Auf den Spuren der verlorenen Sekunden

Ramon Rey, Leiter der städtischen Arbeitsgruppe «ÖV-Zuverlässigkeit» über die verschiedenen Möglichkeiten, die Pünktlichkeit beim Bus zu verbessern, und deren die vielversprechendstes Kind, die elektronische Busspur.

Mit der Pünktlichkeit ist es so eine Sache. Es kann einer noch so zuverlässig im Geiste sein, steht er mit dem Auto im Stau, kommt er unverrückbar zu spät. Ist es der Bus, der im Stau steht, kommt nicht nur einer zu spät, sondern dazu noch etliche Leidensgenossen – die verpassten Anschlüsse nicht zu vergessen.

Der Frage, wie solcher Unbill zu verhindern sei, geht bei den VBZ Ramon Rey, Projektleiter Infrastrukturmanagement nach. Falls Sie sich wundern, was das Managen der Infrastruktur mit der Pünktlichkeit zu tun hat, so lautet die Antwort: Viel. Die Strasse als solches ist für den Verkehr natürlich die wichtigste Infrastruktur. Wo selbige mit Fahrzeugen verstopft wird, ist auch die Malaise unausweichlich. Als Leiter der Arbeitsgruppe «ÖV-Zuverlässigkeit» hat sich Rey deshalb die Steigerung der ÖV-Pünktlichkeit in der Stadt auf die Fahne geschrieben. Er analysiert, wo es harzt, und was dagegen zu tun sei. Heute erklärt er uns, was es für Möglichkeiten gibt, die Pünktlichkeit der Busse zu erhöhen und worum es sich bei einer elektronischen Busspur handelt.

Die Unberechenbarkeit ist des Fahrplans Feind

«Viele Pünktlichkeitsprobleme sind durch die Verkehrsüberlastung verursacht», schickt Rey voraus. «Die Situation auf der Strasse sollte möglichst vorherseh- und deshalb planbar sein. Kleine, immer wieder auftretende Störungen sind daher nicht ganz so dramatisch wie unregelmässige: Wenn die Fahrzeit – wie am Zeltweg auf der Linie 31 – verkehrsbedingt zwischen zwei und zwölf Minuten schwankt, kann mit Massnahmen im Fahrplan unmöglich eine Lösung gefunden werden. Dazu kommen Baustellen, die uns das Leben schwer machen.»

Dem wird, wo immer möglich, mit einer Bevorzugung des ÖV an Ampeln entgegengewirkt. Zum Beispiel, indem der Bus eine zusätzliche Grünphase erhält. Weitere Massnahmen bewegen sich im Bereich der Fahrspuren. Eine davon ist die sogenannte Busschleuse: Dabei darf der Bus beispielsweise in der Rechtsabbiegerspur dem Stau ausweichen, um geradeaus weiterzufahren.

Eine Spur, zwei Fahrtrichtungen

Die optimale Lösung im Interesse des ÖV ist natürlich die eigene Spur für den Bus. Die Linien 32, 61 und 62 kommen seit Ende letzten Jahres an der Wehntalerstrasse in den Genuss einer eigenen Busspur. Weitere Projekte sind auch geplant und es kommen laufend neue hinzu. Das ist aber nicht selbstverständlich: «Nicht überall steht ausreichend Fläche für die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmenden zur Verfügung», stellt Rey fest. Auch wenn die Stadt Zürich versucht, für alle Beteiligten optimale Lösungen zu finden, sind Kompromisslösungen unausweichlich.

Eine innovative Lösung, die Rey ins Feld führt, nennt sich «elektronische Busspur». Während es sich bei einer normalen Busspur um eine separate physische Fahrspur handelt, ist bei einer elektronischen Busspur kein zusätzlicher Platz notwendig. Der Bus wird elegant auf der Gegenfahrbahn um den Stau herumgeführt. Das muss natürlich per Signalanlage geregelt werden, und darum heisst es eben «elektronische Busspur».

