«Grosse Sortimente sind Teil des Problems»

Ein «Anti-Supermarket» mit einem kleinen, aber umso nachhaltigeren Sortiment – will heissen, saisonale Bio- und Demeter-Lebensmittel – in einem Mitgliedersystem. Dieser Vision hat ein junges Team in der «rampe21» konkret Gestalt verliehen.

Bilder: rampe21

Wie paradox ist das? Während auch Gemüse aus dem Ausland den Weg in die Regalen unserer Supermärkte findet, liefern unsere Bauern immer noch Lebensmittel, die nicht der Norm entsprechen, in die Biogas-Anlage. Diesem Missstand will der Verein «Grassrooted» in der Region Zürich einen Riegel vorschieben. Mit einer ersten Aktion Ende Juni 2018, bei der 30 Tonnen Tomaten an Konsumenten anstatt an die Biogasanlage abgegeben wurden, gewann der Verein Popularität. Vor gut einem Jahr haben die Initianten des Vereins nun mit einem «Anti-Supermarket» – und der Food-Kooperative «rampe21» an der Ausstellungsstrasse 21, 8005 Zürich – nachgedoppelt.

Angeboten wird Ware aus regionaler, saisonaler Bio- und Demeterproduktion wie auch ein kleines Sortiment an exotischen Lebensmitteln; die Herkunft ist transparent, die Produkte sind aus natürlichem Anbau, und sie werden fair gehandelt. Das Ziel des Ladens ist ein solidarisches Ernährungsmodell, das durch ein Mitgliedersystem ermöglicht wird. Nebst Vereinsgründer Dominik Waser, der für das Projekt «Grassrooted» sein Studium als Umweltingenieur abgebrochen hat, sind auch die 23-jährige Janina Finger und der 19-jährige Mattia De Lucia neu mit an an Bord: Diese beiden Newcomer haben vbzonline nun Red und Antwort gestanden.

Frau Finger, Herr De Lucia – wie ist es zu Ihrem Engagement bei Grassrooted gekommen?

Mattia De Lucia: Ich habe genau vor einem Jahr die Matura abgeschlossen. Im Februar wurde ich im Klimastreik aktiv, wo ich Janina und Dominik kennengelernt habe. Die Sache begann für mich zunächst mit eher mit scherzhaft gemeinten Bemerkungen im Sinne von «Stell dir vor, wir könnten zusammenarbeiten…» Irgendwann wurde es ernst. Aber da hatte ich mich bereits für das Politologie-Studium eingeschrieben. Daraufhin habe ich mich kurzerhand wieder exmatrikulieren lassen, um ein, zwei Zwischenjahre einzulegen. Nun arbeite ich seit gut einem Jahr bei Grassrooted.

Janina Finger: Ich kam vor drei Jahren von Graubünden nach Zürich, um Psychologie zu studieren. Nach eineinhalb Jahren wurde ich ebenfalls sehr aktiv im Klimastreik. Parallel dazu nahmen die Aktivitäten für mein Studium zwangsläufig ab, worauf ich vergangenen Herbst – meinem unmittelbaren Interesse folgend – bei Dominik in das «Grassrooted»-Projekt eingestiegen bin.

Sie bieten Bio- und Demeter-Lebensmittel an, grenzen sich aber von Bioläden ab. Worin genau besteht der Unterschied?

Finger: Unser Konzept sieht so aus, dass wir ein sehr begrenztes Sortiment an Grundnahrungsmitteln führen, ergänzt mit saisonalem frischem Gemüse. Wir halten die Auswahl bewusst klein, weil wir der Meinung sind, dass grosse Sortimente im Bioladen auch Teil des Problems sind, weil quasi ein Supermarkt nachgeahmt wird, einfach in Bio-Qualität. Auf diese Weise entsteht trotzdem ein Überschuss.

De Lucia: Wenn bei uns ein Produkt ausgeht, füllen wir nicht sofort nach. Vielmehr kaufen wir grosse Mengen auf einmal. Neulich haben wir zum Beispiel bei Terra Verde, einem Händler, der mit Lieferanten aus Italien in Kontakt steht, acht Paletten Olivenöl und Pasta bestellt. Das schlägt sich einerseits im Preis nieder, der deutlich günstiger wird. Andererseits ist das natürlich ökologischer, weil nur einmal gefahren werden muss.

Werden Sie solche Mengen denn überhaupt los?

