Der Albisriederplatz – urbanes Zentrum und kultureller Schmelztiegel

Es pulsiert wieder am Albisriederplatz. Seit dem 17. August rollen Trams und Busse wie gewohnt. Wir beleuchten die Entwicklung zum wichtigen Verkehrsknoten, die eng mit der Geschichte des Platzes zwischen den Quartieren Wiedikon und Aussersihl-Hard verknüpft ist. Von der langjährigen Ticketeria-Mitarbeiterin Elisabeth Frei erfahren wir, wie sie den Wandel vom Quartierzentrum am Stadtrand zur heute multikulturellen Drehscheibe erlebt hat.

Autorin: Daniela Tobler Kohler, Redaktion Im Takt
Bilder: Tom Kawara, Zürich

«Ich han en eifach gärn, dä Albisriederplatz, ich bin da dihei», sagt Elisabeth Frei, stellvertretende Leiterin der VBZ-Beratungsstelle am Albisriederplatz. Die Vollblutzürcherin, wie sie sich gerne bezeichnet, arbeitet seit über 20 Jahren in der Ticketeria. Ihr Herzblut schlägt seit jeher für Zürich. Zum Albisriederplatz hat sie eine ganz persönliche Verbindung, die in ihre Jugendzeit zurückgeht. Sie erinnert sich: «Ich wuchs in Schwamendingen auf und fuhr während meiner Lehre zur Grafikerin täglich über den Albisriederplatz nach Albisrieden. Schon damals gefiel mir der Platz, der noch etwas Provinzielles hatte. Heute pulsiert es fast rund um die Uhr. Immer gibt es Leute – und rundherum der Verkehr, Trams und Busse, Autos, Velofahrer. Der lebendige Platz mit dem grossen Verkehrsaufkommen ist stadtbekannt; genauso wie das Bellevue oder der Paradeplatz.»

Elisabeth Frei arbeitet seit Jahren in der Ticketeria am Albisriederplatz. (Bild: Tom Kawara)

Der Verkehrsknoten: Auf Rang 10 der VBZ-Haltestellenliste

Mit 29 000 Fahrgästen täglich steht der Albisriederplatz auf Rang 10 der VBZ-Haltestellenliste. Gleich nach dem Limmatplatz, noch vor dem Bucheggplatz und dem Bahnhof Stadelhofen. Fast rund um die Uhr herrscht ein reges Treiben. Pendlerinnen und Pendler steigen ein, aus und um, am wichtigen Verkehrsknoten, wo sich die Tramlinien 2 und 3 und drei Trolleybuslinien 33, 71 und 72 kreuzen und die auch für den Individualverkehr wichtigen Verkehrsadern Albisriederstrasse und Hardstrasse wie auch die Hardaustrasse einmünden.

Die multikulturelle Drehscheibe

QuartierbewohnerInnen, Geschäftsleute und Touristen der nahen Hotels nutzen den ÖV oft und gerne. Deshalb ist der Albisriederplatz beliebter Quartiertreffpunkt, kultureller Schmelztiegel und Verkehrsknoten zugleich. Elisabeth Frei beschreibt es so: «Mir gefällt der soziale Mix: das multikulturelle Publikum und die Alteingesessenen des Quartiers.» Die vier Strassen, die in den Platz münden sind keine Flaniermeilen. Dennoch, oder gerade darum, gibt es immer etwas zu beobachten: Menschen aller Kulturkreise und jeden Alters sind unterwegs, unterhalten sich oder eilen zum nächsten Tram oder Bus, ist doch der Albisriederplatz auch Einkaufs- und Dienstleistungszentrum. «Auch Kreative scheinen die Gegend zu mögen; ich bin schon der Künstlerin Pipilotti Rist oder dem Kolumnisten Bänz Friedli begegnet», erzählt Elisabeth Frei.

Wie kam es dazu? Die Entwicklung des Albisriederplatzes ist eng verknüpft mit der Baupolitik des beginnenden 20. Jahrhunderts und den städtischen Wohnbau- und Genossenschaftssiedlungen.

