Es ist etwas Besonderes, wenn die VBZ auf dem eigenen Areal Gleise bauen. Für die neue «Abstellanlage Silberwürfel Süd» war es wieder einmal so weit. Wir haben uns beim Gleisschlag an die Fersen von Oberbauleiter Rico Güntert geheftet. Die Reportage ist in der Jahresendausgabe des VBZ-Mitarbeitendenmagazins IM TAKT erschienen.
Samstagmorgen, 5. November 2022, 5:00 Uhr vor dem «Silberwürfel», einem Gebäude auf dem VBZ-Areal in Altstetten: Wie eine Perlenkette reihen sich die schweren Maschinen auf und bewegen sich vorwärts, wie auf einer Parade. Allen voran der grosse Raupenbagger. Der «100-Tönner» reisst auf einer Strecke von 110 Metern 40-jährige Gleise aus dem Boden, gefolgt von kleineren Maschinen, die nacheinander den Beton spitzen, Eisen aussortieren, Schutt ausheben, Kies einbringen, den Untergrund planieren und walzen. Lastwagen stehen Schlange, um altes Material wegzuführen und neues anzuliefern. Der Platz wird eng, ein Vorbeikommen zwischen Arbeitern, Maschinen, Material ist schwierig. Beeindruckend, wie alles Hand in Hand geht. Offenbar kennt jede Person ihre Aufgabe. Rico Güntert ist einer der wenigen VBZ-Mitarbeitenden auf Platz. Ausgerüstet mit Plan, Doppelmeter und Stahlkappenschuhen ist er überall präsent und verfolgt das rege Treiben fokussiert. Seine Konzentration verwundert nicht, als Oberbauleiter Fahrweg trägt er die Verantwortung für die Realisierung der «Abstellanlage Silberwürfel Süd».
«Wir sind dem Zeitplan voraus», begrüsst uns Rico Güntert. «Diesen Vorsprung können wir gut gebrauchen. Um 21 Uhr fahren die ersten Tram bereits wieder auf dem Areal ein. Bis dahin müssen die neuen Gleise liegen.» Seit Mitternacht ist er auf der Baustelle, hat die Tore geöffnet, die externen Arbeiter empfangen und die Vorarbeiten zum Gleisschlag begleitet. Es ist die erste Baustelle, die der 35-jährige Bauingenieur für die VBZ verantwortet. «Nach intensiver Planung ist es gut, dass es nun endlich losgeht», freut er sich. Klar steige die Anspannung und habe er Respekt vor der Aufgabe. Doch dafür sei er gut gerüstet und erhalte mit Walter Pohlenz an seiner Seite Unterstützung von einem sehr erfahrenen Bauleiter, der für dieses Projekt aus seiner Pension zurückgekehrt ist.
«An einem Gleisschlag weiss man nie genau, wo der Knackpunkt liegt. Kristallisiert sich ein Problem heraus, verhalten sich alle lösungsorientiert, sonst
funktioniert es nicht.»Rico Güntert, Oberbauleiter Fahrweg
6:30 Uhr: Wider Erwarten scheint das bestehende Kiesfundament unter dem Unterbeton gut im Schuss zu sein. So gut, dass es Verschwendung wäre, dieses abzutragen und mit neuem Kies zu ersetzen. Eine Entscheidung von Oberbauleiter Rico Güntert ist gefragt: Das Fundament bleibt, entsprechend wird die Kies-Bestellung angepasst. Und, da stehe noch eine Nachbarin am Hag und wünsche den Chef zu sprechen. Der Baulärm am Samstagvormittag ist ungewohnt.
«Es ist alles gut, ich konnte ihr unser Bauvorhaben nochmals erklären», kommt uns der gelernte Bauzeichner ruhig entgegen. «Auch Gespräche mit Anwohnern gehören zu meinen Aufgaben.» Sowieso schätze er den Kontakt zu verschiedenen Personen. «Schon als Bub wusste ich, dass ich einen Beruf erlernen möchte, bei dem ich am Schluss etwas betrachten kann.» Und jetzt, wo er auf der Baustelle stehe, sei es die Zusammenarbeit mit allen Arbeitern, Bauführern, Maschinisten, Ingenieuren und weiteren Beteiligten, die ihm gefalle: «An einem Gleisschlag weiss man nie genau, wo der Knackpunkt liegt. Kristallisiert sich ein Problem heraus, verhalten sich alle lösungsorientiert, sonst funktioniert es bei einem so eng getakteten Zeitplan nicht», erklärt uns der Bauleiter, den man in seiner Freizeit schon mal auf seiner Moto Guzzi durch die Lande cruisen sieht.
