Fahrgäste, die nach Hause möchten, Stau auf der Strasse und ein Zeitzähler, der erbarmungslos tickt. Ob unsere Busschauffeure einen besonders guten Zahnarzt benötigen, weil sie öfters mal ins Steuerrad beissen, darüber haben wir mit Busfahrer Ivan Nikolov gesprochen.
Die Busse haben eine besondere, nicht immer ganz einfache Stellung im Netz der VBZ. Zwar sind sie in der Mehrzahl – es gibt gerade mal 14 Tramlinien, gegenüber 27 Quartier-, Trolley- und Autobuslinien in der Stadt und satten 33 Buslinien in der Agglomeration –, doch sie geniessen weder dasselbe Ansehen noch die gleichen verkehrstechnischen Annehmlichkeiten wie die Tramlinien. So hat das Tram fast immer Vortritt, ist der Bremsweg doch ungleich viel länger als bei einem Auto. Der Bus jedoch hat sich, von gewissen Bevorzugungen insbesondere an Ampeln abgesehen, nach denselben Verkehrsvorschriften zu richten wie jedes andere Fahrzeug auch. Während das Tram häufig auf einem eigenen Trassee fährt, teilt sich der Bus den Strassenraum häufig mit anderen Verkehrsteilnehmern. Trotzdem oder gerade deswegen werden bei den Bussen alle Möglichkeiten, eine flüssige Fahrt sicherzustellen, ausgelotet.
Die Fahrgäste erwarten nämlich zu Recht dieselbe Pünktlichkeit wie beim Tram auch. Über die speziellen Herausforderungen haben wir mit Ivan Nikolov gesprochen, der seit rund sieben Jahren bei den VBZ auf verschiedenen Linien dafür sorgt, dass der Bus ans Ziel kommt.
Herr Nikolov, Sie befinden sich im verflixten siebten Jahr. Wie steht es um Ihre Beziehung zum Bus in der Stadt Zürich?
Ich bin immer noch sehr glücklich, in dieser schönen Stadt leben und arbeiten zu dürfen. Meine Familie und ich haben Zürich im Jahr 2010 zum ersten Mal besucht. Wir dachten damals, hier zu leben, wäre für uns ein sehr grosser Schritt nach vorne. Drei Jahre später hat sich dieser Wunsch erfüllt.
Trotzdem: In einer aktuellen Kampagne der VBZ sehen wir ein Steuerrad, in das vor lauter Ärger offenkundig hineingebissen wurde. Mussten Sie auch schon mal in ein Steuerrad beissen?
(schmunzelt) So weit war ich wirklich noch nie! In unserem Beruf ist es aber auch sehr wichtig, Ruhe zu bewahren. Natürlich ärgern wir uns zeitweise, aber wir versuchen, diese Emotionen in Schach zu halten.
Was löst denn solche Emotionen aus?
Es gibt immer wieder mal Tage, an denen einiges zusammenkommt. Technische Probleme am Bus etwa. Dann müssen wir die Leitstelle informieren, vielleicht sogar den Bus tauschen, und bis alles in die Wege geleitet ist, werden die Fahrgäste nervös. Das kann schon auch stressig sein. Aber wir sind geschult, in solchen Situationen nicht die Nerven zu verlieren.
Was ist hinter dem Steuer eines Busses besonders wichtig?
Auf der Strasse kann jederzeit etwas passieren, das braucht eine sehr hohe Konzentration. Gerade aber auch im Gespräch mit meinen Kollegen und Kolleginnen habe ich den Eindruck, wir sind da bei den VBZ sehr professionell.
Sind denn die Busfahrer anderswo etwa weniger professionell?
(schüttelt den Kopf) Ich habe vor meiner Zeit in Zürich vier Jahre für die Münchner Verkehrsgesellschaft gearbeitet. Natürlich ist man dort ebenso professionell. Allerdings sind die Bedingungen in Zürich sehr anspruchsvoll. Wir haben hier alles, was es in München auch gibt, aber auf viel engerem Raum. Das setzt die Latte etwas höher. Man darf sich nicht ablenken lassen, auch nicht von den Kundinnen und Kunden.
Suchen die Kunden heutzutage überhaupt noch den Plausch mit dem Chauffeur?
