«Eine Kultur zu verändern, braucht Zeit»

Aufgrund verschiedener Medienberichte in den Schweizer Tageszeitungen, welche die Arbeitsbedingungen bei den VBZ und die Resultate der städtischen Mitarbeitendenbefragung 2017 thematisierten, nimmt Jürg Widmer, Leiter Betrieb bei den VBZ, Stellung zur Thematik.

Herr Widmer, die Beteiligung an der Umfrage war so hoch wie nie. Wie sind die Resultate der Mitarbeitendenbefragung im Bereich des Betriebs ausgefallen?

Der Betrieb stellt bei den VBZ mit über 1500 Mitarbeitenden den grössten Unternehmensbereich dar, 1293 davon sind im Fahrdienst tätig. Die Beteiligung an der Umfrage war so hoch wie noch nie – 957 Mitarbeitende aus dem Unternehmensbereich Betrieb haben die Umfrage ausgefüllt. Dies deute ich als klares Zeichen, dass sich die Mitarbeitenden zu Wort melden möchten und das Vertrauen haben, dass die Resultate ernst genommen und Massnahmen abgeleitet werden. Ich habe mich sehr über positive Entwicklungen gefreut, so zum Beispiel bei den Bewertungen der Attraktivität und der Information. Dies ist auch auf die sehr hohe Identifikation der Mitarbeitenden mit den VBZ zurück zu führen. Es gibt aber auch wichtige Punkte, die wir weiter verbessern wollen, wie zum Beispiel die Themen Work-Life-Balance und die psychische Belastung. Aufgrund der hohen Beteiligung können nun tragfähige Massnahmen aufgebaut werden, um die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsklima weiter zu verbessern. Diese Themen nehme ich sehr ernst. Sie haben bei mir oberste Priorität.

Können Sie uns etwas zu den geplanten Massnahmen sagen?

Zuerst möchte ich auf die besonderen Herausforderungen im Fahrdienst eingehen. Im Gegensatz zu Büroarbeitsplätzen in der Stadt fahren unsere Mitarbeitenden im Tram und Bus jeden Tag – auch an Sonn- und Feiertagen – im Schichtdienst im sehr anspruchsvollen Nahverkehrsnetz und mit einer hohen Regeldichte. Sie stehen in direktem Kundenkontakt und geniessen eine hohe Selbstständigkeit. Der Arbeitsplatz ist inmitten der Fahrgäste und bietet entsprechend wenig Privatsphäre. Sie tragen eine hohe Verantwortung für die Fahrgäste und das Fahrzeug, das sie steuern. Die Belastung im Stadtverkehr ist zunehmend. Es gilt zu lernen, damit möglichst gut umzugehen. Das sind sozusagen die Rahmenbedingungen. Wir können aber trotzdem vieles tun. So starten wir im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) im Frühling einen Pilotversuch, in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), mit dem Ziel, die gesundheitliche Belastung mit BGM-Massnahmen zu verringern und die Eigeninitiative unserer Mitarbeitenden zu unterstützen.

Wie sieht es mit den Themen Work-Life-Balance und Partizipation aus?

Beide Themen werden unterdurchschnittlich bewertet, was vor allem der Schichtarbeit und der hohen Regeldichte geschuldet ist. Im Fahrdienst stehen deshalb die Gestaltung der Dienstpläne sowie die Partizipation bei der individuellen Dienstplanung (IDP) im Vordergrund. Damit soll die Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Aufgaben verbessert sowie die psychische Belastung der Mitarbeitenden verringert werden. IDP wird 2018 in allen Depots, der Garage Hardau und im Ereignismanagement eingeführt. 2019 folgt dann noch die Garage Hagenholz.

Was müssen wir uns unter individueller Dienstplanung vorstellen?

Bei diesem Projekt geht es darum, unseren Fahrdienstmitarbeitenden im Schichtdienst eine Möglichkeit zur Mitbestimmung der Zeitautonomie zu bieten. Sie sollen ihre Wünsche in Bezug auf die Einsatzplanung bedürfnisgerecht platzieren dürfen. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit soll in hohem Masse ermöglicht werden. Die Einführung der individuellen Dienstplanung an allen Standorten bedeutet einen Quantensprung in der Mitbestimmung der Arbeitszeit und der Freizeit.

Es wird immer wieder von einem grossen Regelwerk berichtet, das vom Fahrpersonal beachtet werden muss. Was genau muss man sich darunter vorstellen?

Der Beruf des Trampiloten und der Busfahrerin ist stark reglementiert. Es gibt gesetzliche und sicherheitsrelevante Vorgaben, die beachtet werden müssen. Dazu kommen hunderte Mitteilungen zu Umleitungen wegen Baustellen oder Veranstaltungen. Das Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch (ZBG), das einmal im Jahr stattfindet, gehört ebenfalls zum grossen Regelwerk. Dieses haben wir 2013 in sozialpartnerschaftlicher Zusammenarbeit massiv vereinfacht. Die vereinfachte Version wurde von allen Gewerkschaften einstimmig unterzeichnet und wird seit 2014 angewendet. Basis für alles ist der 2014 in Kraft getretene Rahmen-Gesamtarbeitsvertrag für die Nahverkehrsbetriebe im Kanton Zürich sowie die sogenannte Betriebliche Vereinbarung VBZ, also die Umsetzung des Rahmen-GAV bei den VBZ. Im Rahmen-GAV ist zum Beispiel auch der minimale Durchschnittslohn geregelt. Dieser beträgt bei den VBZ gut 84‘000 Franken im Jahr. Damit belegen die VBZ den Spitzenplatz im Kanton Zürich.