Vorausschauendes Handeln zentral
Während er alle Arbeiten übernimmt, die mit dem Bau zu tun haben, kümmert sich Martin Dönz vorgelagert um Kredite, Pläne und Bewilligungen. Als Gesamtprojektleiter hat er zudem Termine, Kosten und Qualität des Projektes im Griff. So zumindest die offizielle Aufgabenbeschreibung. «Meine Arbeit mit den Projekten betrachte ich wie das Aufziehen von Kindern: Irgendwann starten sie ihren Weg und man begleitet sie solange, bis sie sich in die Eigenständigkeit verabschieden», zeichnet der dreifache Vater das Bild. «Mein Hauptjob ist, mich darum zu kümmern, wenn etwas nicht funktioniert und vorausschauend zu handeln. Denn jedes Projekt hat einen individuellen Charakter und birgt eine andere Komplexität. » In diesem grossen Bauvorhaben den Informationsfluss im Griff zu haben und das verhältnismässig kurze Zeitfenster einzuhalten, zählt der Projektprofi Martin Dönz zu den grösseren Knackpunkten. Aber auch die Verlängerung von Lieferfristen müsse im Auge behalten werden, dies gehöre zum Bewältigen von Risiken. «Besonders kritisch sei dies für die Beschaffung von elektronischen Komponenten. Die Kollegen der Technik haben hier frühzeitig gehandelt und das notwendige Material im Voraus bestellt», ergänzt der Sammler von alten Motorrädern, Traktoren und Velos.
Die «Abstellanlage Silberwürfel Süd» ist das grösste seiner über zwanzig Projekte, die Martin Dönz, derzeit verantwortet. Seit November 2018 plant er dieses Vorhaben gemeinsam mit vielen internen und externen Fachstellen und dem Planungsteam «IG Silber plus», das für die vielfältigen Ingenieurarbeiten zuständig ist. Bei den VBZ könne man zum Glück intern auf viel Fachwissen zugreifen, zum Beispiel bei der bahntechnischen Planung oder der smarten Fahrzeugsteuerung. «Es macht Spass mit vielen Kollegen auf ein Ziel hinzuarbeiten, um eine nachhaltige und umweltfreundliche Infrastruktur für die Öffentlichkeit bereitzustellen», freut sich Martin Dönz. Der Ingenieur scheint beruflich am richtigen Ort zu sein.
14:00 Uhr: Im Vergleich zum Vormittag wirkt die Baustelle verlassen: Das Untertrassee ist bereit, die Werkleitungen für elektronische Kabel eingebaut. Rico Güntert hat mit Silvan Gähwiler, Leiter Gleisbau, und seinen Männern Verstärkung erhalten. Jetzt geht es darum, die neuen Gleise zu legen: So bewegt sich die 15 Meter lange Weiche langsam aus dem Laster Richtung Trassee, geschickt gelenkt durch den Lastwagenfahrer mit einer Fernbedienung, die aussieht, als gehöre sie zu einem Modellflugzeug. Alle Gleisbauer fassen mit an, um die Betonwürfel zu richten, auf die das Gleis zu liegen kommt. Präzision ist gefragt, auf jeden Millimeter kommt es an. Es gilt Null Toleranz.
Ökologischer Abstellplatz für 26 Tram
Spätestens jetzt stellt man sich die Frage, was hinter dem Bauprojekt «Abstellanlage Silberwürfel Süd» steckt. Südlich des Silberwürfel-Gebäudes wird bis Ende 2023 mit neun neuen Gleisen eine offene Abstellfläche für 26 Schienenfahrzeuge realisiert. Die Abstellanlage wird mit einer Fahrwegsteuerung ausgerüstet. Diese wurde intern entwickelt um die Disposition der Fahrzeuge digital zu unterstützen und ist in den Depots Oerlikon und Kalkbreite bereits im Einsatz. Diese Anlage bringt einige Veränderungen auf dem Areal in Altstetten: Allen voran wird die Fahrtrichtung des Umfahrungsgleises gekehrt, denn neu werden die Gleise im Gegenuhrzeigersinn befahren. Zudem wird das Bremsprüfgleis seitlich verschoben und erhält eine neue Signalanlage. «Freuen kann man sich auf grosszügig gestaltete Grünflächen für Aufenthalte über den Mittag und in den Pausen», erklärt uns Hobbykoch Martin Dönz. «Für die VBZ-Mitarbeitenden wird da eine attraktive Umgebung geschaffen. Der Fussballplatz hingegen muss etwas verkleinert werden, bleibt aber gross genug für ein Spiel.» Finalisiert sei die Planung noch nicht, fügt Martin Dönz hinzu: «Die Rahmenbedingungen ändern sich bei einem so langfristigen Projekt auch. Zum Beispiel werden in einem neuen Baumodul Gespräche über die Nutzung der offenen Anlage für die Instandhaltung der Fahrzeuge, geführt.»
