Unser Trampilot Jens Liedtke macht in seinem Berufsalltag regelmässig interessante Beobachtungen, die er für VBZOnline in kolumnenartigen Texten aufarbeitet. Das heutige Thema: Ein Lamborghini ist teuer – der Blick aus dem Führerstand jedoch unbezahlbar.
Vor einiger Zeit unterhielt ich mich in einer Arbeitspause mit einer sehr geschätzten Kollegin über das, was uns an mehr oder minder «schönen Aussicht» über den Weg läuft, wenn wir an einer Haltestelle den Fahrgastwechsel tätigen oder auf unser Tram warten.
Die Kollegin meinte also: «Wenn ich da am Paradeplatz stehe, und mir so die Damen dort ansehe, ja, da kann man richtig neidisch werden.»
Ich stutzte ein wenig, nicht ob ihrer Aussage, sondern wegen meiner eigenen Reaktion darauf. Nicht nur am Paradeplatz, auch an zahlreichen anderen Orten der Limmatstadt wandeln viele Menschen, die ein gepflegtes Erscheinungsbild aufweisen; teilweise natürlich gewachsen, oftmals aber auch kräftig unterstützt von der Schönheitsindustrie. In Zürich liegt nun einmal das Geld nicht auf der Strasse, es wird oft auf der Haut getragen, nicht selten auch darunter in Form von farbigen Darstellungen und Figur-verändernden Mitteln (wussten Sie, dass Silikon einstmals das Zufallsprodukt der chemischen Forschung zur Erzeugung künstlichen Nebels zur Verhinderung von Bombenangriffen war?). Bei einigen ist das Ausdruck des eigenen Status, bei anderen aber auch der Versuch, eine endliche Jugend unendlich erscheinen zu lassen – mit mehr oder minder grossem Erfolg.
Jedem Tierchen sein Plaisierchen
Eigentlich ist es mir grundsätzlich egal, wie sich jemand kleidet, «modifiziert» oder bewegt. Zugegeben: Auch ich stolpere ab und an über so manch einen Anblick. Meistens handelt es sich dabei um den gescheiterten Versuch, eine verwelkte Jugend am Blühen zu halten (der Berliner Volksmund hat dafür eine beissende, aber sehr treffende Umschreibung: „Von hinten Lyzeum, von vorne Museum!“).
Insbesondere am Paradeplatz erscheint mir diese besondere Art der Indvidualisierung (die natürlich durch entsprechende Kleidung noch betont wird) seltsamerweise immer mehr als Uniformität; umso mehr Mühe sich diese Menschen geben, nicht nur gepflegt, sondern auch einzigartig zu sein, umso mehr nähern sie sich optisch uns Fahrdienstleistenden an.
Das mag jetzt nach einem Widerspruch klingen. Aber was ich damit meine: In Zürich setzen so viele Menschen alles daran, irgendwie aufzufallen, zum Paradiesvogel zu werden, ihre teure Individualität zur Schau zu stellen – dass dieses Besondere plötzlich zum Normalen wird. Und bald darauf gar zur neuen Einheit, zum Uniformen, weil Trendbewusste von Trendsettern kopieren, weil man hier bestimmte Mode-Label, Skateboards oder Accessoires einfach haben muss, um dazuzugehören, um «Etwas» darzustellen – und sei es nur für wenige Tage.
Kleider machen Leute – aber Mietwagen?
Dabei habe ich wirklich bahnbrechend Neues an Modekreation oder Körpermodifikation in Zürich seit meiner Ankunft aus Berlin vor zwölf Jahren nicht gesehen. Dafür habe ich aus meiner exklusiven Tramführerwarte einmal eine Beobachtung machen können, für die Zürich (wie ich es kenne) weltweit wohl tatsächlich einzigartig sein dürfte:
Es war ein Mann um die 60, der mit seinem toupierten silbergrauen Haar, der Solarium-gebräunten Haut, dem hellblauen, leger über sein pink-farbenes Polo-Shirt geschwungenen Pullover und Segelstoff-Schuhen ohne Weiteres als Moderator der TV-Sendung «Musikantenstadl» hätte durchgehen können. Dieser Mann mietete sich, als ich eben stadtauswärts fuhr, an der Feldeggstrasse im Seefeld ein orange-farbenes Lamborghini-Cabrio. Sie wissen schon: Furchtbar laut, grauenhaft schnell und nicht eben freundlich zum Tankstellen-Portemonnaie; kurz: ein Gefährt, das in der permanent verkehrsüberlasteten Limmatstadt absolut keinen Sinn macht – es sei denn, man möchte um jeden Preis auffallen.
Auf dem Rückweg vom Bahnhof Tiefenbrunnen zum Farbhof sah ich eben jenen Mann erneut, wie er am Paradeplatz (!) jenen Lamborghini Cabrio, vor dem Gebäude der UBS auf der Strasse abgestellt, mit einer eher mittelmässigen Kompaktkamera ablichtete.
Eine volle Runde später krachröhrte jener Mann zwischen Bürkliplatz und Bellevue an mir vorbei, Fahrtrichtung Seefeld, nun begleitet von einer weitaus jüngeren Dame, schönheitschirurgisch ähnlich modifiziert (vielleicht aber auch restauriert?), wie er selbst.
Anderes Setting, gleiche Wirkung
Wenige Wochen später sah ich den selben Mann erneut an der Feldeggstrasse, er wollte sich erneut einen Lamborghini mieten, dieses mal die Coupé-Variante in aschgrau-metallic. Auch die Frau sah ich kurz darauf wieder, in einem anderen Cabrio (Mercedes SLK-Klasse), auf der Linie 8 an der Stockerstrasse, in Begleitung eines anderen Mannes, der ebenso weitaus älter als sie war und der ebenfalls als Moderator der besagten Volksmusiksendung hätte durchgehen können.
Die Moral der Geschichte? Kaum jene, die Sie, werte Leserin, werter Leser, erwarten. Denn nein, auch wenn man als Trampilotin oder als Trampilot mit der dazugehörigen Uniform (insbesondere auf dem Eitelkeits-Jahrmarkt Paradeplatz) wahrhaft schwerlich punkten kann, ist es keinesfalls Neid, der aus diesen Zeilen spricht, ganz im Gegenteil: Es ist vielmehr das unbezahlbare Privileg, vom Führerstand aus tagtäglich dieses limmatstädtische Panoptikum der Eitelkeiten beobachten und geniessen zu dürfen – und dafür verzichten wir «da vorne» noch so gern auf Lamborghini & Co.