Simone Rangosch, Direktorin des Tiefbauamtes der Stadt Zürich (TAZ), begrüsst das im Rahmen der Netzentwicklungsstrategie 2040 geplante Ringsystem, «weil es stark belastete Streckenabschnitte in der Innenstadt entlastet und mehr Direktverbindungen anbietet».
Frau Rangosch, die Netzentwicklungsstrategie 2040 der VBZ basiert auf Prognosen über den wachsenden Mobilitätsbedarf und versucht, die dafür notwendige Netzinfrastruktur bereit zu stellen. Damit wollen die VBZ einen wachsenden Teil der künftigen Mobilitätsbedürfnisse abdecken. Wer deckt die verbleibenden Teile ab und wie sieht die entsprechende Strategie dafür aus?
Simone Rangosch: Wir, das Tiefbauamt, sind für den Gesamtverkehr zuständig. In Koordination mit den zuständigen Ämtern entwickeln wir Massnahmen um den ÖV, Fuss- und Veloverkehr zu fördern und den motorisierten Individualverkehr (MIV) auf den notwendigen Verkehr zu reduzieren. Leitlinien hierfür setzt die übergeordnete Strategie «Stadtraum und Mobilität 2040» mit den spezifischen Strategien wie die Velostrategie und eben die VBZ-Netzentwicklungsstrategie.
«In Strassenbauprojekten sind nahezu immer alle Anspruchsgruppen vertreten»
Simone Rangosch, Direktorin Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ)
Verkehrsbedürfnisse abdecken bedeutet, im Rahmen der Strassenbauprojekte einen Konsens zwischen den verschiedenen Anforderungen an den öffentlichen Strassenraum zu finden. Welche Anspruchsgruppen gehören zu den häufigsten «Kunden» des Tiefbauamts?
Simone Rangosch: In den Strassenbauprojekten sind fast alle Anspruchsgruppen vertreten. Dazu gehören Personen, Gruppen oder öffentliche Ämter, die sich für den ÖV, den Fuss- oder Veloverkehr einsetzen. Dabei ist der ÖV eng mit dem Fussverkehr verknüpft, denn vom Ausgangsort zur Haltestelle und von der Zielhaltestelle zum Zielort sind die Fahrgäste mehrheitlich zu Fuss unterwegs. Es fliessen zudem die Bedürfnisse des Stadtraums, der Werke (Fernwärme, Wasser, Abwasser, Elektrizität, Telekommunikation) und des öffentlichen Grünraums in die Strassenbauprojekte mit ein. Die planerische Herausforderung besteht darin, aus der Gesamtbetrachtung aller Bedürfnisse im Strassenraum eine überzeugende Lösung zu finden.
Die Ansprüche dieser Anspruchsgruppen sind oft gegenläufig, da sie sich meist um einen beschränkten Raum «streiten». Was sind die häufigsten Interessenkonflikte, und nach welchen Regeln werden diese gelöst?
Simone Rangosch: Die Lösung möglicher Konflikte im knappen öffentlichen Strassenraum orientiert sich an bestehenden Richtplaneinträgen, Strategien und Interessensabwägungen aller Beteiligten für die konkrete Situation im öffentlichen Stadtraum. Jedoch wird oft zu schnell in Massnahmen gedacht. Ein Beispiel mit ÖV: Ein Eigentrasse für den Bus wird gefordert. Das ist eine Massnahme. Das Ziel dahinter ist ein zuverlässiger, pünktlicher Bus. Bei einer ergebnisoffenen Herangehensweise, die auf Ziele fokussiert, kommen auch andere Massnahmen in Frage wie eine sogenannte Umweltspur oder Fahrverbote für den MIV. Dies verbreitert den Fächer an Lösungsmöglichkeiten und schafft damit mehr Spielraum im öffentlichen Raum beispielsweise für eine zusätzliche Baumreihe oder einen Velostreifen. Jedenfalls ist unser Ziel, den ÖV im Zusammenspiel mit Fuss- und Veloverkehr zu fördern und für die Verkehrsteilnehmenden attraktiver zu gestalten.
«Es gilt jeweils für alle Beteiligten die beste Lösung zu earbeiten»
Simone Rangosch, Direktorin Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ)
Die NES 2040 bietet sicherlich auch Anlass für verschiedene Interessenkonflikte. Welche sind dies und warum?
