Fahrwünsche per Smartphone-App eingeben. Sechs Kleinbusse mit je drei Sitzplätzen – «ausgeliehen» von Mobility – stehen für «Pikmi» im Einsatz. Sie haben keinen festgelegten Weg. Stattdessen werden gewünschte Fahrten abgeglichen und optimal gebündelt. Und schon fahren, je nach Bedarf, Eugen vor, oder Regula. Denn ja: Die Minibusse sind nicht einfach irgendwelche Fahrzeuge. Sie haben Namen und damit, wenn man so will, ein Gesicht.
Sie stehen (und fahren) für ein Verkehrskonzept der Zukunft. So könnte es als Tribut an die Vergangenheit verstanden werden, dass die VBZ sie nicht einfach Lara nannten, oder Liam. Sondern, in klassischer alter Manier, Eugen und Regula eben, aber auch Else, Konrad, Nora und Robert. Doch mehr als Vergangenheit (und Identitätsstiftendes) stand der Bezug zu den Quartieren im Zentrum: Alle Namen tauchen auch in Strassen- und Ortsbezeichnungen der Gegend auf. Doch mit welchen Persönlichkeiten haben wir es da eigentlich zu tun?
Else sorgt fürs Mobilitätswohl
Da ist etwa «Pikmi» Else von der Else-Züblin-Strasse. Die Strasse bildet ein Halbrund um eine Häusergruppe und den Spielplatz Albisrieden. Und Else Züblin? Selbst wenn man sie nicht kennen sollte: Die Chance ist gross, dass man dank ihr schon verköstigt wurde. Oder es erhebe den leeren Teller, wer noch nie in einem Restaurant der SV Group gegessen hat. Die Anfänge dieser heutigen Gastronomie- und Hotelmanagement-Gruppe führen zurück in die Zeit des ersten Weltkriegs. Und zu Else Züblin. Sie war’s, die damals gebeutelte Soldaten davon abzuhalten versuchte, dem Alkohol zu verfallen. Dazu gründete sie 1914 den Schweizer Verband Soldatenwohl und richtete bald rund 1000 «Soldatenstuben» in der ganzen Schweiz ein. Hier wurden die Wehrmänner gesund und alkoholfrei versorgt. Dass ihr diese Erfahrungen nach dem Krieg bei der Eröffnung von Arbeiterkantinen dienten, liegt nahe. Der Rest ist bewegte Geschichte. Züblin war aber nicht nur Unternehmerin und «Abstinenzlerin», sondern auch Journalistin und Frauenrechtlerin. Zum 60. Geburtstag wurde sie zudem zur Ehrendoktorin der Universität Zürich ernannt. Was für ein Vorbild für unseren Minibus. So gibt «Pikmi» Else heute alles, um zwar nicht das leibliche Wohl, um so mehr aber das Mobilitätswohl ihrer (Fahr-)gäste zu garantieren.
Bei Eugen bleiben die Plätze nicht leer
An ihr kommt man in Altstetten nicht so leicht vorbei: Die Eugen-Huber-Strasse zieht sich parallel zur Rautistrasse fast durchs ganze Quartier. Als Taufpate für «Pikmi» Eugen drängte sich dieser Eugen Huber also quasi auf. Noch nie von ihm gehört? Gelesen aber sicher! Stichwort gefällig? Das ZGB. Huber hat’s verfasst, das Schweizerische Zivilgesetzbuch, im Auftrag keines geringeren Gremiums als des Bundesrates. Beruflicher Erfolg und Einfluss waren dem Juristen also offensichtlich nicht verwehrt geblieben. Eine kleine Schmach, zumindest in jüngeren Jahren, musste er aber durchaus verbuchen: Zwar durfte er bereits mit 24 Jahren an der Universität Zürich dozieren. Doch hielt er seine erste Vorlesung «Die schweizerischen Stadtrechte» im Sommersemester 1873 angeblich vor leeren Rängen. Ob es am Thema lag, am Wetter oder am noch jungen Dozenten? Man weiss es nicht. Locker weggesteckt hat Huber es nicht. Auch viele Jahre später und als erfolgreicher Professor, u. a. auch an den Unis Basel und Bern, soll er zu Beginn des Semesters noch nervös gewesen sein und sich regelmässig gewundert haben, ob wohl auch jemand seine Vorlesung besucht. Etwas zumindest scheint sicher: Dieses Schicksal dürfte «Pikmi» Eugen erspart bleiben. Denn «on demand ride pooling» und Leerfahrten…? Eben! Nicht nur als Jurist war Huber übrigens erfolgreich. 1902 wurde er auch FDP-Nationalrat.
Robert macht seinen Weg
Und dort, im Nationalrat, wäre Eugen fast auf Robert gestossen. Nicht auf «Pikmi» Robert. Diesen würde Minibus Eugen eher in der Gegend des Robert-Seidel-Hofs antreffen, zwischen Badener- und Hohlstrasse. Im Nationalratssaal aber gaben sich Eugen Huber und Robert Seidel anno 1911 quasi die Türklinke in die Hand. Denn während Hubers Nationalratszeit am 3. Dezember endete, nahm Seidel per 4. Dezember seinen Sitz ein. Politisch allerdings war er mit FDP-Mann Huber kaum in der gleichen Fahrbahn unterwegs: Seidel war Sozialdemokrat und gehörte in der Arbeiterbewegung zu den Repräsentanten des linken Flügels. Der gelernte Tuchmacher war 1870 aus Deutschland nach Zürich emigriert, denn Otto von Bismarck agierte repressiv gegen die Sozialdemokratie. In den 1890er-Jahren war Seidel Chefredaktor der Arbeiterstimme, dem offiziellen Organ der SP Schweiz. Auch soll er im Briefwechsel mit Rosa Luxemburg gestanden haben. Bevor er Nationalrat wurde, war er für die SP im Grossen Stadtrat und im Kantonsrat von Zürich. Damit nicht genug, denn er habilitierte auch als Pädagogikdozent und lehrte an der Uni Zürich und der ETH. Eine schöne Laufbahn, wahrlich! Aber auch unser Robi wird seine vorbestimmten Wege finden. Und gerne auch fahren.
