«Mach etwas, das es noch nicht gibt»: Das Unalltägliche stellt den Alltag von Peter Läubli.
Die leuchtende «Acht», die den Hardplatz ziert – entworfen auf dem Reissbrett einer chicen Designerbude, von einem jungen Herrn mit Hipsterbart. Praktische Infosysteme, deren glänzende Einzelteile von klobigen Robotern vom Fliessband geklaubt werden. Oder die Tram- und Bus-Draisinen, auf denen einst Besucher des Züri-Fäschts mit rotem Kopf und wehendem Haar hin und her rasten – direkt aus dem wilden Westen eingeflogen. So mögen Sie sich das vielleicht vorstellen.
In Wahrheit ist alles ganz anders. Tief in den Hallen der VBZ-Zentralwerkstatt, da tüftelt nämlich seit langer, langer Zeit ein Urgestein und bringt Dinge hervor, die es so noch nirgends gibt. Das Urgestein nennen manche den «Daniel Düsentrieb der VBZ», er selbst nennt sich Peter Läubli, und er hat schon fünf Direktoren «überdauert». Aber erst mal ganz von vorn.
Als der «Läubli», wie er gern genannt wird (die VBZ’lerinnen und VBZ’ler sind da nämlich meist nicht sehr förmlich, ja man könnte sagen, auf liebevolle Weise ein bisschen hemdsärmlig), anno 1976 zur VBZ stiess, hatte er aus seiner Lehrzeit bereits Erfahrungen mit aller Gattung Fahrzeugen vorzuweisen – Feuerwehrwagen, Übertragungswagen des Fernsehens und andere Vehikel, deren Metallteile standardmässig nicht zu erwerben sind. Nun wandte er sich also den VBZ-Bussen zu, und fertigte für selbige als Neu-Spengler Carrosserie-Teile. Zehn Jahre lang konzentrierte er sich fortan darauf, fahrbaren Untersätzen ihre makellose Optik zurückzugeben.
Nun hiess «ausgelernt» damals wie heute keinesfalls, dass es nichts mehr zu Lernen gegeben hätte. Zu Zeiten der 80er-Jahre nämlich wollte in der Metallschlosserei zunächst kaum einer mit jenem neuen Prunkstück von Stanzmaschine arbeiten, das mittels Computer zu bedienen war – es bestanden Berührungsängste. Die Informatik lernte laufen, also lernte der Läubli das Programmieren. «Auf einer IBM PS 60, das ist vergleichbar mit einem Commodore 64», erinnert er sich. Weil mit diesen ersten Schritten der Automation viel Zeit gespart werden konnte, zogen auch andere Mitarbeitende nach, und bald wurden alle Blechteile mit der neuen Maschine hergestellt.
Dadurch wurden Ressourcen frei, Peter Läubli drückte anno 1991 nochmals die Schulbank und avancierte zum Betriebs- und Organisationsfachmann sowie schliesslich zum Meister. Dann nahm er sein nächstes Ziel ins Visier: Die Haltestelle. Die neuen Ticketautomaten mussten mit Trage- und Beleuchtungskästen ergänzt werden. Auch die Infosysteme sollten angepasst werden: Diese waren seinerzeit nicht zur Bedienung durch Menschen im Rollstuhl ausgerichtet, also wurden sie von Läublis Team tiefergelegt. «Die ersten zehn waren mega spannend, aber mit der Zeit ging die Anzahl der benötigten Systeme in die Hunderte», stöhnt er. So ganz kauft man ihm das Leiden nicht ab. Jetzt nämlich lehnt er sich vor, und lässt weitere Details zum besagten Infosystem sprudeln: Früher schepperten an den Haltestellen die sogenannten Trichterlautsprecher. Läubli grinst: «Oh, es gibt eine Durchsage, aber keiner versteht sie». Das erste einwandfrei verständliche, direkt an die Leitstelle angeschlossene Lautsprecher-Modell wurde am Paradeplatz angebracht. «Die mussten sauber eingestellt werden, damit es die Gäste im Savoy nicht aus dem Bett federte, wenn eine Durchsage lief», lächelt der 64-jährige süffisant.
