Baustellenfreude

Der Albisriederplatz

Wenn das Tram an Ihnen vorbei fährt...

Während in diesen Tagen die Grossbaustelle am Bellevue das Stadtgeschehen bestimmt, freute ich mich schon längere Zeit zuvor über eine ganz andere Baustelle. Ja, Sie haben richtig gelesen, ich freute mich über eine Baustelle! Vielleicht vermuten Sie, dass ich jetzt nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, nicht ganz dicht bin, schliesslich sind Baustellen in der vielbefahrenen und engen Stadt Zürich wahrhaftig für so ziemlich keinen Verkehrsteilnehmer eine Freude. In gewissen Punkten aber verschiebt sich die Sicht auf die Sachlage, wenn man Baustellen mit den Augen des Fahrdienstes betrachtet. Das kann manchmal sogar recht amüsant sein!

Ja, Sie haben richtig gelesen, ich freute mich über eine Baustelle!

Normalerweise bedeuten Baustellen im Bereich unserer Linien für uns Umleitungen, zahlreiche Fragen von Fahrgästen, erhöhtes Verkehrsaufkommen und Staus, einhergehend mit Verspätungen. Auch das Steuern von Tram und Bus an sich erfordert im Baustellenbereich eine besondere, erhöhte Konzentration, denn oft müssen wir uns an grossen Baumaschinen vorbei schlängeln und immer ein Auge auf Bauarbeiter haben, die nicht selten im Abstand von weniger als einem Meter zu unseren Fahrzeugen ihre Arbeit verrichten. Häufig wird der Individualverkehr auch auf unsere Spuren zugeführt, wodurch wir oftmals nicht so flüssig vorwärts kommen, wie sonst üblich. In seltenen Fällen führen die Anweisungen von Angehörigen der verschiedenen im Baustellenbereich tätigen Verkehrsdienste zu Missverständnissen, aus denen leider manchmal recht brenzlige Situationen entstehen. Wie kann man also Freude an bestimmten Baustellen empfinden?

Der Albisriederplatz, seines Zeichens einer der sehr stark frequentierten Knotenpunkte Zürichs, ist im Normalzustand bisher eine Herausforderung gewesen. Ich habe ihn nie sonderlich gemocht, da sich hier in Stosszeiten die PWs oft nach dem Prinzip «ich bin der Schnellere und Stärkere» und ohne Rücksicht auf Verluste in jeden eben gerade frei gewordenen Strassenraum schoben; in der Hoffnung, so schneller vorwärts zu kommen. Durch die Massen an PWs zwängten sich die zahlreichen Passanten und die Fahrgäste der Tram- und Buslinien. Darüber hinaus war zumindest bisher der Albisriederplatz so wie der Stauffacher und das Bahnhofquai immer Sammelpunkt von Randständigen, die – je nach bereits konsumierter Menge von Alkohol oder Drogen – zusätzlich hin und wieder das eigene Nervenkostüm strapazierten. Ich war immer froh, wenn ich je nach Fahrtrichtung die Haltestelle «Krematorium Sihlfeld» oder «Zypressenstrasse» erreicht und somit den Albisriederplatz hinter mir gelassen hatte. Nun wird der Albisriederplatz umgebaut, wovon letzten Endes insbesondere Sie als unsere Fahrgäste zukünftig profitieren werden.

In den ersten Tagen bemerkte ich nur wenig von den beginnenden Bauarbeiten, aber dann ging es richtig los: Auf einmal waren all die PWs, Kleinlieferwagen und LKWs verschwunden, die Haltestellen verschoben und der eigentliche Platz nahezu leer gefegt. Mit der gebotenen Vorsicht wegen der Bautätigkeiten konnte ich nun zügiger den Platz durchfahren und musste mir nicht mehr den Vortritt erkämpfen. An dem Sonntag, an dem das hier gezeigte Foto entstand, wirkte der Platz geradezu ein klein wenig postapokalyptisch, als hätten die Anwohner dieser Region fluchtartig ihre Häuser verlassen. Auf einmal wirkte dieses Teilstück der Linien 2 und 3 wie ein Wohlfühlhotel für Fahrdienstleistende! Sicherlich ist der derzeitige Zustand nicht von Vorteil für das anliegende Gewerbe und tatsächlich bemerkte ich schnell ein weitaus geringeres Aufkommen an Passanten, als sonst üblich. Aber wenn ich an andere Projekte wie zum Beispiel die Neugestaltung der Weststrasse denke, so meine ich, dass sich diese Baumassnahme auch langfristig positiv auf den Albisriederplatz auswirkt. So, wie es jetzt geplant ist, werden viele Beteiligte einen Nutzen daran haben, dessen bin ich mir sicher.

Obwohl die VBZ bereits lange vor dem eigentlichen Baubeginn über die Arbeiten und die Verschiebungen der Haltestellen informiert hatten, standen in den ersten Tagen der Bauarbeiten immer noch zahlreiche Fahrgäste an den alten Haltestellen. Sie wunderten sich nicht im Geringsten darüber, dass sich um sie herum bereits erste Presslufthammer den Weg durch den Asphalt bahnten, die Haltestellenbeschilderungen entfernt und statt Sitzbänken nun Baumaschinen anzutreffen waren. Wie all die Tage und Wochen zuvor standen sie am alt angestammten Ort und warteten auf ein Tram der 2 oder 3 – aber wir fuhren an ihnen vorbei, schliesslich waren die Haltestellen bereits verschoben. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, sollten Sie zu diesen Fahrgästen gehört haben, aber der Gesichtsausdruck, den manch einer von Ihnen in diesem Moment zeigte, war einfach unbezahlbar! Für mich war es das Sahnehäubchen auf der Torte! Wie so ein Gesichtsausdruck aussieht? Stellen Sie sich einfach Ihren eigenen Gesichtsausdruck vor, wenn Sie sich eine Fernsehsendung anschauen und dann vollkommen unvermittelt der Fernseher seinen Geist aufgibt. Am treffendsten liesse sich dieser Ausdruck mit „vollkommener Ungläubigkeit“ beschreiben!

Ein schöneres Beispiel für das Wirkungsprinzip «die Macht der Gewohnheit» gibt es in Bezug auf ÖV nur sehr selten zu sehen. Und das, obwohl viele von Ihnen, wie Sie da an der alten Haltestelle standen, trotz Lektüre von Zeitung, Tablet und Smartphone den wichtigsten Text in Form einer Informationstafel tage-, wenn nicht sogar wochenlang schlicht und ergreifend ignoriert hatten. Natürlich gab es einige wenige Fahrgäste, die sich unter anderem auch bei mir teils recht wüst über die vermeintlich nicht angekündigte Haltestellenverschiebung echauffierten. Aber mich störte das wenig, im Gegenteil. Auf meine Bemerkung

«Na dann erklären Sie mir doch mal bitte, warum die meisten Fahrgäste von Beginn an an der richtigen Haltestelle standen. Vielleicht können wir ja an unserem Service noch etwas verbessern!»

folgte ausnahmslos ein Schweigen begleitet von einem Gesichtsausdruck, der noch unbeschreiblicher war, als der vormals bereits erwähnte. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum zumindest ich an der Baustelle Albisriederplatz durchaus meine Freude habe.

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