Was hat Sie besonders gefreut, als Sie die Auswertung studiert haben?

Gefreut hat mich, dass das Thema «Führung und Arbeitsklima/Kultur» besser bewertet wurde als vor drei Jahren und als die Jahre zuvor. Auch wenn wir hier noch Luft nach oben haben, zeigen die Resultate, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Eine Kultur lässt sich nicht von heute auf morgen ändern, es braucht Zeit und Geduld. Seit ich bei den VBZ arbeite, ist dies mein oberstes Ziel.

Was wird nun seitens VBZ unternommen, damit die angesprochenen Werte steigen?

Ich habe die Resultate gemeinsam mit dem Leitungsgremium des Betriebs analysiert. Wir nehmen diese Umfragewerte sehr ernst, hören hin und suchen nach Verbesserungen. Wir haben für alle Abteilungen verschiedene Massnahmen abgeleitet und definiert. Während zum Beispiel bei den Mitarbeitenden im Fahrdienst die Gestaltung der Dienstpläne und die Partizipation bei der individuellen Dienstplanung sowie die Gesundheitsförderung im Fokus stehen, sind es für die Mitarbeitenden in der Abteilung «Projekte & Support» die Optimierung der Arbeitsabläufe. Zudem plane ich ein weiteres Modul in unserem Kaderentwicklungsprogramm «führend unterwegs», in welchem die Kommunikation im Vordergrund steht. Ich glaube, dass sich durch diese Massnahmen die Betriebskultur auch fortan Schritt für Schritt weiter in eine positive Richtung verändern wird.

Im Moment suchen die VBZ intensiv sowohl Trampilotinnen und Trampiloten, wie auch Busfahrerinnen und Busfahrer. Warum ist diese Personallücke entstanden?

Grundsätzlich ist ein Fachkräftemangel zu beobachten, nicht nur in unserer Branche. Wir hatten im 2017 zudem überdurchschnittlich viele Frühpensionierungen aufgrund von Änderungen im städtischen Personalrecht. Leider konnten wir den daraus resultierenden Bedarf an neuen Fahrdienstmitarbeitenden bis jetzt noch nicht vollständig besetzen. Die Fluktuationsrate beim Fahrpersonal ist übrigens seit 2007 stetig rückgängig. 2016 lag sie ohne Pensionierungen bei 1,6%. Das ist ein sehr guter Wert. Wir rechnen damit, dass dieser sehr tiefe Wert für 2017 aus den genannten Gründen wieder etwas ansteigen wird.

Was tun Sie, um die Stellen zu besetzen?

Die Schliessung dieser Personallücke hat im Moment oberste Priorität. Wir haben dazu eine Task Force «Rekrutierung Unternehmensbereich Betrieb» auf oberster Management-Ebene gegründet. Wir intensivieren im Moment die Personalmarketing-Massnahmen und werben beispielsweise auch in den Fahrzeugen um neues Fahrpersonal. Es benötigt etwas Zeit, bis sich die Lage wieder normalisiert hat. Wir sind optimistisch, dass dies in ein paar Monaten der Fall sein wird.

Kommt man den Fahrerinnen und Fahrern, welche mehr arbeiten, irgendwie entgegen?

Die Kolleginnen und Kollegen, welche zusätzliche Stunden leisten, können sich diese entweder auszahlen lassen oder als Freizeit kompensieren, möglichst erst im Herbst. Wir sind sehr dankbar, dass wir Mitarbeitende haben, die diese Zusatzleistung erbringen.

Die gute Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften scheint für Sie sehr wichtig. Wie ist die Stimmung zwischen den Sozialpartnern?

Die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit ist für mich sehr wichtig. Die «Elefantenrunde», welche heute fortgesetzt wurde, fand in einer konstruktiven Atmosphäre statt. Den Gewerkschaften haben wir ein neues Gremium «Kommission der Sozialpartner» vorgeschlagen, welches die bestehenden Zusammenarbeitsgefässe ergänzen soll. Ich hoffe, dass diese Kommission zustande kommen wird und wir die Themen darin noch besser und effizienter besprechen und lösen können. Ich lade sowohl die Mitarbeitenden wie auch die Gewerkschaften herzlich ein, die Veränderungen weiterhin aktiv mitzugestalten.

Hier geht’s zur Medienmitteilung und den Umfrageresultaten.

Zur Person

Jürg Widmer, seit dem 1. Juni 2012 Leiter Betrieb bei den VBZ, ist 56 Jahre alt und wohnt in Frauenfeld. Er ist verheiratet, hat 2 Kinder und ist stolzer Grossvater. Seine Freizeit verbringt er gerne in Laax, im Winter auf den Ski, im Sommer auf dem Mountainbike.

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