«Einfach gesagt: Am Tag ist die Abstellanlage eine Blumenwiese und in der Nacht ruhen sich unsere Trams darauf aus.»
Martin Dönz,
Gesamtprojektleiter Fahrweg
«Nachhaltige und ökologische Bedingungen spielen ebenfalls eine zentrale Rolle. So arbeiten wir mit neuen, ökologischen Baumaterialien und realisieren begrünte Schottertrassees, die der Hitzeminderung dienen, und bepflanzen die obligatorischen Freiflächen mit Sträuchern und Bäumen», lässt uns Martin Dönz wissen und weist darauf hin, dass der Umweltbericht der umfassendste Teil des Gesuches ausgemacht hat. «Einfach gesagt: Am Tag ist die Abstellanlage eine Blumenwiese und in der Nacht ruhen sich unsere Trams darauf aus.»
21:00 Uhr: Die neuen Gleise wurden in der Zwischenzeit doppelt verspriest und sauber verkeilt, damit Tramdurchfahrt auf den aufgebockten Schienen gefahrenlos gewährleistet ist. Einbetoniert werden sie erst am Sonntagmorgen. Soeben hat Rico Güntert die Strecken dem Betrieb übergeben, auch die Fahrleitungen sind wieder parat. Pünktlich fährt das erste Tram auf dem VBZ-Areal ein. Im Schritttempo. Die erste Durchfahrt klappt wie geplant und Oberbauleiter Rico Güntert kann sich nun zufrieden zurückziehen. Für die Gleisarbeiter jedoch geht nun die Nachtschicht los, die Gleise müssen bis zum Morgengrauen noch millimetergenau ausgerichtet werden.
Fahrzeuge brauchen auch nachts Platz
Die «Abstellanlage Silberwürfel Süd» ist bereits seit 2014 ein Gesprächsthema. Hautnah dabei war damals Christian Böckmann, Fachleiter Fahrzeugmanagement aus dem Bereich Markt. «Es gehört zu meinen Aufgaben, den Bedarf an Fahrzeugen, Ladeinfrastruktur und Platz zu ermitteln, um das VBZ-Angebot umzusetzen. Dafür müssen wir langfristig denken», erklärt uns der erfahrene Christian Böckmann. Er selber ist bereits 24 Jahre bei den VBZ tätig. Treiber für den erhöhten Platzbedarf seien das Bevölkerungswachstum, die Netzentwicklung und die damit verbundene Flottenerweiterung. Auch die Einführung von Tempo 30 erfordere zusätzliche Fahrzeuge. «Was man oft nicht sieht: Die Trams und Busse brauchen auch Platz, wenn sie nicht am Fahren sind. Wir werden langfristig mehr Fahrzeuge haben und erst noch grössere. So ist das neue Flexity-Tram zum Beispiel bereits 43 Meter lang», macht uns der Fahrzeugmanager bewusst. Die ganze VBZ-Flotte umfasst heute knapp 500 Fahrzeuge. Diese füllen in der Nacht eine Fläche von vier Fussballfeldern.
Auf der neuen Abstellanlage sollen 26 Tram abgestellt werden können. Wie kommt denn diese Zahl zustande, fragt man sich. Als ob er Gedanken lesen könnte, springt Christian Böckmann aus dem Stuhl und visualisiert die Berechnung des Abstellbedarfs für 2026. «Wegen dem Umbau des Depot Hard sind bereits heute 20 Fahrzeuge hier in Altstetten zu Hause. Die Abstellanlage wird so erweitert, dass Ende 2023 der Platzbedarf von 46 Tram gedeckt werden kann», rechnet Christian Böckmann vor. «Damit ist aber nicht Schluss, wir planen bereits bis 2045 weiter.»