De Lucia: Dadurch, dass wir ein Mitgliedersystem haben, lässt sich in etwa abschätzen, wieviel wir verkaufen werden. Das gibt uns eine gewisse Sicherheit, ebenso den Bäuerinnen und Bauern. Natürlich sind wir im Moment aber noch in einer Phase, in der sich alles einpendeln und die Stammkundschaft weiterwachsen muss.

Obschon Sie den Überfluss reduzieren wollen, verkaufen Sie Grosspackungen…

Finger: In Grosspackungen verkaufen wir Grundnahrungsmittel, die ohnehin regelmässig benötigt werden. So kann Verpackungsmaterial gespart werden, und wir können die Produkte günstiger anbieten, weil der Verpackungsaufwand reduziert wird. Je kleiner die Verpackungseinheit nämlich ist, desto weniger lohnenswert ist der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag.

Bieten Sie auch offene Ware an?

Finger: Trockenprodukte gibt es bei uns momentan nicht offen, aber unser Gemüsesortiment kann offen gekauft werden. In dieser Hinsicht ist der Unterschied zwischen uns und einem Bioladen nicht sehr gross. Wir haben allerdings den Vorteil, dass unser Geschäft bis abends um 20 Uhr geöffnet ist, sodass auch Berufstätige abends noch einkaufen können.

Bei Ihnen gibt es ein sogenanntes Gemüseretter*innen-Abo, mit dem der oder die Konsument*in alle zwei Wochen sechs Kilo Gemüse nach Hause geliefert bekommt. Das ist auch eine ziemliche Menge…?

Finger: Die Idee des Pakets ist vor allem, dass Gemüse auf dem Teller landet statt in der Biogas-Anlage. Es handelt sich also bereits um einen Überschuss. Natürlich muss die Menge auch bei der Lieferung an den Endverbraucher logistisch noch Sinn machen, in dem Sinne, dass wir die Verpackung reduzieren wollen.

De Lucia: Wir kommunizieren ehrlich, dass mit dem Abo das Foodwaste-Problem als solches nicht gelöst wird. Das Abo ist ein Mittel, die Konsumenten für das Thema zu sensibilisieren und natürlich ist es letztendlich besser, wenn das Gemüse dann auch gegessen wird. Food-waste kann aber nicht mit Einzelaktionen begegnet werden, sondern nur mit einer grundsätzlichen Änderung des Systems. Anders ausgerichtet als das Abo ist die food cooperative «rampe21».

Worum geht es dort?

De Lucia: In dieser Lokalität wollen wir zeigen, wie ein Laden der Zukunft aussehen kann. Die solidarische Organisation von Lebensmitteln und das gemeinsame Einkaufen ist quasi ein neues oder besser gesagt ein neu gedachtes Modell.

Nebst der «Rampen-Mitgliedschaft» mit Einkaufsvergünstigungen kann man sich auch als Vereinsmitglied anmelden. Worin besteht der Unterschied?

De Lucia: Beim Verein geht es um eine Sensibilisierung im Zusammenhang mit dem Thema Food-Waste. Er richtet sich an Mitglieder, die in diesem Bereich etwas bewirken möchten. Die Rampenmitgliedschaft fokussiert auf den Einkauf im Laden. Die Mitgliederbeiträge richten sich übrigens nach dem Haushaltseinkommen.

Wie sehen die Anforderungen an die Waren, die bei der «Rampe 21» verkauft werden, denn konkret aus?

Finger: Natürlich sind alle unsere Produkte bio oder Demeter. Es handelt sich wo immer möglich um regionale Produkte, auch für die Pasta, deren Getreide bei einem Schweizer Bauer angepflanzt wird. Beim Gemüse streben wir eine regenerative Landwirtschaft an: Permakultur ist hier das Stichwort. Anders gesagt: Der Anbau soll im Einklang mit der Natur stehen, ohne deren Ausbeutung. Zugegebenermassen führen wir auch Produkte, bei denen gerade dieser Aspekt noch nicht so perfekt ist, wie es unserer Vision entspricht. Aber wir möchten Kompromisse eingehen mit dem Ziel, mit den Produzenten gemeinsam einen Prozess zu durchlaufen und einen alternativen Absatzmarkt aufzubauen.

Wie weiss der Konsument also, wie genau die jeweiligen Lebensmittel angebaut wurden?

Finger: Wir bieten auf Plakaten Informationen zu den verschiedenen Höfen an. Eine wichtige Basis ist natürlich das Gespräch im Laden. Auf diese Weise können wir viel mehr Hintergrundinfos liefern.

