«Wo wir fahren, lebt Zürich»: Unser Versprechen gilt in guten Zeiten und auch in diesen. Zürich lebt, auch wenn es gerade etwas aus dem Takt gekommen ist. Darüber, wie es unserer Stadt und ihnen so geht, erzählen Zürcherinnen und Zürcher gemeinsam mit uns in der Serie #sogahtsZüri. Diesmal berichten Céline Tschanz und Florian Bobst, wie es war, als sie sechs Tage nach der Eröffnung ihr neues Restaurant Falken an der Schmiede Wiedikon wegen dem Lockdown wieder schliessen mussten.
Als sich der erste emotionale Sturm gelegt hatte, die Gedanken wieder klarer wurden, versuchte ich, mir eine gewisse Übersicht zu verschaffen – indem ich jene Dinge notierte, die ich wegen des Corona-Lockdowns am meisten vermisse.
Natürlich standen die Treffen mit Eltern und Freunden zuoberst auf der Liste. Auch mein Lieblingstoilettenpapier kam mir rasch in den Sinn (wir steckten da noch in der Phase der bekloppten Hamsterkäufe, ich war zum Kauf vom M-Budget-Papier verdammt; wer aus Kindheitstagen noch weiss, wie es sich anfühlt, von Kollegen mit entblösstem Hintern über einen Kiesboden geschleift zu werden – ganz so schlimm ist es nicht). Und dann? Die Spiele des FCZ oder von Liverpool? Abgesagte Konzerte? Die gelegentlichen Auftritte als DJ? Nein, all das folgte später. Als Drittes schrieb ich auf den Zettel: «Gemütliches Essen bei Céline und Flo».
Gemeint waren Céline Tschanz und Florian Bobst vom Hardhof am Albisriederplatz. Da hatten sie ab Juli 2013 bis vor rund zweieinhalb Monaten gewirtet, da war ich zu ihrem Gastro-Groupie geworden. Angefangen hatte alles vor langer Zeit mit ein paar harmlosen Bierchen vor den FCZ-Heimspielen im nahen Letzigrund. Eines Abends gesellte ich mich dann spontan zu einer Runde, die in diesem Restaurant ihr rituelles «Znacht mit Jass» durchführte – und realisierte zum ersten Mal, wie köstlich im Hardhof gekocht wird.
Aus Stippvisiten wurden regelmässige, immer gmögigere Besuche. Ich ging mit Kumpels oder der Herzensdame, gab mir den herrlich deftigen Wurstabend am Mittwoch, machte viele der spannenden saisonalen Ausflüge mit, und in den letzten zwei Herbstsaisons gönnte ich mir mit Freunden dann endlich auch noch die Krönung, sprich die berühmte Hardhof-Metzgete, die auf Stadtgebiet wohl ihresgleichen suchte.
Hat sich in den letzten Jahren dann und wann jemand nach meiner Stammbeiz erkundigt, sagte ich: «Hab ich nicht, dafür bin ich in kulinarischen Belangen zu abenteuerlustig, flatterhaft, zu neugierig. Doch ich hab den Hardhof, das genügt.»
Plötzlich wurde der Traum real
Diese quasi-heimatlichen Gefühle teilte ich mit verblüffend vielen Menschen. Wir alle wussten: «Schuld» daran ist der gefitzte und gewitzte Charme von Céline, Flo und ihrer familiären Crew. Und wir alle dachten: So könnte es eigentlich für immer weiter gehen.
Doch das Liebes- und Wirtepaar – es ist seit 20 Jahren unverheiratet liiert und Eltern zweier Söhne (17 und 15) und eines Mädchens (11) – hatte andere Pläne. Im Hardhof, der zur Gruppe Beffa-Gastro (unter anderem Aargauerhof, Blockhus, Gambrinus, Weisses Kreuz) gehört, waren die beiden «bloss» angestellt. Ihr Lebenstraum jedoch war das eigene Lokal; ein Restaurant, das sie vollends nach ihrem Gusto gestalten und betreiben konnten.
