Stillleben im Depot

Bekannt ist das Künstlerpaar «HenziHenzi», namentlich Paula Henzi-Koivu und ihr Partner Daniel Henzi, vor allem für seine Landschaftsbilder. Weil die Fahrzeuge der VBZ zur Zürcher Landschaft unzweifelhaft dazugehören, hat Henzi-Koivu eine atmosphärische Serie von Werken geschaffen, die das Tram und seine Umgebung zum Motiv haben. 

Was haben ein Tramdepot und ein finnischer Birkenwald gemeinsam? Eine sinnliche Ausstrahlung und das Spiel von Licht und Dunkelheit. Die Künstlerin Paula Henzi-Koivu bannt die magische Stimmung dieser so unterschiedlichen Objekte fotorealistisch auf Leinwand. In ihrem Zuhause in Wipkingen zeigt uns die Kunstmalerin, gemeinsam mit ihrem Partner Daniel Henzi, ihre Bildserie mit Szenen mit, im und rum um das Tram.

Keine Extravaganzen, die auf ein Künstlerpaar schliessen lassen: Paula Henzi-Koivu kommt schlicht und klassisch daher, ihr Mann leger im Shirt einer Heavy Metal-Band. Allein die ästhetische Einrichtung in der Wohnung des Ehepaars, die Bilder an den Wänden und der wache Blick der beiden verrät die kreativen Köpfe.

Ein natürliches Zürcher Geräusch

Geschaffen wurden die Werke mit Tramsujets in den 90er-Jahren. Dass es überhaupt zu dieser Hommage an den Zürcher ÖV kam, ist der Liebe geschuldet. Ursprünglich hatte die Finnin anno 1973 nämlich nur ein Jahr in der Schweiz bleiben wollen, lernte dann aber zwei Wochen nach ihrer Ankunft ihren Berufskollegen, den Dekorationsgestalter Daniel Henzi kennen – und blieb.

Auch wenn die Zürcher Trams und Busse den Elchtest zweifelsfrei bestehen würden, ist der Schritt vom finnischen Wald hin zum Tram 2000 nicht zwingend naheliegend. Warum also diese Motivwahl? «Ich male das, was Teil meines Alltags ist – und zwar so, dass die Grenzen zwischen Fotografie und Malgrund verschwimmen», erklärt die Naturliebhaberin. Die Trams hätten sich ihr dabei vor allem akustisch aufgedrängt, «wir haben sie immer gehört», schmunzelt sie. Das sei aber keineswegs störend gewesen, vielmehr «ein Geräusch, das sich natürlich in unser Umfeld einfügt», wie sie betont. Man könnte das Ehepaar Henzi wohl auch ÖV-Fans nennen: Künstler Henzi, der aufgrund seiner MS-Erkrankung im Rollstuhl sitzt, hebt hervor, wie sehr er es schätze, in Zürich mobil bleiben zu können: «Das ist nicht selbstverständlich, früher war es noch nicht so. Ich hatte schon erlebt, dass ich an der Ziel-Haltestelle nicht aussteigen konnte, weil sie nicht niederflurig war.»

Ein Statement seien die Motive dennoch nicht, ergänzt Henzi-Koivu: «Ich male intuitiv und versuche nicht, das Bild mit einer psychologischen Bedeutung aufzuladen.» Natürlich gewinne man aber eine neue Perspektive auf die Umgebung, indem man diese auf der Suche nach neuen Blickwinkeln bewusster wahrnehme, so die Wahlzürcherin.  Ganz ohne Psychologie geht es dann doch nicht, wie sie uns verrät: «Die etwas dunkel gehaltenen Bilder haben eine sehr persönliche Bedeutung für mich – in dieser Phase hatte ich eine mir nahestehende Person verloren.»

Fotorealistische Werken dank Rastertechnik und sturer Unnachgiebigkeit

Den ihr eigenen fotorealistischen Stil erreicht die Kunstschaffende, indem sie ihr Sujet zunächst mit einer Kamera einfängt und per Rastertechnik, hauptsächlich mit Acryl, auf die Leinwand überträgt: Ganz nach dem Vorbild anderer bekannter Künstlerinnen und Künstler wie Audrey Flack oder Richard Estes. Die Vorlage mit Lupe und Pinsel Punkt für Punkt zu übertragen, braucht Präzision und Beharrlichkeit. «So bin ich. Natürlich würde ich auch gerne, wie mein Mann, abstrakt malen können – aber das liegt mir nicht», erklärt sie, und ihr Partner flachst:  «Du bisch ebä en Tüpflischisserin.» Der 68-jährige arbeitet selber ohne Vorlage und experimentiert gerne mit verschiedenen Materialen, beispielsweise mit Filz. Obschon sie sich kopfschüttelnd versichern, dass sie unmöglich im Stile des jeweils anderen arbeiten könnten, finden sich durchaus Gemeinsamkeiten – etwa bei der Liebe zu Finnland, wie der übergrosse Elch, ein Werk von Daniel Henzi, an der Wohnzimmerwand verrät.