De Lucia: Es ist sehr wichtig, dass man beim Einkaufen weiss, wie sich der Preis für ein Produkt rechtfertigt. Eine Transparenz also, die normalerweise nicht gegeben ist. Da befinden wir uns natürlich mit den Produzenten ebenfalls in einem Prozess. Nicht alle Produzenten sind – auch bedingt durch die vorherrschenden Systeme – diesbezüglich gleich weit. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass auch «bio» in unterschiedlichen Ausprägungen gelebt wird. Die Produkte in unserem Laden bieten aber alle einen Standard, hinter dem wir guten Gewissens stehen können.

Das «Grassrooted»-Team von links: Mattia de Lucia, Janina Finger, Dominik Waser. (Bild: Grassrooted)

Apropos «dahinter stehen können»: Welche Veränderungen hat das Projekt «rampe21» für euch persönlich bedeutet?

De Lucia: Die Reise ist noch nicht zu Ende. Die Food-Kooperative befindet sich in einem Prozess. Vielleicht wird es neue Projekte geben… Bis jetzt geschah ja schon immer alles recht kurzfristig und spontan. Es steckt sehr viel Herzblut in dem Projekt. Wir gehen nicht einfach um fünf Uhr abends nach Hause, sondern arbeiten, solange wir können.

Also solange Ihre Kraft reicht, meinen Sie?

De Lucia: Ja, ich habe das Gefühl, bisweilen sind wir dabei schon auch an unsere Grenzen gestossen – spannend ist die Aufgabe aber auf jeden Fall. Ich bin ja eigentlich immer noch ein Stadtkind und hatte vorher keine Ahnung von Landwirtschaft. Für die neuen Erfahrungen und dafür, dass ich hier arbeiten darf, bin ich sehr dankbar.

Wie sieht die Vision Ihrer weiteren Reise in diesem Projekt aus?

De Lucia: Natürlich wünschen wir uns einen organisch wachsenden Mitgliederstamm. Das Ziel wäre auch, dass es mehrere Kooperativen pro Region oder Quartier gibt. Migros und Coop sind abgeschafft (schmunzelt).

Finger: Das Ziel ist natürlich schon, dass dieses oder andere ähnliche Modelle sich vermehren. Sodass eine Veränderung in der Gesellschaft erzielt werden kann. Wir wollen ganz klar ein Modell bieten, das kopiert werden kann.

Sind Sie denn mit anderen, ähnlichen Anbietern vernetzt? Zum Beispiel mit «Pot» auf dem Triemli. Findet da eine Zusammenarbeit statt?

Finger: Ja, wir stehen in gutem Kontakt. Unsere Haltung ist diese, dass es möglichst viele derartige Initiativen geben sollte. Wir sind offen, uns zu verbinden und gemeinsam etwas zu bewirken, wo es möglich ist und Sinn ergibt. Konkret mit dem Pot steht die Idee im Raum, punkto Abfüllen und Logistik vermehrt zusammenzuspannen.

De Lucia: Es gibt ja unterdessen viele ähnliche Kooperativen. Zum Beispiel die «Frischlinge» in der Enge. Oder das Tor 14 in der Bäckerstrasse. Alle versuchen, in dieser Hinsicht etwas anzureissen. Ein noch intensiverer Austausch wäre sicherlich für uns alle befruchtend.

Zu guter Letzt: Sie haben den Weg in dieses Projekt aus der Klimabewegung heraus gefunden. Wie hoffnungsvoll sind Sie, was den Erfolg dieser Bewegung angeht?

De Lucia: Ich bin sehr hoffnungsvoll und sehe, dass sich etwas bewegt. Ich glaube aber schon, dass wir vor allem selber aktiv werden, Alternativen und Lösungen suchen und anbieten müssen. Gleichzeitig muss weiter der Finger auf das gelegt werden, was falsch läuft – um möglichst viele Menschen dafür sensibilisieren zu können, die dann ihrerseits etwas ändern wollen. Das sind die zwei Wege, die wir einerseits mit dem Verein und andererseits mit der Rampe verfolgen.

Finger: Dadurch, dass die Auswirkungen der Klimakrise ja nicht vergehen, sondern auch bei uns stärker spürbar werden, wird es zwangsläufig Veränderungen geben. Ich denke, dass man in Zukunft vermehrt wissen will, was man kauft und wo das herkommt. Dieses Bewusstsein wird sich noch stärker ausbilden. Aber etwas aufzubauen bedeutet natürlich immer auch Arbeit.

 

Hier gehts zur rampe21

Die «rampe21» befindet sich an der Ausstellungsstrasse 21, unweit vom Hauptbahnhof. Mehr Infos dazu gibts hier: grassrooted.ch  

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