Im letzten Jahr wurde dieser Traum plötzlich Realität. Tschanz und Bobst, die ihre gastronomische Karriere unabhängig voneinander Ende der 90er-Jahre als quer eingestiegene Serviceangestellte im Rosaly’s am Bellevue begonnen hatten, wagten im März 2019 den Schritt, sich für das von der Stadt neu ausgeschriebene Restaurant Falcone bei der Schmiede Wiedikon zu bewerben – drei Monate später erhielten sie den Zuschlag. «Ein Haus, in dem vor 400 Jahren eine erste Gaststube eröffnet worden war, das einen grossen Garten und einen Bankettsaal hat und im Quartier steht, in dem wir seit 20 Jahren wohnen und verwurzelt sind – es war fast surreal schön», so die Gerantin.
Und es ging gut weiter. Ab Oktober wurde parallel zum Tagesgeschäft im Hardhof mit Thomas Müller von der Innerachitkturfirma Decoris das Gestaltungskonzept für das künftige Lokal verfeinert. Bobst sagt, es sei nicht geplant gewesen, das ganze Haus aufzufrischen, «letztlich wurden nun aber doch die meisten Räume neu gestaltet, Toiletten und Fumoir inklusive.» Zudem hatten die neuen Pächter entschieden, dem Traditionsgasthof den ursprünglichen Namen – also Falken – zurückzugeben.
Danach tastete man sich organisatorisch an die ungleich grösseren Verhältnisse heran – allein der Saal verfügt über 140 Plätze, auf der Terrasse können 100 Leute bewirtet werden –, sprich man stellte Service- und Küchenpersonal an und nahm erste Reservationen für Firmenessen, Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern entgegen. Alles lief besser als erhofft, trotz der Doppelbelastung und daraus resultierenden 16- bis 18-Stundentagen.
Mitte Februar dieses «annus horribilis» (um es mit einem geflügelten Wort von Queen Elisabeth II. zu formulieren) ging dann die Ära Tschanz/Bobst im Hardhof zu Ende. Obwohl es nicht ihr eigenes Lokal gewesen war, hatten sie eine Menge Herzblut reingesteckt und die Quartierbeiz dank ihrem Stil zur stadtbekannten Adresse hochgewirtschaftet. Auch deshalb fiel ihnen das letzte Loslassen und die Übergabe in neue Hände nicht leicht. Dennoch, betonen sie unisono, habe es sich richtig angefühlt, «die Zeit war reif.»
Das Eröffnungsfest war bereits geplant
Um das neue Abenteuer mit Bedacht anzugehen, setzten sie bewusst auf ein Soft-Opening: Ein erstes Bankett anfangs März, danach nochmals alles justieren, am 10. März still eröffnen; ohne Werbung und vorerst auch ohne Medienmitteilung, das Eröffnungsfest wurde auf den 26. März datiert – bis dahin, so die Annahme, würden sich die Arbeitsabläufe und das Team eingespielt haben.
Doch dann kam es dramatisch anders. Am 16. März, gerade mal sechs Tage nach dem Start, beschloss der Bundesrat des landesweiten Lockdown. Der Falken wurde sozusagen mitten im «Abflug» jäh gestoppt – viel schlimmer geht’s nimmer.
Dass ich noch keinen Besuch geschafft hatte, war das eine. Aber viel wichtiger: Wie war den beiden zumute, wie verkrafteten sie diesen Tiefschlag? Was taten sie nun den lieben langen Tag? Brachte diese Erfahrung womöglich trotz allem etwas Positives? Und wie war es ums finanzielle Fundament bestellt? Ich fragte, ob ich solche Fragen stellen dürfe, auch beruflich, für dieses Onlinemagazin, und sie waren einverstanden.
Wie war eure Gefühlslage, als der Bundesrat den Lockdown verkündete?
Florian Bobst: Es war ein Schock, eine Art Lähmung, wir hatten Angst, bei Céline sind auch die Tränen geflossen. Nach dieser intensiven Vorbereitungsphase mit der Doppelbelastung, in der wir wochenlang keine Pause gehabt hatten, war das im ersten Moment einfach unerträglich.