Historisches – der Verkehrsknoten einst und heute

Die Badenerstrasse ist schon früh eine Hauptverkehrsachse – eine wichtige Verbindungs-strasse von Zürich nach Baden und weiter sowohl nach Basel und Bern. An der Schnittstelle der beiden Quartiere Wiedikon (Kreis 3) und Aussersihl (Kreis 4) liegt der Albisriederplatz. Diese Grenze geht ins späte 18.Jh. zurück. Am Pilgerbrunnen werden die Pferde getränkt. Zur Zeit des Rösslitrams wird der Platz zwar noch nicht vom Tram bedient, auf der Fahrt zum Friedhof Sihlfeld wendet es bereits an der Zypressenstrasse. 1900 wird das Rösslitram auf elektrischen Betrieb umgestellt und die Linie bis zum Letzigrund verlängert. Der Albisriederplatz bekommt somit eine Tramhaltestelle (zunächst «Albisriederstrasse» genannt), die 1927 den Namen des heutigen Platzes erhält. 1942 wird der Streckenteil Rigiplatz – Albisriederplatz der Linie A auf Trolleybus umgestellt. Auch für die beiden im 19.Jh. noch eigenständigen Dörfer Albisrieden und Altstetten, die erst 1934 eingemeindet werden, gewinnt der Platz an Bedeutung.

Der Albisriederplatz 1942. (Bild: Brown Boveri)

Wohnen – von der bäuerlichen Gegend zum urbanen Stadtquartier

Wiedikon und Aussersihl werden bereits 1893 eingemeindet. Mit der zunehmenden Industrialisierung entwickeln sie sich zu Arbeiter- und Gewerbequartieren. Im Verlaufe des 1. Weltkrieges herrscht akute Wohnungsnot. Deshalb sprechen Stadt- und Gemeinderat Subventionskredite für Hunderte von Genossenschaftswohnungen, und es entstehen erste städtische Wohnsiedlungen entlang der Badenerstrasse wie etwa die Siedlung Zurlinden (1918/19). Sie wird in stilistischer und typologischer Hinsicht für den Wohnungsbau der gesamten 20er Jahre wegweisend sein. Mit der Wohnsiedlung Sihlfeld (1920) entsteht weiterer preiswerter Wohnraum. Nach dem 2. Weltkrieg kommt es zu einer wahren Renaissance im kommunalen Wohnungsbau. Die Siedlung Heiligfeld I (1948) entlang der Brahms- und Albisriederstrasse weist Wohnungen mit ausgeklügelten Grundrissen auf und ist nah am Albisriederplatz gelegen. Mit der Siedlung Heiligfeld II (1954/55) – einem urbanen Wohnriegel ähnlich – wächst Zürich entlang der Badenerstrasse am einstigen Stadtrand weiter. 1955 kommt schliesslich Heiligfeld III mit seinen kompakten, durchgrünten Hochbauten am Letzigraben dazu. Um 1950 gibt es in Zürich erst rund 17‘500 Personenwagen, so dass sich die QuartierbewohnerInnen vor allem mit dem ebenfalls wachsenden öffentlichen Verkehr bewegen. Dementsprechend wächst die Bedeutung des Albisriederplatzes als städtischer Verkehrsknoten. Auch Elisabeth Frei zieht es in den 80er Jahren wieder Richtung Albisriederplatz – viele Jahre wird sie mit ihrer Familie in einer Genossenschaftswohnung in Wiedikon wohnen. «Ich kam oft mit den Kindern dahin, um Billette und Familienkarten zu kaufen», erinnert sie sich.

Mittendrin – die VBZ-Tramstation

1945 gibt es am Albisriederplatz bereits eine Wartehalle aus Holz, doch damals sind die Wartehallen bescheiden und bieten wenig Komfort, wenig Schutz vor Wind und Wetter. 1952 baut der Architekt Alfred Altherr eine neue, zentral in der Gleisanlage liegende Tramstation. Deren Dach ist der Schienenkurve nachgeformt und strahlt damit zeittypische Eleganz aus. Der Zürcher Architekt Ueli Zbinden vergrössert dieses 1988 und versieht die Station mit neuen Einbauten. Es entsteht ein Bau, der dem Image einer modernen Stadtbahn entspricht, durchgestaltet bis zur Farbe der Abfallkübel. Diese tragen nicht das übliche Gelb, sondern das kühle Metallgrau der umgebauten Tramstation. Zwei Jahre früher wird die erste «Zbinden-Wartehalle» – an der 2er-Haltestelle Richtung Farbhof – eingeweiht. Lichtdurchlässig, mit viel Glas, bietet der damals neue Haltestellentyp Schutz für die Fahrgäste. Noch heute gilt das Credo, Wartehallen sollen ein «attraktiver Empfangsraum für Fahrgäste des öffentlichen Verkehrs» sein, wie es Heinz Vögeli damals formulierte.