Ihr anspruchsvolles Wirken stellte für die Mutter zweier erwachsener Söhne zunächst vor allem einen Ausgleich zu ihrer Tätigkeit als Dekorationsgestalterin – «ich habe meinen Beruf geliebt!» – und ihrer Rolle in der Familie dar. Das präzise Malen hat nämlich auch eine meditative Wirkung, wie sie sagt. Früher habe sie dazu gar klassische Musik gehört. Heute bevorzugt sie Hörbücher als Begleitung für ihr Schaffen. Vor allem Biografien von Künstlern liebe sie sehr: «Der Japaner…» wirft ihr Mann ein, sie nickt begeistert: «Haruki Murakami, ein fantastischer Autor. Seine Art zu schreiben ist so flüssig und angenehm.»

Die «sture Unnachgiebigkeit», wie Henzi-Koivu es selber nennt (und doch nicht so wirkt), kommt ihr nicht nur in der Kunst zugute, sondern auch im Alltag – gerade auch im Zusammenhang mit der Erkrankung ihres Mannes. Freiheit, Unabhängigkeit und Individualität seien ihnen sehr wichtig, erklärt das Paar. Um diese zu wahren, verzichten sie auf jegliche externe Unterstützung, welche ihren Tagesablauf in eine starre Struktur zwingen würde. Hinter der bescheidenen Haltung und der sanften Stimme Henzi-Koivus steckt die Kraft zur Ausdauer. Wenn Sie ein Werk beginne, lässt sie uns wissen, denke sie anfänglich immer: «Das gibt nie etwas!» Trotzdem bleibe sie dran, bis sie dem Resultat näher und näher kommt.

Die Henzis sind seit fast 50 Jahren das perfekte Team. (Foto: VBZ)

Die kreative Familie hält zusammen

Das Licht der Welt erblicken die Bilder übrigens nicht im sonnendurchfluteten Atelier, sondern im Keller. Ein buntes Sammelsurium von Farben, Materialien, Pinseln, ja gar eine alte Druckmaschine drängen sich dort im Untergrund dicht an dicht. Es sei ja kein eigentliches Atelier, meint die 71-jährige, sondern einfach ein Arbeitsraum. Einen luxuriöseren Werkraum braucht sie auch nicht: «Das ist mein kleines Paradies, ich fühle mich sehr wohl hier.» Übrigens nicht nur sie, auch die Enkelkinder seien sehr gerne in diesem kunterbunten Raum, erzählt sie, wo sie ihre ersten künstlerischen Gehversuche wagen. Die Kreativität der Grosseltern reicht bis zu den Enkeln. Auch der jüngere Sohn, erzählt das Ehepaar stolz, spiele in der Folk Metal-Band Cellar Darling und sei schon durch die ganze Welt getourt.

Seit bald 50 Jahren ergänzen sich die beiden als ein perfektes Team. So haben sie ihre Werke anno 2012 in einer gemeinsamen Ausstellung des Kunstvereins Frauenfeld der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Kunst, das ist seit jeher ihr Leben – und das soll so bleiben. Deshalb hat die Zusammenarbeit der beiden eine neue, tiefere Dimension erreicht: Damit Henzi, der aufgrund seiner Krankheit den Pinsel selber nicht mehr zu schwingen vermag, weiterhin schöpferisch tätig sein kann, setzt Henzi-Koivu unterdessen, nebst ihren eigenen Projekten auch die Werke ihres Mannes um – nach dessen Anleitung. Wie das trotz der Gegensätze des Paars funktioniert, erklärt Henzi selbst: «Aktuell arbeiten wir an Skulpturen, bei denen ich klare Instruktionen geben kann, was wie gemacht werden soll. Wenn es um ein tiefgründigeres Bild ginge, wäre es natürlich schwieriger. Ich könnte beispielsweise nicht sagen, ‹mal mir einen Elch› – das würde kaum zu einem Resultat führen, wie ich mir vorgestellt habe.» Möglich ist so etwas, nebst der gemeinsamen Leidenschaft für die Kunst, nur dank einer weiteren lebenslangen, grossen Liebe: Jener des Paares Henzi sich selbst gegenüber.

 

*Wer sich für die Werke interessiert, erhält den Kontakt über unsere Redaktion

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