Céline Tschanz: Wir hatten uns riesig auf den Neustart in unserem Leben und unsere Selbstständigkeit gefreut, und nach sechs Tagen kam der Lockdown, total crazy, völlig unfassbar. Ein innerlicher Zusammenbruch. Was kommt da auf uns zu? Was bedeutet dies für unsere Zukunft, unser Lebensprojekt? Werden wir überleben und es schaffen? Solche Fragen schossen uns durch den Kopf.
Irgendwann war der Schock vorbei und eine Art Alltag zog ein. Wie sah und sieht er aus?
Tschanz: Stressfrei! Wir machen alles viel gemächlicher, ohne Zeitdruck. Wir konnten uns von dem ganzen Stress gut erholen, wir geniessen die viele Zeit, die wir zusammen verbringen können. Im «normalen» Leben haben wir als Paar nie so viel Zeit gemeinsam. Da wir drei Kinder haben, müssen wir uns aber natürlich nach wie vor organisieren und die Familie unterhalten.
Bobst: Wir haben nach wie vor sehr viel zu tun, die Arbeit geht uns definitiv nicht aus. Es war auch sehr zeitraubend, die Anmeldungen für die Kurzarbeit zu machen, mit den Versicherungen alles abzuklären. Unser Fall ist sehr kompliziert, da wir ja in keinem Bereich – Umsatz, Kosten, Löhne – Zahlen vorweisen können, alles basiert nur auf Annahmen. Anderseits haben wir jetzt die Möglichkeit, alles zu optimieren und noch besser aufzugleisen, damit wir für die wirkliche Neueröffnung voll bereit sind.
Wie haltet ihr die kleinen Freuden im Alltag aufrecht?
Tschanz: Indem wir entspannen, gute Musik hören und entdecken … und dabei lustigerweise auch alten Sound wieder hervorholen. Zudem wird bei uns zuhause viel gelacht und gespielt, auch das Kochen, Backen und feine Essen sorgt für gute Laune.
Wie ich die Restaurantbesuche bei euch vermisse, gibt es sicher auch Dinge, die ihr vermisst.
Bobst: Klar. Es ist vor allem der Austausch mit den Gästen, Mitarbeitern, Freunden, das Kommunizieren, die Diskussionen, die kleinen Dramen … wobei wir mit den Kindern noch genügend Dramen erleben.
Welches ist derzeit eure grösste Herausforderung?
Tschanz: Die Firma am Leben zu erhalten.
Bobst: Wir waren finanziell sehr gut aufgestellt, müssen jetzt aber bereits die ganzen Reserven aufbrauchen, da wir trotz fehlenden Einnahmen niemandem gekündigt haben und sehr hohe Kosten anfallen. Wir hatten bis jetzt nur Investitionen.
Gab es in den letzten Wochen auch Positives und Schönes, das ihr habt erleben dürfen?
Tschanz: Ganz viele Menschen denken an uns. Sei es auf der Strasse, in der Migros oder über die sozialen Medien haben wir viele aufmunternde Worte erhalten. Alle freuen sich auf die Zeit danach und versprechen, dass sie uns unterstützen werden. Dies hat uns sehr gerührt und macht uns Mut.
Ein berühmtes Bonmot lautet «Krise als Chance»: Habt auch ihr in dieser schwierigen Phase etwas Neues entdeckt? Hat sich etwas in eurem Leben verändert, das ihr künftig unbedingt beibehalten möchtet?
Bobst: Unsere Wahrnehmung ist, dass die Gesellschaft allgemein sehr gelassen mit der doch bedrohlichen Situation umgeht. Die Menschen bleiben trotz unklarer Zukunft immer noch ruhig. Wir vertrauen unserem Staat.
Tschanz: Wir sind sehr anpassungsfähig und haben grundsätzlich keine Probleme den Alltag während dem Lockdown zu leben. Wir machen mehr Sport, Flo liest viele Bücher, wir schlafen sehr viel. Alles Dinge, die sonst viel zu kurz kommen. Einen Teil dieser Gelassenheit würden wir in der Zeit danach gerne beibehalten. Ob dies möglich sein wird, wird sich zeigen!
