«Da ist so ein komischer Umzug!»

Serviceleiter Bruno Müller ist seit der Premiere von 1992 an der Street Parade mit dabei. Als Connaisseur gewährt er uns Einblick in vergnügliche Erinnerungen – die er mal beruflich und mal als Raver gesammelt hat.

Die einen dürften aufatmen, die anderen aufstöhnen: So oder so werden kommendes Wochenende in Zürich die Schallwellen anschwellen: An der Street Parade vibrieren wieder die Scheiben der Innenstadt im Takt der wummernden Bässe .

Während fantasievoll geschmückte Lastwagen rund um das Seebecken im Schritttempo daher wippen, spülen die Trams der VBZ farbenfrohe, euphorisierte und tanzfreudige Besucherinnen und Besucher in die Innenstadt.  Für die Mann- und Frauschaft der Zürcher Verkehrsbetriebe in den Führerständen und vor Ort ist die «Demonstration für Liebe und Toleranz» eine Herausforderung. Einige – und das gilt insbesondere für Bruno Müller – haben aber auch eine immense Freude am Techno-Umzug. Seit der ersten Parade anno 1992 hat er keinen einzigen der Anlässe verpasst. Zu unserer (und hoffentlich auch zu Ihrer) Freude hat er im Hinblick auf die neuste Ausgabe vom kommenden Samstag ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert.

Der Weltuntergang ist bunt

Buchstäblich gekreuzt habe die allererste Street Parade seinen Weg, während er als frischgebackener Wagenführer mit dem Sächsitram – damals ein Fahrzeug des Typs «Kurbeli» – durch die Bahnhofstrasse fuhr. «Aus der Schweizergasse bogen Traktoren mit landwirtschaftlichen Anhängern ein, auf denen ‹hätts gräblet und gmacht›», erzählt er lebhaft. Er sei aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, sagt Müller: «Ein Wagen folgte dem nächsten, während einer Dreiviertelstunde spielte einer wildere Musik als der vorherige, kurlige Typen und Frauen begleiteten das Spektakel; ich habe wirklich nicht verstanden, was da los ist», meint er lachend. Ratlos habe er die Leitstelle angefunkt: «Ich bin blockiert, da ist so ein komischer Umzug!». «Was ist denn das für Lärm?», habe der Mann von der Leitstelle in den Hörer gebrüllt, «können Sie nicht fahren?». Auch im Tram seien die Leute allmählich nervös geworden: «Jeeesses, das isch jetzt de Weltuntergang, was passiert dänn da?», habe eine ältere Dame gerufen, während die Leitstelle immer wieder aufgeregt nachfragte: «Chönd Sie nöd fahre, chönd Sie nöd fahre?».

Aserbaidschan und «Hau-ruck!»

Nach dieser ersten, etwas skurrilen Begegnung wurde der Anlass zusehends grösser und internationaler. Bunter sei es geworden, sagt der Serviceleiter, ausgefallener auch die Kostüme, die Gay-Community sei mit Drag-Queens dazugekommen.

Müller, der in der VBZ PinkLine auch regelmässig mit einem VBZ-Bus regelmässig an der Pride mitfuhr, stand unterdessen als Kundenberater auf Platz – und wurde in den unterschiedlichsten Sprachen um Auskunft gebeten. «Russland war vertreten, Usbekistan, einer kam gar aus Aserbaidschan. Die Zürcher Street Parade strahlte schon sehr früh in die ganze Welt hinaus. Von überall her reisten die Leute an und wollten das erleben», schwärmt er. Er sah Trends wie Lollipops oder Trillerpfeifen kommen und gehen, heutzutage sei auch jede Alterskategorie vertreten, der Onkel mit dem Neffen, die Oma mit dem Enkel: Manche Senioren stünden wacker mitschunkelnd Jahr für Jahr am selben Ort.

