Im Rahmen der VBZ-Netzentwicklungsstrategie 2040 und des Zukunftsbilds 2050 sollen die ÖV-Zentren Altstetten und Oerlikon gestärkt und zugleich die Innenstadt entlastet werden. Als Begleitlektüre steuern wir drei persönlich gefärbte Flaneurs-Berichte bei, welche die verkehrstechnische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft thematisieren. Teil 2: Oerlikon.
Als ich an diesem frostigen Wintersonntag im Januar den Bahnhof Oerlikon verlasse und auf den Max-Frisch-Platz hinaustrete, ist das Erste, was mir ins Auge sticht, ein knappes Dutzend Tauben, das sich dem Kneippen hingibt. Scheinbar voller Wollust tauchen die Vögel wieder und wieder ins eisige Brunnenwasser ein, um sich danach wild im Kreis herumtanzend wie kleine Schamanen ihr Gefieder trocken zu schütteln. Ein beeindruckendes Schauspiel.
Dennoch wird meine Aufmerksamkeit kurz darauf durch ein langgezogenes, offensichtlich ausgemustertes Gebäude absorbiert, welches von verriegelten, mit «Bar» oder «Gin & Beer» beschrifteten Häuschen umgeben ist. Auch, weil dieses Haus bei mir eine etwas mulmige Erinnerung auslöst: Während der Pandemie hatte ich in dessen Untergeschoss nämlich die zweite Booster-Impfung in den Arm gedrückt bekommen. Nun lese ich auf einem Infoblatt: «Verlängerung der befristeten Bewilligung der Sommergastronomie Zum frischen Max um weitere fünf Jahre bis Juni 2029».
Auch wenn ich auf der Tramfahrt nach Zürich-Nord eine gewisse jugendliche Nostalgie verspürte – quasi ein «same same but different» zum Central – sind unter anderem genau solche Zwischennutzungen der Grund des Besuchs: Ich will einen Stadtteil erkunden, der faktisch nicht anderes als ein begeh- und erlebbares Labor darstellt… notabene eines mit ziemlich eigener (und eigenwilliger!) Zeitrechnung.
Der Unikums-Charakter beginnt bereits beim Namen Neu-Oerlikon. Das ist darum komisch (und das durchaus auch im lustigen Sinn), weil «neu» hier ganz neu (sprich ganz anders) definiert wird. Gewisse Bauten und Konstruktionen, etwa das Schulhaus im Birch oder der unvergleichliche, in die Höhe wuchernde MFO-Park, sind nämlich bereits 20 oder mehr Jahre alt. Andere Objekte wiederum – Paradebeispiel ist das erwähnte Sommergastroangebot «Zum frischen Max» – befinden sich in einer Art Provisoriums-Zustand.
Damit aber nicht genug. Bei der Vorbereitung auf den Besuch habe ich auf dem Portal «Zürich24.ch» unter der Überschrift «So soll Neu-Oerlikon-West in 15 Jahren aussehen» erfahren, dass das 25‘700 Quadratmeter grosses MFO-West-Areal – das entspricht zwei Dritteln der Sihlcity-Fläche – für gemeinnützige Wohnungen, gewerbliche und kulturelle Nutzungen sowie attraktive Aussenräume zur Verfügung gestellt werden soll. Geplanter Bezugstermin: Zwischen 2034 und 2040. Crazy!
Alte Industrie, Kitas, bunte Häuser – und natürlich Kleber!
Für meinen Spaziergang habe ich die Route gewählt, die das städtische Hochbauamt auf seiner Website angibt, und die auch noch einen Abstecher auf die Südseite des Bahnhofs beinhaltet. Gemütlichen Schrittes und trotz klammen Fingern emsig fotografierend, bin ich dann circa drei Stunden unterwegs. Um es vorwegzunehmen – der Tour d‘Horizon ist richtig grossartig, ich kann das (allerdings bei etwas wärmeren Temperaturen) nur zur Nachahmung empfehlen!
Statt jetzt aber bloss die abgelaufene Strecke nachzuerzählen, will ich lieber gewonnene Erkenntnisse und eingefangene Impressionen präsentieren. Manches war eher banal, lustig, schräg. Anderes jedoch liesse sich im Hinblick auf künftige städtebauliche Entwicklungen (wie etwa in Altstetten) als durchaus relevant einstufen – insofern, dass sich im «Labor» Neu-Oerlikon bereits heute ein Blick in eine mögliche architektonische und verkehrstechnische Zukunft werfen lässt. Et voilà, hier das etwas andere A bis Z.
A wie alte Industriegebäude
B wie Brasilia
F wie Frauen
G wie Grünfläche
H wie Hochschule
Es ist stets ein wegweisendes Zeichen, wenn sich die ETH oder die Universität Zürich entscheiden, einen Teil ihrer Institution in neuem Zentrum anzusiedeln. Als ich Filmwissenschaften studierte, befand sich die Fakultät noch an der Plattenstrasse am Fusse des Zürichbergs, nun pauken die Filmstudis in Neu-Oerlikon.
K1 wie Kitas und Kindergärten
K2 wie Kleber
Es gibt Leute, die sagen, sie seien fast noch nerviger als die Klimakleber (und diese Leute sind nicht allesamt GC-Anhänger) – die Rede ist natürlich von den FCZ-Klebern, die nach der Innenstadt nun auch bereits in Neu-Oerlikon angekommen sind. Vereinzelt werden sie hier noch durch ZSC-Kleber ergänzt, obwohl die Lions inzwischen gar nicht mehr im Hallenstadion spielen (dazu dann mehr im letzten Teil dieser Trilogie).
K3 wie kunterbunte Kreativität
L wie Leben
Es wurde ja bereits erwähnt, dass «neu» in Neu-Oerlikon eine relative Grösse darstellt. Die erfreulichen Folgen davon: Gerade da, wo das Quartier schon ein bisschen Gebrauchsspuren und Patina aufweist, finden sich auch Spuren eines ganz normalen Grossstadtlebens – wie politische Fahnen, geschmückte oder unaufgeräumte Balkone … oder mit Kunst um Kundschaft buhlende Veloläden.
Ö wie ÖV
T wie Trendanlässe
U wie Umland
Z wie «Zürich Nord»
Als grande Finale ein Buchtipp. Das Werk heisst «Zürich Nord». Es zeigt einerseits auf, welch zentrale Rolle die Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr bei Oerlikons Wandel von einem «gewöhnlichen» peripheren Urbanraum zu einem prosperierenden Wirtschaftsstandort und neuen Zentrum spielte. Und es macht diesen Wandel anhand der Entwicklung der Quartiere Neu-Oerlikon, Glattpark und Leutschenbach auf informative und spannende Art und Weise sichtbar.
Teil 1: Die alte Primadonna und ihr verblassender Glanz Ein Flaneursbericht über das Central. Alles über die Netzentwicklungsstrategie 2040 Zum Walk-in am 8. April im Theater am Zollhaus