Die Bodenständige von der Strasse: Nora
Nach all den unternehmerischen, akademischen und politischen Grössen verleiht sie dem «Pikmi»-Fahrzeugteam etwas Bodenständiges. So ist sie buchstäblich die Frau von der Strasse. Während alle anderen fünf «Pikmi»-Fahrzeuge prominente Vorbilder haben, ist die zwischen Bullinger- und Badenerstrasse verlaufende Norastrasse nämlich einfach… die Norastrasse. Und ihre Nora ist einfach, ja, die Nora. Doch auch sie hat ihre Geschichte, die im Jahr 1930 begann. Hauptanstösser der Strasse war damals eine Firma Junker und Ferber, vormals Aktiengesellschaft Nova-Werke, die in der Fabrikation und Reparatur von Autobestandteilen tätig war. Die Firma schlug vor, die Strasse «Nova-Strasse» zu nennen. Der stadträtliche Vorschlag dagegen lautete Norastrasse, wie aus dem Stadtratsbeschluss vom 8. Februar 1930 hervorgeht. Wegen der Ähnlichkeit mit Nova? Der Schluss liegt nahe, muss aber Vermutung bleiben, denn weitere Belege fehlen. Übrigens ist der Name Nora – neben einer Kurzform für Eleonora – auch eine modernere Form von Norberta. Das heisst so viel wie die Glänzende aus dem Norden. Nun, die «Pikmi»-Busdame Nora glänzt bestimmt, auch wenn sie eher in Zürichs Osten fährt.
Regula freut sich auf weltliche Fahrgäste
Von der Strasse direkt in höhere Sphären. Denn jetzt wird’s heilig: Minibus Regula hat jene Regula als Patin, die gemeinsam mit Felix die Kirche zu St. Felix und Regula an der Hardstrasse und den Felix und Regula-Platz ebendort bezeichnet. Wer in Zürich zur Schule ging, weiss: Da war doch was… genau, die Stadtpatrone. Auch ein Blick aufs Zürcher Stadtsiegel frischt das Gedächtnis auf, denn da sind sie drauf, die Geschwister Regula und Felix, mit ihrem Diener Exuperantius. Und mit Köpfen in Händen. Der Legende nach flüchteten die drei im frühen 4. Jahrhundert wegen ihres christlichen Glaubens vor den Römern. So kamen sie nach Zürich, wo sie als erste Verbreiter des Christentums gewirkt haben sollen. Doch auch hier wollte der römische Statthalter, dass sie ihrem Glauben abschwören. Weil sie sich weigerten, liess er sie köpfen. Kopflos aber haben sie sich wieder erhoben, die Köpfe unter den Arm genommen und zur Stelle bewegt, wo sie begraben werden wollten. Heisst es. Genau dort wiederum soll viele Jahre später das Pferd von Karl dem Grossen in die Knie gegangen sein. Er liess das Grab ausheben und das Grossmünster darüber errichten. Die Gebeine erhielten ihren Platz in der Zwölfbotenkapelle. Aber nur bis der Heiligenkult in der Reformationszeit abgeschafft wurde. Und hier lässt Zwingli grüssen. Irgendwie, man weiss nicht wie, tauchten die Überreste später in der Pfarrkirche Andermatt auf und inzwischen sind Stücke davon wieder nach Zürich «heimgekehrt», und zwar in «unsere» namensgebende Kirche zu St. Felix und Regula mit Baujahr 1950. Und «unsere» Regula? Sie freut sich trotz heiliger Namensvetterin auf all ihre weltlichen Fahrgäste.
Konrad: ganz der vierrädrige Typ
Auch «Pikmi» Koni, pardon Konrad, verfügt über einen Namensvetter, der sich als Heiliger die langfristige Berühmtheit sichergestellt hat: Dieser nämlich ist Patron der Kirche St. Konrad an der Fellenbergstrasse in Albisrieden. Gut bekannt ist und war er unter dem Namen Konrad von Konstanz. Er lebte in der Zeit um 900 nach Christus und amtete über vierzig Jahre lang als Bischof in… klar, Konstanz. Dabei soll er ziemlich mildtätig und fromm gewesen sein. Und selbstbeherrscht. Denn während einer Ostermesse fiel angeblich eine Spinne in seinen Kelch mit bereits geweihtem Wein. Diesen wollte er nicht wegschütten. So trank er den Wein und schluckte die Kröte, in seinem Fall die Spinne, ohne dabei mit der geistlichen Wimper zu zucken. Wie sich die Spinne dabei fühlte, ist nicht überliefert. Immerhin: Sie hätte es kaum überlebt, wäre Konrad kein Heiliger gewesen. So aber krabbelte sie bald darauf unbehelligt, wenn auch vielleicht leicht traumatisiert, aus seinem Mund und ging ihrer Wege. Dies zumindest besagt die Legende. Nun, wie es «Pikmi» Koni mit Achtbeinern hat? Wissen wir nicht. Selber jedenfalls ist er ja mehr der vierrädrige Typ. Als solcher – und dies wissen wir nun mit Bestimmtheit – ist er wie gemacht, um für eine Fahrt von A nach B gerufen zu werden!
Gute Fahrt!