Am Ende des Gesprächs liessen sie durchblicken, dass es aus ihrer Sicht spätestens Ende Mai wieder losgehen müsse, ansonsten würde es brenzlig, auch, weil etliche Personen und Firmen ihre gebuchten grossen Anlässe natürlich gerne verschieben würden, und das zu terminlichen Engpassen führen könne.
Ja, und dann stand die Welt plötzlich wieder Kopf. Was niemand erwartet hatte, traf an der Medienkonferenz des Bundesrates vom 29. April ein – es wurde verkündet, dass Museen und Restaurants nicht erst am 8. Juni, sondern bereits ab 11. Mai wieder auftun dürften – unter der Vorgaben «nicht mehr als vier Personen pro Tisch, alle müssen gemeinsam kommen und gehen» und «zwei Meter Abstand pro Tisch».
Was bedeutete dies für den Falken? Waren das gute Neuigkeiten – oder eher zusätzlicher Druck? Ich fragte nochmals nach.
Wo steht der aktuelle Stimmungsbarometer im Hause Tschanz/Bobst?
Tschanz: Noch während der Medienkonferenz trudelten bereits die ersten Reservationen für den 11. Mai ein, juhui!
Bobst: Nach den Infos vom Bundesrat freuen wir uns einerseits natürlich sehr, dass es wieder losgeht. Andererseits haben wir aber gemischte Gefühle. Den Entscheid, den Lockdown für die Gastronomie nun doch so schnell aufzuheben, können wir nicht ganz nachvollziehen. Da wurde offenbar ziemlich Druck ausgeübt.
Wisst ihr bereits, ob ihr am 11. Mai oder später wieder öffnen werdet? Oder müsst ihr das erst noch durchkalkulieren?
Tschanz: Wir werden es am 11. Mai wagen. Aber die Frage, ob unter diesen Vorgaben ein kostendeckendes Arbeiten möglich sein wird, stellt sich definitiv.
Bobst: Unser Vorteil ist, dass wir ein relativ grosses Lokal zur Verfügung haben – wir können trotz Einschränkungen sowohl im Innen- wie im Aussenbereich ungefähr je 50 Plätze anbieten. Wenn wir weiterhin einen Teil Kurzarbeit anmelden können und uns die Stadt mit der Miete entgegenkommt, könnte es klappen.
Dann wird es zu Beginn auch ein reduziertes Angebot geben?
Tschanz: Nein, wir starten mit dem vollen Angebot, wir machen keine halben Sachen.
Und wie ist es um die grossen Anlässe bestellt, haben sich da Lösungen ergeben?
Bobst: Alle Bankette bis Ende Juni wurden abgesagt, da waren einige grosse Anlässe dabei. Anlässe für Herbst/Winter nehmen wir entgegen und hoffen, dass wir sie durchführen können.
Zum Schluss gehen wir nochmals zurück zum Anfang: Wie ist eure Gefühlslage nun im Hinblick auf den kommenden Montag?
Tschanz: Wir sind dankbar dafür, dass es unser Lebensprojekt noch gibt und dass wir es nun endlich in Angriff nehmen zu dürfen.
Mich freut das genauso. Weil ich jetzt mit Freunden oder den Eltern im Falken essen gehen kann – und somit die drei wichtigsten Punkte auf der erwähnten «Vermisst»-Liste an einem einzigen Abend löschen kann.
Gasthof Falken, Birmensdorferstrasse 150, 8003 Zürich.
Tel.: 044 463 55 25. Mail: kontakt@falken-wiedikon.ch.
www.falken-wiedikon.ch
Noch mehr Geschichten darüber, wie es den Zürcherinnen und Zürchern in diesen Zeiten geht, gibt’s unter #sogahtsZüri. Wer selber Teil von #sogahtsZüri sein möchte, kann unter vbz.ch/sogahtszueri mitmachen.