Von der Ticketeria zur internationalen Verkaufs- und Beratungsstelle

Es ist kurz vor 7 Uhr. Elisabeth Frei entsteigt dem 2er Tram – mittlerweile wohnt sie ausserhalb der Stadt – und schliesst «ihre» Ticketeria auf. «Bereits als ich noch an der Gutstrasse wohnte, schwebte mir vor, eines Tages hier arbeiten zu dürfen», lacht sie. 1993 ging ihr Wunsch in Erfüllung. Bald werden sich Kundinnen und Kunden geduldig vor die beiden Schalter reihen. Meist sind sie beide besetzt. Die beiden Beraterinnen nehmen ihre Gastgeberrolle ernst, geduldig und freundlich geben sie Auskunft. Viele der älteren Stammkunden kennen sie persönlich. «Ich schätze, dass wir heute drei Viertel unserer Gespräche nicht in Deutsch führen», erzählt die Leiterin Christa Häfliger. «In unserem Team sprechen wir auch englisch, französisch, italienisch, griechisch, japanisch und sogar etwas chinesisch», führt sie stolz aus. «Wir sind die Visitenkarte von Zürich!» ergänzt Elisabeth Frei stolz.

Menschen aus aller Welt – Geschäftsleute und Touristen

Die Hotels in der Umgebung bringen auch viele internationale Gäste an den Albisriederplatz. An der Badenerstrasse gelegen sind es das legendäre Hotel Stoller (heute Mercure), das Olympia oder einstige Nova Park, das heute Crown Plaza heisst. Frühmorgens ziehen die Geschäftsleute ihre Rollkoffer Richtung Tram- oder Bushaltestelle, zunehmend sieht man auch asiatische und arabische Touristen in dieser Gegend. «Es ist wie auf einem Karussell», lacht Elisabeth Frei und wendet sich dem nächsten Kunden zu. «Good afternoon, what can I do for you?» Sie wird dem Gast aus Indien eine Tageskarte verkaufen und die gewünschte Restaurant-Empfehlung abgeben. Am nächsten Tag wird der Gast erneut vorbeikommen, über die Erlebnisse des Vortages berichten und ausgerüstet mit dem richtigen Ticket einen weiteren Tipp mit auf den Weg nehmen.

Hier treffen oder trennen sich die Tramlinien 2 und 3. (Bild: Tom Kawara)

VBZ-Schichtwechsel – ein beliebter Treffpunkt

Kurz vor 5 Uhr beginnt die erste Schicht der VBZ-Busfahrerinnen und –fahrer in der nahen Busgarage Hardau. Von dort fahren die 110 Busse aus, die die ersten Fahrgäste zur Arbeit bringen. Am Steuer der Trolleybusse passieren die FahrerInnen den Platz mehrmals pro Schicht. Nach Ende eines Schichtteils verbringen viele von ihnen gerne die Pause rund um den Albisriederplatz. In den zahlreichen Restaurants und Cafés gibt es sogar VBZ-Stammtische. Man pflegt die Kontakte untereinander, bevor es auf zur nächsten Schicht geht. Früher seien die Kontakte zum Fahrdienstpersonal vielleicht noch etwas enger gewesen, bedauert Elisabeth Frei. «Doch man kennt sich – hie und da kommt auch jemand rein, um kurz Hoi zu sagen!»

Rückkehr zur Normalität

Die dreimonatige Totalsanierung ist zum Glück vorbei, wie auch das Provisorium im «Oerliker Wägeli». Die Beraterinnen sind gerne zurückgekehrt. Elisabeth Frei: «Viele haben uns vermisst. Die Verkaufsstelle wurde am ersten Tag regelrecht gestürmt!» Es pulsiert wieder am Albisriederplatz.

Dieser Artikel erschien in veränderter Form im VBZ-Mitarbeitermagazin Im Takt, Juni 2015.

 

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