Was 400 Meter Höhenunterschied ausmachen können
Ich kann mich noch gut an jenen Moment erinnern, als ich drei oder vier Jahre nach dem Mauerfall in Berlin auf dem Bahnsteig des Bahnhofs Zoo stand. Ich wartete als Fahrgast auf meine S-Bahn in Richtung Wannsee, als eine kleine Gruppe bestehend aus fünf Bundeswehrsoldaten die Rolltreppe herauf kam und sich ebenfalls auf dem Bahnsteig postierte – mit umgehängten Sturmgewehren und in Tarnkleidung. Ich fuhr etwas zusammen, denn der Anblick von Angehörigen der Bundeswehr war zu diesem Zeitpunkt noch eine grosse Seltenheit. Die Alliierten sah man nie in Uniform und erst recht nicht bewaffnet in den Verkehrsmitteln von West-Berlin. Viele Jahre später, als ich bereits in Zürich lebte, wollte ich mit der Linie 13 in die Innenstadt fahren und wartete am Meierhofplatz auf ein Tram, als sich ein in Zivil gekleideter Mann mit Sturmgewehr ebenfalls auf dem Perron einfand. Er war wohl auf dem Weg zum Pflichtschiessen. Wieder dauerte es eine ganze Zeit, bis ich mich an den Anblick gewöhnte. Ich kannte es einfach nicht, dass bewaffnete Personen den öffentlichen Verkehr vollkommen selbstverständlich nutzten.
Mittlerweile ist dieser Anblick für mich zur Normalität geworden. Seitdem ich in Zürich lebe und inzwischen selbst Fahrgäste im Auftrag der VBZ befördere, habe ich einen Blick dafür entwickelt, welche Bedeutung Bus und Tram für die hier lebenden Menschen haben. Waren in Berlin Bus, U-Bahn, S-Bahn und Tram vorwiegend das Fortbewegungsmittel von Arbeitnehmenden, Studenten, umweltbewussten oder sparsamen Menschen, so werden sie hier in Zürich von nahezu allen Schichten benutzt. Es geschieht zwar nicht oft, aber es ist auch nicht ungewöhnlich, wenn einer der Fahrgäste einen gewissen nationalen oder sogar internationalen Rang und Namen aufweist und sich als Fahrgast unter das «ganz normale Durchschnittsvolk» mischt. Diese besonderen Fahrgäste machen meinen Beruf zwar interessant, was mich an meinem Beruf weitaus mehr anspricht, ist etwas anderes.
Je nachdem, was unsere Fahrgäste vor haben und welche Jahreszeit gerade herrscht, wandelt sich das Bild. Lediglich ganz selten konnte man in Berlin Fahrgäste sehen, die mit Schlitten bewaffnet Richtung Trümmerhaufen «Teufelsberg» fuhren (nur um meistens mit einem vollends in Einzelteile zerlegten Schlitten wieder die Heimreise anzutreten). Hier in Zürich werden ganze Wagenladungen von Snowboards und Skiern in Richtung nahe liegenden Alpen verfrachtet, sobald der erste Schnee gefallen ist. Im Frühling und im Sommer tauschen unsere Fahrgäste ihre Strassenschuhe gegen Wanderstiefel. In Berlin begnügte man sich mit leichtem Schuhwerk, der Grunewald und die zahlreichen Parkanlagen Berlins sind nun einmal bei weitem nicht so anspruchsvoll. Hier ist es selbstverständlich, praktisch «badefertig» zum See oder an die Limmat zu fahren, oft ausgestattet mit tragbarem Grill, Getränken aller Art und anderem Material. In Berlin habe ich das damals so nur selten gesehen. Viele Bewohner Zürichs fahren chic gekleidet ins Schauspielhaus und in die Oper, stehen und sitzen vollkommen selbstverständlich neben Freizeitsportlern in verschwitzter Kleidung, den Bankern vom Paradeplatz, Jugendlichen auf dem Weg ins Nachtleben, Politikern, Künstlern, Ausländern aus aller Welt. Auch das habe ich so in dieser Form damals in Berlin nur selten gesehen.
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Inzwischen hat sich vieles in meiner Heimat geändert. Zürich ist auch kleiner als Berlin, wodurch man solche Spiegelbilder eines Lebensstils hier weitaus öfter und konzentrierter betrachten kann, als in der Hauptstadt des «grossen Nachbarkantons». Obwohl ich Zeit meines Lebens die öffentlichen Verkehrsmittel an den verschiedensten Orten intensiv genutzt habe und auf diese Weise viele Eindrücke von einem Land, einer Stadt und einer Gesellschaft gewinnen konnte, unterscheidet sich zumindest Zürich deutlich von denen, die ich so bisher durchfahren habe. Während die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, London, Ludwigshafen, Paris, Istanbul, Stuttgart, Bonn und vielen anderen Städten auf mich wie ein wenig geliebtes Mittel zum Zweck wirkten und oft nur einen kleinen Einblick in die Gesellschaft einer Stadt oder eines Landes boten, so sind Bus und Tram der VBZ das Gegenteil davon. Wer einen Eindruck gewinnen möchte, wie man hier in Zürich lebt, dem empfehle ich jedenfalls das eigene Auto stehen zu lassen und unsere Fahrzeuge zu benutzen. Ein vielfältigeres, schillernderes und interessanteres Bild der Lebensweise der Bewohner dieser Stadt werden Sie in dieser konzentrierten Form kaum anderswo antreffen.