Improvisiert statt durchgeplant: Was im Fahrplanbüro der VBZ Gänsehaut verursachen würde, ist auf der Bühne des Impro-Theaters «Anundpfirsich» eine freudvolle Kunst. Am «Züri-Fäscht» treffen die beiden Pole aufeinander. Wir haben mit Künstler Björn Bongaard darüber gesprochen, wie man dank Impro fürs Leben lernt – und zugeschaut, wie das geht.
Akzeptierend annehmen, was kommt: Das ist ausnahmsweise nicht der Leitsatz eines Meditations-Retreats, sondern eine der drei Maximen für die hohe Kunst des Impro-Theaters. Die eine wie das andere allerdings liefern wertvolle Fertigkeiten für das Leben.
Fragt man Björn Bongaards nach seiner Definition von «Impro-Theater» wird er sagen: «Es ist eine Comedyform, wegen der Spontanität und steten Überraschungsmomente.» Mit einem Augenzwinkern liesse sich wohl philosophieren, dass diese Definition auch für das Leben als solches nicht ganz falsch wäre. Doch zurück zum «akzeptierenden Annehmen»: Die Technik hinter der Impro sei das Assoziieren. «Ich sehe oder höre etwas und füge etwas hinzu. Egal was mir mein Gegenüber anbietet, ich bejahe das innerlich», erklärt der Schauspieler. Ein verstecktes Nein à la «ja, aber» bringe den Prozess nämlich ins Stocken, während ein «ja, und» immer zu etwas führe. Ausserdem, so Bongaards, trainiere das Assoziieren die Schlagfertigkeit: «Impro-Theater lebt von der Schnelligkeit. Es geht – zackzack! – hin und her». Reaktionsfähigkeit und Tempo sind auch im Alltag und ebenso im ÖV wichtige Faktoren und natürlich führt die Fahrt immer irgendwohin. Weil das so gut passt, wird das Ensemble von «Anundpfirsich» auch bei den VBZ am Züri-Fäscht auftreten.
Das Theater existiert in Zürich bereits seit 2005 und ist breit aufgestellt. In seinem Ensemble finden sich professionelle Schauspieler – so wie Bongaards. Der gelernte Logistiker begeisterte sich erstmals im Sommer 2012 während eines Aufenthalts in Toronto für die spontane Form der Bühnenkunst und gleiste – zurück in Zürich – sofort seine Laufbahn bei «Anundpfirsich» auf. Seit fünf Jahren ist er nunmehr vollamtlich engagiert – auf der Bühne, hinter der Bühne und als Trainer in den Kursen. Jetzt und hier liefert er gerade weitere Argumente für die eingangs genannte These, wonach Impro Lernen fürs Leben bedeutet – nämlich mit der Maxime Nr. 2: Präsenz! Faktoren wie etwa die Art, wie man den Raum betritt, dem Gegenüber die Hand reicht, Augenkontakt sowie das Lesen von Signalen würden zu einem bewussteren Umgang mit dem eigenen Auftreten führen, sagt er und offenbart: «Ich habe durch diese Präsenz gelernt, selbstbewusster aufzutreten.»
Den Weg erforschen, indem man ihn geht
In einer Welt, die immer mehr auf Erfolg und Sicherheit setzt, offeriert die Improvisation eine Gegenbewegung: «Man befindet sich im Blindflug und damit auf der Gratwanderung zwischen Erfolg und Scheitern. Gelingt es, auch die eigenen Fehler freudvoll anzunehmen, sprüht der Improfunke», erläutert der 31-jährige. Das freudvolle Scheitern ist denn auch die dritte Maxime: In der Impro erforsche man nämlich den Weg, indem man ihn gehe.
Längst nicht alle Lernwilligen strömen in die verschiedenen Kurse und Seminare, weil sie unbedingt auf die Bühne wollten. Vielmehr sind es diese Fähigkeiten, die für viele interessant sind – etwa, um die eigene Auftrittskompetenz im Job zu erhöhen. Wie es in so einem Kurs zu- und hergeht, hat die Schreibende in ihrer Freizeit selbst in Augenschein genommen.
Ein Blick ins Nähkästchen der Masterclass
Die zwölfköpfige Gruppe, die gerade probt, ist eine sogenannte Masterclass. Wer ihr angehört, hat vorgängig eine Aufnahmeprüfung durchlaufen, der Kurs dauert ein Jahr. Für die aktuelle Klasse geht dieses Jahr dem Ende zu. Sie wird heute entscheiden, in welche Richtung ihr Stück an der Abschlussaufführung gehen soll. Zunächst aber kommt Bewegung in die Gruppe. Einerseits mit einem Ballspiel, andererseits mit einem Potpourri an Geräuschen, Gedankensträngen und ungewöhnlichen Posen. Was anfänglich eher wie eine dadaistische Darbietung anmutet, ist in Wirklichkeit ein multidimensionales Warm-up. Es geht darum, zu assoziieren, aufzugreifen, was einer vormacht, und weiterzuführen – nicht nur verbal, sondern ebenso durch Emotion und Bewegung. Denn nur in diesem Zusammenspiel entsteht ein Theaterstück.
Ebenso geht es in dieser Stunde darum, zurückzublicken, welches Aha-Erlebnis das gemeinsame Jahr gebracht hat. Eine Teilnehmerin meint, sie habe sich selber besser kennenlernt, indem sie Muster aus ihrem Privatleben auch auf der Bühne erkannt habe: «Lession learned», resümiert sie.
Die Aufwärmphase fliesst schon bald in eine Art «Tabu»-Spiel über, bei dem ein Wort beschrieben, aber nie ausgesprochen wird. Wenn eine Szene von der vorherigen inspiriert wird, nennt das auch «train of thought». Bald ist der Saal erfüllt von einem Fluss aus Worten und Sätzen, die derselben Quelle entspringen, und immer stärker durch den Raum mäandern.
Unterdessen hat sich die Klasse entschieden, an ihrem grossen Finale das Format «aus dem Nähkästchen» aufzuführen. Bedeutet, jemand wird aus seinem Leben erzählen, inspiriert davon spielt das Ensemble eine Szene. Was die Klasse daraus macht, wirkt im Grunde wie eine Art flüssiges Puzzle. Die einzelnen Szenen fliessen beinahe nahtlos ineinander. So entsteht aus einer «Lismete» ein etwas steifer Pulli, daraus ein Knäuel Carbonwolle, Kontakte mit der Nasa, und hätte die Szene nicht in Prag geendet, so wäre eine Reise ins All ebenso denkbar gewesen. Die Fantasie ist in der Impro nämlich grenzenlos – ebenso die Freude am Spiel. Unter den Schauspieler*innen ebenso wie im Publikum.
Die VBZ am Züri-Fäscht
Das Programm der VBZ am Züri-Fäscht ist vielseitig und bunt. Nebst dem Impro-Theater «Anundpfirsich» tritt auch das «Minitheater Hannibal» auf . In der «Werkstatt» krempeln Sie selbst die Ärmel hoch und legen Hand an. Alle Infos dazu finden Sie unter vbz.ch/zuerifaescht