Wer sich in das Reich des pfiffigen «Läubli» begibt, bekommt in der Regel mit unverhohlener Freude die neuesten Erzeugnisse präsentiert. Zum Beispiel den Prototyp eines Raclette-Öfeli, das die Kinder am Zukunftstag selbst basteln durften. Oder Spardosen in Ticketautomatenform und die frisch instand gestellte Trambar. Letztere wurde einst aus dem hinteren Teil des ersten Gelenktrams – Wagentyp 1801 für die Kennerinnen und Kenner – gebaut, Teile des Gelenks bestanden aus Wengeholz: Läubli rollt mit den Augen, «damals kannte man noch keinen Umweltschutz». Aus der ganzen Stadt strömen sie zum «Problemlöser Läubli», das EWZ, die Stapo, Grün Stadt Zürich. Er macht Schilder, poliert Messing auf Hochglanz, montiert die LED-Beleuchtung in die selbst gebaute, vier Meter hohe grüne Acht, baut Spieltrams für Kindergärten, konstruiert Infoposten – seinerzeit für die EM, und als die EM vorüber war, entstand daraus die heutige Verkaufskabine für das Märlitram, und… und all das könnte er natürlich nicht ohne sein Team bewerkstelligen. «Ein Team, das Gedanken aufnimmt und fortsetzt – auf jeden Einzelnen ist Verlass», nickt Läubli dankbar.
Zu seinem Team gehören auch immer wieder Asylsuchende, die nicht Däumchen drehen, sondern arbeiten wollen. Diese Mitarbeitenden werden ihm vom AOZ vermittelt und in seinem Team während eines Jahres ausgebildet. Zum Beispiel Abraham aus Eritrea, der seiner mangelnden Deutschkenntnisse wegen keine Lehrstelle fand. Nach einem Jahr in Läublis Team, in welchem man ihm einen Sprachkurs ermöglicht hat, fand der kluge junge Mann nun unlängst einen offiziellen Ausbildungsplatz bei den VBZ.
Schon seit 41 Jahren ist der Mann, dessen Blick auch dann zu schmunzeln scheint, wenn er ernst ist, mit den VBZ «verheiratet» – die selbe Beständigkeit legt er privat an den Tag. Heuer durfte er nämlich die «Rubinhochzeit» feiern, heisst vierzig Jahre Ehe. Auch sonst ist der Privatmann Läubli derselbe, den man in der Werkstatt antrifft. Dort fällt das Auge des Beobachters auf einige sehr kunstvoll gearbeitete Pfeilbogen. Die sind nicht etwa dazu da, um sich ungebetene Besucher vom Hals zu halten, nein im Gegenteil: Wer die Metallschlosserei betritt, bekommt erst einmal die Geselligkeit des Abteilungsleiters zu spüren und ein Käffeli serviert. Einmal im Jahr, so plaudert er munter, beteilige er sich an der Organisation eines Ausflugs mit den Pensionierten, von denen einige immer noch regelmässig bei ihm zu Besuch kommen. Das jüngste der bisher 16 «Reisli», habe von Basel nach Rheinau geführt. Per Schiff versteht sich.
Schlagen wir den Bogen aber zurück zu den Schiessgeräten: Der Vater dreier Kinder bastelt daheim am Greifensee die wundersamsten Bogen, und zwar nicht irgendwelche, sondern unter anderem den von Odysseus. «Der mittlere Kern ist aus Eibenholz, gedämpft mit einem Kern aus Horn. Aussen ist er angerillt mit Zacken und nach traditioneller Art mit Fischleim auf Sehne gebracht – die Fäden auf der Aussenseite bestehen aus Hirsch-Achillessehnen, die hab ich vom Metzger». Der passionierte Pfeilbogenbauer lässt detailreich mit Worten einen virtuellen Bogen vor dem inneren Auge wachsen – wer wissen will, wie die Variante der kanadischen Indianer hergestellt wird, möge ihn bitte selbst fragen. Natürlich – schliesst er seine Ausführungen – schiesse er auch damit, aber eigentlich gehe es ihm prioritär um das Bauen.
Zum Ende des letzten Jahres schaffte der Leiter der Metallschlosserei Platz. Einerseits im Keller der VBZ, wo beinahe museumsreife Maschinen noch immer eingesetzt wurden, um alte Oldtimer-Teile auf Vordermann zu bringen. Diese weichen jetzt einer topmodernen Lasermaschine. Platz macht er auch auf seinem Posten: Er gibt sein Amt als Chef ab und reduziert das Pensum, um mit seinen Ideen auch im privaten Bereich noch präziser ins Schwarze zu treffen. Zum Ende deutet er auf eines seiner Lieblingsbilder, die unendlichen Treppen des Surrealisten M.C. Escher, und senkt ehrfürchtig die Stimme: «Man muss bescheiden bleiben. Mach was du kannst – sowas hier könnte ich nicht, leider.».
Die Entstehung der 8 am Hardplatz