Die VBZ mussten sich laufend besser organisieren, Linien umleiten und Strecken sperren. Die Stimmung sei dennoch «bombastisch», meint er: «An jede Ecke gibt es etwas zu sehen, viele aufgestellte Menschen, das schwappt auch auf uns über». Beinahe etwas verklärt wirkt die Aussage des passionierten VBZ-Mitarbeiters, als er erzählt, wie das 9er-Tram, welches damals noch vom Stadelhofen ins Seefeld fuhr, stillgestanden sei. Störrisch wie ein Esel nämlich und direkt vor dem Opernhaus, wo sich der grösste Pulk bewegte. Nichts ging mehr. Damals führte noch ein Abstellgleis auf den Sechseläutenplatz, also habe man versucht, das Tram aus dem Weg und rückwärts in dieses Gleis zu bugsieren. Erfolglos. Bremsen blockiert. Man habe dann Raver um Hilfe gebeten. «E ganzi Tschuppele Lüüt hät ghulfe schiebe, und würkli: Mit viel Chrampf und Getöse hämmer das Tram dank dere Unterstützig us em Weg bracht», sagt Müller strahlend.

Diverse VBZler und VBZlerinnen partizipieren aber nicht nur berufshalber an Europas inzwischen grösster Tanzdemonstration und deren Partys, nein, sie machen bisweilen auch als Privatleute mit. Wenig erstaunlich, gehört auch Bruno Müller dazu: Tagsüber in Uniform, schwingt er abends seit jeher die Hüften und das Tanzbein. Möglich machte dies auch ein Disponent der VBZ, der gewissermassen als «Papi der Raver» bei den Dienstzuteilungen dafür gesorgt habe, dass «seine Leute» an jenem Abend frei bekämen. Bruno Müller sagt, meist habe sich diese VBZ-Clique, die aus Frauen und Männern inner- und ausserhalb der PinkLine bestehe, abends an der «Angels Party» im Volkshaus gemeinsam ins Getümmel gestürzt.

Ebenfalls mittendrin statt nur dabei: Die VBZ mit Lovemobile Nr. 20 an der Street Parade, 7. August 1999.

Gulasch statt Bier

Von der Nacht aber nochmals zurück zur eigentlichen Street Parade. Und dem Problem, dass auch vermeintliche Nebenschauplätze für die VBZ zum Problem werden können – wenn sie unversehens in die Fahrspur der Busse «mäandern», was natürlich nicht geht.

Einmal, erzählt Müller, habe die Leitstelle gefunkt: «Jetzt müend er da go luege, die stelled überall Zelt uf!» Tatsächlich sei in frühen Jahren in Wollishofen entlang der Buslinien 161 und 165 bereits ab Donnerstagabend fröhlich campiert worden; manche Raver hätten gar auf der Strasse grilliert.

Also habe er, Müller – damals noch Kundenberater – mit einem Serviceleiter nach dem Rechten gesehen. Dabei seien sie auf eine Gruppe Niederländer gestossen, die aus Gaudi den Troubleshooter-Wagen, ja die ganze Strasse blockierten. «Die haben halt schon Party gemacht und fanden das lustig, mein Serviceleiter eher weniger», sagt der nachsichtige Problemlöser schmunzelnd. «Wir mussten die freundlich zur Räson bringen, worauf sie uns eingeladen haben, mit ihnen ein Bier zu trinken». Ein Angebot, dass die beiden VBZler im Dienst natürlich abgelehnt haben. Die Gulaschsuppe allerdings, die man zur Versöhnung ebenfalls anbot, hätten sie aber mit Freude probiert, und sie habe echt lecker geschmeckt.

Beim Schlusswort, an die Raver gerichtet, dringt dann aber doch der Serviceleiter durch – frei nach dem diesjährigen Motto der Parade, «Think!»: «Der Bahnhofsquai ist heikel für unsere Trampiloten, trotz Hilfskräften ist das ein wirklich gefährlicher Übergang. Darum möchte ich alle bitten, da besonders aufzupassen.» Doch schon ist der Schalk zurück in Müllers Mimik, und passend dazu lautet sein Schlussvotum: «Euch allen eine grandiose Party!»

Dieser Artikel wurde erstmals am 11. August 2022 veröffentlicht. 

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