Ja, vor allem auf den Regionallinien. Dort ist man nicht einer von hundert Chauffeuren, sondern der, der gestern schon den Bus gefahren hat. Viele steigen ganz vorne ein, nicht nur ältere, sondern auch jüngere Leute. Um ehrlich zu sein, ist das sehr schön, ich freue mich darüber. Gleichzeitig ist für uns aber nicht ganz einfach, ein Gespräch zu führen, weil wir ja auf die Strasse achten müssen. Aber natürlich versuche ich trotzdem zu antworten. Es ist ja nicht nur ein Plausch: Oft brauchen die Fahrgäste eine Information. Am Bürkliplatz zum Beispiel steigen viele Touristen in die Linie 161 und 165. Dort haben wir an der Haltestelle auch etwas mehr Zeit und können unsere Englischkenntnisse ein bisschen auffrischen (schmunzelt).
Wo sind Sie denn am liebsten unterwegs?
Tatsächlich auf der Linie 161. Nicht nur wegen den Englischlektionen… Oben in Kilchberg, an der Haltestelle «Schwelle», ist der Sonnenaufgang besonders schön. Auf dem Zürichsee schaukeln schon die ersten Ruderboote. Den kurzen Blick über die Szenerie geniesse ich ganz bewusst. Viele Fahrgäste von Kilchberg kenne ich unterdessen auch. Man begrüsst sich, oft bedanken sie sich bei mir für die Fahrt.
Wenn wir schon dabei sind: Welches ist die herausforderndste Strecke?
(überlegt) Ich weiss nicht, ob es so eine wirklich gibt. Im Prinzip kann jede Strecke herausfordernd werden, wenn man Verspätung hat und keine Wendezeit. In so einem Fall fordert uns die Leitstellte unter Umständen auf, frühzeitig zu wenden, um den Fahrplan entsprechend neu «einzufädeln». Die Fahrgäste zu bitten, den Bus zu verlassen und auf den nächsten Bus zu warten, macht definitiv keinen Spass.
Apropos Fahrgäste: Wie ist denn das für Sie, wenn Sie mitbekommen, dass Kunden reklamieren, Sie seien unpünktlich?
Ich habe dafür volles Verständnis. Das letzte, was wir uns wünschen ist es, unpünktlich zu sein. Wir möchten ja zufriedene Fahrgäste, das ist unser Job. Gleichzeitig heisst es natürlich auch, dass wir an der Endhaltestelle wenig bis gar keine Pause haben. Nach vier Stunden Fahrt kann das schon ermüdend sein.
Gibt es Fahrgäste, die sich bei Ihnen direkt beschweren?
Ja, aber zum Glück sehr selten. Ab und zu sieht man vielleicht jemanden, der demonstrativ grimmig auf die Uhr blickt, wenn wir uns der Haltestelle nähern, aber auch das ist eine Ausnahme. Es kommt ebenso vor, dass die Fahrgäste Verständnis äussern. Viele, vor allem ältere Leute, bedanken sich und sagen, sie wissen, wie schwierig es sei, in Zürich zu fahren.
Sie ernten also auch viel Verständnis.
Ja, ich sehe die Fahrgäste als Teil von einem grossen Team. So können auch alle mithelfen, indem beispielsweise alle Türen zum Einsteigen benützt werden. Eine Mehrheit der Fahrgäste steigt bei der zweiten Türe vorne ein. Der Doppelgelenktrolleybus beispielsweise hat aber fünf Türen. Idealerweise sollte auch nicht im Türbereich stehengeblieben werden, da man sonst den anderen Fahrgästen im Weg steht. Das alles frisst Zeit.
Die VBZ unternehmen ja so einiges, um Verspätungen entgegenzuwirken, mit elektronischen Busspuren beispielsweise. Sehen Sie einen Erfolg?
Ich sehe, dass vor allem jene Faktoren zunehmen, die genau das schwierig machen. Die Stadt wächst und damit auch der Individualverkehr, also sind mehr Autos und Velos unterwegs. Wir haben während des Lockdowns deutlich gespürt, als es weniger Verkehr gab – da war es plötzlich sehr einfach, pünktlich zu sein.