Wenn die Busse in beiden Richtungen diesem Komfort profitieren sollen, spricht man von einem «Richtungswechselbetrieb». Dafür sind in der Regel mindestens 3 Fahrspuren notwendig, wobei die mittlere exklusiv für die Busse in beide Fahrtrichtungen reserviert ist. Ein Beispiel befindet sich in der Langstrasse, auf dem Abschnitt zwischen Helvetiaplatz und Militärstrasse. Aufgrund des Einbahnverkehrs für Autos funktioniert hier das Prinzip sogar mit zwei Fahrspuren. Ein weiteres Exemplar wurde 2019 in der Hohlstrasse umgesetzt, zwischen Herdernstrasse und Hardplatz. Dort entlastet sie die Linie 31. Seit deren Fertigstellung, sagt Rey, «ist die Streuung der Fahrzeit in diesem Abschnitt stadteinwärts um rund 2 Minuten zurückgegangen». Mit anderen Worten: Die tatsächlichen Ankunfts- und Abfahrtszeiten entsprechen exakter dem Fahrplan.

Eine weiteres Kind aus der Familie der «Richtungswechselbetriebe» ist die sogenannte «Lastrichtungsspur», wie es sie in Adliswil für die Linien 184 und 185 zwischen Grüt und Tiefacker geben wird. Diese Spur wird nur in eine Richtung gefahren – nämlich dort, wo der Stau steht. Darum heisst es auch Lastrichtung. In Adliswil ist das morgens stadteinwärts. Der Bus stadtauswärts fährt mit den übrigen Verkehrsteilnehmern auf der normalen Spur. Abends sind es dann die Busse stadtauswärts, welche in den Genuss einer eigenen Spur kommen.

Contra- und Withflow-Betrieb

Beim «Contraflow-Betrieb» hat der Bus Vorrang vor den Automobilisten. So wie auf der 200 Meter langen Strecke in Rapperswil-Jona. Da sich der Verkehr Richtung Jona regelmässig staut, wird der Autoverkehr in der Gegenrichtung angehalten und der Bus kann in Richtung Jona auf der Gegenspur den Stau überholen. Im städtischen Verkehrsnetz der VBZ findet sich noch keine derartige Lösung – für die angrenzenden Gemeinden werden aber welche gesucht. Übrigens gäbe es noch eine extremere Variante, bei der die Autos nicht nur halten, sondern den Fahrstreifen sogar vorübergehend verlassen müssen, ähnlich einer Rettungsgasse für die Ambulanz. Dieses Modell nennt sich «Withflow-Betrieb» und erfordert eine komplizierte Sicherungstechnik ; bisher kommt es in der Schweiz auch nirgends zur Anwendung.

Der Contraflowbetrieb in Rapperswil-Jona, St. Dionys. (Bild: EWP)

Der Platz ist knapp

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Steigerung der Pünktlichkeit nichts ist, was sich locker aus der Hüfte mit der grossen Kelle anrichten liesse. Im dichten Stadtverkehr kann auch mit findigen Massnahmen nur punktuell etwas Zeit gewonnen werden. Aber schon eine kleine Verbesserung von paar Sekunden ist wichtig, denn nicht umsonst heisst es «Kleinvieh macht auch Mist». Die fraglichen Punkte zu finden und Streckenverläufe bis ins kleinste Detail zu optimieren, das ist eine Aufgabe, die mit unermüdlichem Einsatz weiterverfolgt wird.

Warum also finden sich nicht noch mehr Beispiele in der Stadt Zürich? Auch für die elektronische Busspur gelten gewisse Bedingungen. Zum Beispiel dürfen sich im Bereich der elektronischen Busspur aus Sicherheitsgründen möglichst keine Zu- oder Abfahrtsstrassen befinden. Gerade in der Stadt, wo es so viele Einfahrten hat, ist das keine einfache Ausgangslage. Soll die Strasse um eine Spur für den Bus erweitert werden, geht das zu Lasten der an die Strasse angrenzenden Parzellen. Auf der Linie 31 etwa täte dringend eine Entlastung im Bereich des Zeltwegs not. Geht aber nicht: «Es hat schützenswerte Gebäude und Bäume, da kann man nichts machen. Platz für zusätzliche Verkehrsflächen hat es also nur sehr begrenzt», seufzt Rey. Aber es werden weiter gemeinsam mit allen Beteiligten nach innovativen Varianten gesucht: «Wir ziehen alle an einem Strick, um mit kleinen Fortschritten vorwärts zu kommen – die Gründung der neuen Arbeitsgruppe ist nur eines von vielen Beispielen. Auch die elektronischen Busspuren sind ein wertvolles Puzzleteil beim Bestreben, flächendeckende Lösungen für einen reibungslosen Busverkehr zu finden. Je grösser die Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten ist, desto eher ist der ÖV auch zukünftig pünktlich unterwegs.»

 

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