«Züri schlaflos» beleuchtet Zürcher Bars, Clubs, Kulturhäuser, Restaurants und andere urbane Schauplätze auf eher ungewöhnliche Art und Weise. Die stets leicht neurotischen Stadtgeschichten stammen von den Journalisten und Autoren Philippe Amrein und Thomas Wyss.
Bekannte Geistesgrössen wie James Joyce, Frank Wedekind oder Karl Kraus verkehrten hier, und auch der einheimische Grossintellektuelle Max Frisch suchte regelmässig das Odeon auf. In diesem längst legendären Art-Deco-Café entstanden grosse Teile seines Werks «Tagebuch 1946-1949». Seine Notierstube wählte der Schriftsteller allerdings nicht der edlen Innenarchitektur wegen, sondern aus rein pragmatischen Gründen – auf seinem Arbeitsweg musste er nämlich am Bellevue umsteigen.
Natürlich denke auch ich jeweils kurz an den lokalen Weltliteraten, wenn mich meine verschlungenen Pfade ins Odeon führen. Und ich denke auch an ihn, wenn ich in der gleichnamigen Apotheke stehe, um rezeptpflichtige Medikamente zu besorgen. In diesen Momenten erfasst mich dann stets ein nostalgisch eingefärbter Zorn. Denn ursprünglich gehörten auch die Räumlichkeiten der heutigen Odeon-Apotheke zum Café. Hinter dem Arzneimittelschrank erkennt man noch immer die Treppe zum Obergeschoss, wo sich einst der Billardraum befand, und dieser Anblick steigert meine Trauer und mein Unverständnis jeweils ins Unermessliche, und so frage ich mich: Wie kann man bloss auf eine derart bescheuerte Idee kommen, ein wunderbares Trinklokal zu halbieren, um dann einen Teil als Apotheke zu nutzen? Oder anders gefragt: Wo – ausser eben in Zürich – wäre so etwas überhaupt möglich?
Um meine in Mitleidenschaft gezogenen Herznerven danach wieder unter Kontrolle zu bekommen, muss ich mich nach dem Apothekenbesuch stets notfallmässig ins Odeon einliefern und mich dort mit einem kleinen Getränk stärken. Und natürlich bleibe ich dann sitzen, bestelle weitere kardiologisch wertvolle Tinkturen und betrachte die Kronleuchter, die verspiegelten Marmorwände und die silbernen Kübel, in denen der Champagner gekühlt wird. Der französische Schaumwein wird hier seit geraumer Zeit schon glasweise ausgeschenkt, manche behaupten gar, das Odeon sei das erste Lokal der Stadt gewesen, das diesen Trend vorwegnahm.
Neben Geistesgrössen, Weltliteraten, herznervösen Apothekenbesuchern und Gelegenheitsgästen trifft sich auch die schwule Gemeinde gerne und regelmässig im «Öd», wie das Café in liebevoller Untertreibung auch genannt wird. Also zücke ich mein Moleskine-Notizbuch und halte mit schwarzer Tinte fest, was es über das Odeon noch zu berichten gäbe: «Ein Prösterchen der Gemütlichkeit!»
Café Bar ODEON
Limmatquai
8001 Zürich
Haltestelle Bellevue
Tramlinie 2, 5, 9
Bus N12, N13
Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag: 07.00 – 00.00 Uhr
Freitag: 07.00 – 02.00 Uhr
Samstag: 09.00 – 02.00 Uhr
Sonntag: 09.00 – 00.00 Uhr
Zur Website zum Odeon
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