Stadtgeschichten auf der Linie 3

Wo sich Menschen bewegen, passieren Geschichten. Und wenn sie nicht passieren, werden sie erfunden. Die «KASSETTE. für projekte» und die Buchhandlung am Hottingerplatz forderten in einem Wettbewerb Stadtreisende dazu auf, solche Geschichten und Beobachtungen rund um die Tramlinie 3 festzuhalten. Die prämierten Texte möchten wir hier gerne vorstellen. Auf dem dritten Platz finden sich zwei Texte, den zweiten, ein Gedicht in drei Sprachen, hat Markus Hediger verfasst.

DANS LE TRAM 3
Ein Gedicht von Markus Hediger

Dans le tram 3, depuis ma banquette,
je vois un homme assis seul derrière
un autre homme en lui-même emmuré
et seul devant quelqu’un d’affalé.

Cet homme entre blond et blanc, lunettes,
est penché sur un livre qu’il coche,
crayon à la main, de cils de lune
à peine affleurant sur la blancheur

des bords ou s’en effaçant à peine.
En me dirigeant vers la sortie,
je vois que sa lecture est de poèmes
et je lis au vol : Dans le tram 3…

IM DREIER-TRAM

Im Dreier-Tram, von meiner Bank der
Blick auf einen Mann, allein, hinter
einem andern, allein, vermauert,
vor dem dritten, auch allein, und schlaff.

Der Mann, zwischen blond und weiß, Brille,
ist über ein Buch gebeugt, das er,
Bleistift in der Hand, mit Mondwimpern
markiert, kaum aufscheinenden, im Weiß

der Ränder, oder kaum verblassend.
Ich geh auf die Tür zu und sehe,
er liest Gedichte, und ich, im Vor-
beigehn, lese: Im Dreier-Tram

SUL TRAM 3

Sul tram 3, dal mio sedile,
vedo un uomo seduto solo dietro
a un altro uomo in se stesso murato
e solo davanti a un tizio accasciato.

Quest’uomo tra biondo e bianco, occhiali,
è chino su un libro che segna,
matita alla mano, con ciglia di luna
che appena affiorano sul biancore

dei bordi o sbiadiscono appena.
Avviandomi verso l’uscita,
vedo che sono poesie la sua lettura
e leggo al volo: Sul tram 3

Über den Autoren

Markus Hediger, 1959 in Zürich geboren. Studium der Romanistik und Literaturkritik an der hiesigen Universität. Autor der direkt in französischer Sprache verfassten Gedichtbände Ne retournez pas la pierre (1996), En deçà de la lumière (2009) und Pour que quelqu’un de vous se souvienne (2013). Eine zweisprachige Anthologie seines lyrischen Schaffens ist im Wolfbach Verlag, Zürich, erschienen: Va-t’en. Oublie / Geh. Vergiss (2014). Das Tram 3 benutzt er jeden Tag, um an den Hauptbahnhof und von dort in alle Welt zu gelangen. Oft liest oder schreibt er während der Fahrt oder beobachtet das Treiben der Leute und wird dabei Zeuge von Bemerkungen, Gesprächen oder Monologen der Passagiere. Viele seiner Gedichte haben als Handlungsort das Tram oder Tramhaltestellen.

Platz 1: Rückblitze, ein Text von Karin Schneider

Platz 2: Once upon a Time in the West im letzten Tram, von Yvonne Léger

Platz 3 zum ersten: De Dreier, ein Lied von Heini Möckli

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