Mehr Verkehr also, aber zumindest Velofahrer sind ja in der Regel auf separaten Fahrstreifen unterwegs…
Das ist schon richtig. Allerdings benützen nicht alle diese Streifen. Dann wird das Überholen schwieriger, weil die Strassen selbst ja nicht breiter werden, sondern durch die verschiedenen Spuren zusehends schmaler. Hinzu kommt, dass manche Velofahrer unberechenbar sind. Nicht alle halten sich an die Verkehrsregeln. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich fahre selber sehr gerne und oft Velo. Aber ich würde es begrüssen, wenn auch die Zweiräder nicht bei Rot über die Kreuzung oder mit zwei Zentimeter Abstand überholen würden. So etwas zieht nämlich oft eine Vollbremsung nach sich. Wir müssen dann damit rechnen, dass die Fahrgäste im Fahrzeug stürzen und sich möglicherweise verletzen.
Zurück zur Pünktlichkeit: Wie merken Sie überhaupt, ob Sie pünktlich sind oder nicht?
Im Fahrerraum ist ein sogenanntes «IBIS»-Gerät eingebaut, das die kommenden Haltestellen anzeigt. Dort wird auf einer Uhr angezeigt, ob das Fahrzeug pünktlich, zu früh oder zu spät unterwegs ist. Sind wir zu früh, färbt sich die Anzeige rot, wenn wir zu spät unterwegs sind, wird dies in blauer Farbe signalisiert.
Und wenn die Anzeige blau ist, geben Sie mehr Gas?
Wir fahren einen Bus und keinen Sportwagen (grinst). Im Stau würde uns das ohnehin nichts nützen. Im Ernst: Als Buschauffeure haben wir kaum Möglichkeiten, Verspätungen aufzuholen. Ohnehin geht die Sicherheit vor. Man kennt die Stellen, an denen ein paar Sekunden gewonnen werden können. Im Übrigen aber erhalten wir Anweisungen der Leitstelle.
Auf jeden Fall klingt es unangenehm, ständig den Sekundenzeiger im Nacken zu haben.
Bei jüngeren Fahrern kann das unbarmherzige Ticken der Uhr schon einen gewissen Druck erzeugen – vor allem, wenn die Zahlen blau sind. Nur machen lässt sich dagegen trotzdem nicht viel. Es braucht eine gewisse Routine, um mit Verspätungen umgehen zu können.
Wie fangen Sie also Verspätungen in der Regel auf?
Indem wir an der Endhaltestelle schneller oder – je nach Ausmass der Verspätung, sofort weiterfahren. Das ist immer häufiger der Fall, weil der Fahrplan dichter wird. Je mehr Fahrzeuge aufeinander folgen, desto kürzer wird der Takt und damit auch die «Pause». Wird im 6-Minuten-Takt gefahren, muss der Bus nach sechs Minuten die Endhaltestelle wieder freigeben.
Sofort weiterfahren – und was, wenn ein Toilettenbesuch nötig ist?
Im Notfall können wir der Leitstelle eine Textmeldung senden mit dem Vermerk «WC-Besuch».
Wie lange dauert ein Dienst pro Tag?
Im Durchschnitt acht Stunden und zwanzig Minuten, aber die Präsenzzeit kann bis zu 14 Stunden betragen. Das heisst, wenn ich morgens um 6 Uhr meinen ersten Dienstteil übernehme, kann ich erst gegen 20 Uhr mit dem zweiten Teil fertig sein, weil die Pause dazwischen sehr lang ist. Ich arbeite seit fünf Jahren im individuellen Dienstplan, da kann ich die Dienste weitgehend selber aussuchen. Der Frühdienst startet mit Betriebsbeginn um ca. 4.30 Uhr, der Spätdienst dauert bis Betriebsschluss, kurz nach Mitternacht. Ich bin sehr froh, dass es dieses Modell bei den VBZ gibt. So kann man seine Einsätze entsprechend seiner Lebenssituation – bei mir mit Rücksicht auf die Familie – gestalten.
Wie steht es eigentlich um Ihre Pünktlichkeit, wenn Sie nicht Bus fahren?
Oh, ich bin ein sehr pünktlicher Mensch. Ich mag die Pünktlichkeit und erwarte auch von anderen Leuten, dass sie sich so verhalten. Zum Glück lebe ich in einem Land, in dem diese Eigenschaft geschätzt wird – dafür bin ich sehr dankbar.
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