Simone Rangosch: Es gibt keine generellen Interessenskonflikte mit der NES 2040. Es gilt, jeweils im Rahmen von Strassenbauprojekten im öffentlichen Stadtraum für alle Beteiligten die beste Lösung zu erarbeiten. Damit sich die Bevölkerung einbringen kann, initiieren wir auch Mitwirkungsprozesse. Im Rahmen des Projekts Tram Affoltern beispielsweise entwickeln wir mit dem Quartier zusammen den neuen Zentrumsplatz und Zehntenhausgarten. Rund 170 Personen haben an den Workshops oder an Kurzgesprächen auf der Strasse teilgenommen.
Mit der NES 2040 erfolgt ein Paradigmenwechsel für das ÖV-Netz in der Stadt Zürich, nämlich die Abkehr vom sternförmig auf die Innenstadt ausgerichteten Netz hin zu einem Ringsystem. Wie bewerten Sie diesen neuen Ansatz, der bereits im Zukunftsbild ÖV 2050 skizziert wurde?
Simone Rangosch: Ich begrüsse den neuen Ansatz sehr. Denn er unterstützt die polyzentrische Entwicklung und verstärkt die Verbindungen zwischen den Wachstumsgebieten im Westen und Norden Zürichs. Zudem ermöglicht er, stark belastete Streckenabschnitte des ÖV-Netzes im Innenstadtbereich zu entlasten und mehr Direktverbindungen für Beziehungen anzubieten, deren Start oder Ziel nicht in der Innenstadt liegen.
Was heisst dies für die Arbeit des Tiefbauamtes?
Simone Rangosch: Wir klären unter Berücksichtigung aller Bedürfnisse und Strategien die bestmöglichen Varianten für die zukünftigen Linienführungen der neuen Netzelemente. Das sind äusserst spannende Aufgaben.
Die NES 2040 setzt sich aus zahlreichen Bausteinen zusammen. Welches sind aus Sicht des TAZ die grössten Herausforderungen bei der Schaffung des geplanten Ringsystems?
Simone Rangosch: Die grössten Herausforderungen bestehen dort, wo Tunnel gebaut werden müssen, beispielsweise der Hönggerberg- und Wipkingertunnel, oder der Südring zwischen Enge und Bellevue. Neben der Finanzierung ergeben sich komplexe Fragestellungen hinsichtlich räumlicher und technischer Machbarkeit, stadträumlicher Integration von Zugängen und Anschlüssen, oder den Möglichkeiten der Angebotsgestaltung.
«Baustellen sind nicht nur für Verkehrsteilnehmende eine Herausforderung»
Simone Rangosch, Leiterin Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ)
Baustellen sind für Verkehrsteilnehmer meist ein Ärgernis. Koordiniertes Bauen soll dazu beitragen, diesen Ärger zu minimieren und zu vermeiden, dass eine Baustelle – kaum ist sie abgeschlossen – zum Beispiel für die Erneuerung von Werkleitungen wieder geöffnet werden muss. Beeinflusst die NES andere Bauvorhaben oder vice versa, und was wird vorgekehrt, damit die Realisierung einzelner Netzelemente den Verkehrsfluss möglichst wenig beeinträchtigt?
Simone Rangosch: Baustellen sind nicht nur für Verkehrsteilnehmende eine Herausforderung, sondern insbesondere auch für die Anwohnenden. Durch die Baukoordination werden die verschiedenen Strassenbauprojekte, das heisst Werkleitungen und die Oberfläche, bestmöglich koordiniert und die Bauzeit reduziert. Das beinhaltet auch die Projekte, die durch NES 2040 ausgelöst werden. Dabei versuchen wir, viele verschiedene Bedürfnisse wie die Sanierung von Wasserleitungen und Kanalisation unter einen Hut zu bringen. Letztendlich beträgt die Bauzeit nur einen Bruchteil der gesamten Nutzungsdauer. Die Umsetzung von Bauprojekten führt dazu, dass der öffentliche Stadtraum an Lebensqualität gewinnt und den veränderten Anforderungen Rechnung trägt. Ganz im Sinne unserer Strategie «Stadtraum und Mobilität 2040»: Lebenswert bleiben, klimaneutral werden.
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