Die VBZ-Linien sind Zürichs Lebensadern. Schnurgerade oder mit Ecken und Kurven verlaufen sie kreuz und quer durch die ganze Stadt. Dabei hat jede dieser Linien ihren Charakter, der geprägt ist von den Fahrgästen und der Strecke. In einer losen Serie gehen wir ihren Persönlichkeiten auf den Grund. Diesmal: Die Tramlinie 8.
Wer mit einer Acht auf der Stirn umher fährt, hat allen Grund, entspannt in den Schienen zu liegen. Immerhin symbolisiert die Zahl, um 90 Grad gedreht, die Unendlichkeit. Aber auch aufrecht stehend umweht ein Nimbus von Heiligkeit und Glück die gewundene Ziffer. Im Buddhismus etwa führt der achtfache Pfad zur Erkenntnis; die Tramlinie 8 indes führt in erster Linie mal vom Klusplatz zum Hardturm.
Das war aber nicht immer so. Der gute alte Achter hat nämlich eine bewegte Zeit hinter sich. Nicht nur deshalb, weil Bewegung für ein Tram natürlich per se der prioritäre Daseinszweck darstellt. Ehedem war die rollende Kubikzahl ja eine, na sagen wir, eher unauffällige Erscheinung. Die Strecke vom Klus- bis zum Hardplatz bediente sie schon seit 1937 mit der stoischen Verlässlichkeit eines Gerichtsvollziehers. Auch teilte sie sich den Ausgangspunkt am Klusplatz mit der Linie 3, was ja bestens passt. Die beiden Linien, die sich übrigens am Stauffacher kreuzen (gerade so, als wollten sie eine 8 formen…), wirken ja auch optisch, als hätten sie die selbe Mutter. Beide kommen sie schon mal mit grüner Front daher. Und was die Zahlen angeht: Irgendwie wirkt die 3 mit ein bisschen Phantasie ja immer so, als wäre dem Federkiel beim Schreiben der 8 die Tinte ausgegangen. Die Turtelei zwischen Klusplatz und Kunsthaus erfuhr jedoch im Winter 2017 ein jähes Ende, als die Acht fortan via Kreuzplatz wie ein Adler in die Tiefe Richtung Stadelhofen stiess.
Routenmässig eher eine Querulantin
Abgesehen von der Liebelei mit der 3 zeigte sich die Linie 8 ohnehin nie ganz so gesellig wie viele andere Tramlinien, die zumindest die Innenstadt gerne im Duett mit anderen Nummern befahren. Wennschon sie sich das das Revier bis Paradeplatz zwangsläufig mit etlichen Linien teilt. Anders ist es schlicht auch nicht möglich, es sei denn, das Tram wollte die Limmat über die Gemüsebrücke überqueren.
Während man anderen Linien durchaus zutraut, dass sie sich nachgerade im Glamour der Innenstadt sonnen, macht sich der publikumsscheue Achter vom Acker, so bald es ihm möglich ist. Seinem Wesen liegt es näher, einen Haken in jene Stadtteile zu schlagen, die ohne sein Erscheinen vernachlässigt würden – das ist natürlich im wahrsten Sinne des Wortes achtsam. So sorgt das Tram dafür, dass die Fahrgäste beim Bahnhof Selnau einen Anschluss in alle möglichen Richtungen erhalten, und kurvt dann am Stauffacher unverdrossen quer über die Linien 2, 3, 9 und 14 hinweg, die dort für eine kurze Strecke ein Quartett bilden.
Heimatort «Bäcki» hält unsere Linie jung
Dass unsere grüne Linie lieber den Hinterhöfen anstatt den Hauptachsen entlang fährt, bringt mit sich, dass emsig ein- und ausgestiegen wird; die meisten Passagiere halten sich eher kurz im Tram auf. Diese Betriebsamkeit an ihren Türen stört unser Tram wenig. Auch nicht auf der Strecke über den Helvetiaplatz bis zur Bäckeranlage, wo sich sowohl ihr hohes Alter wie auch ihre blühende Jugend zeigt. Wie das möglich ist? Nun, die Bäckeranlage ist der letzte verbleibende Teil ihrer anfänglichen Strecke von anno 1910. Damals fuhr die Acht nämlich von der Werdstrasse via Bäckeranlage zur Militärstrasse und von dort zum Hauptbahnhof, ehe sie im Verlaufe der weiteren Jahre nach und nach (mit einem kleinen Ausflug zur Seilbahn Rigiblick zwischen 1927 und 1935) zu ihrer heutigen Form erwuchs. Gleichzeitig bedient sie hier natürlich ein junges Publikum, das sich vor allem für die Unterhaltungsmöglichkeiten und das kulturelle Angebot im Kreis 4 interessiert oder sich ganz einfach auf der «Bäcki» die Sonne auf den Pelz scheinen lassen möchte.
Das Achtenputtel gerät ins Rampenlicht
Der Umstand, dass sich die Acht nie zu schade war, einem Aschenputtel gleich die wenig elegante, ja gar etwas hohle Fahrt durch die Hohlstrasse aufzunehmen um unspektakulär am verwaisten Hardplatz zu wenden, verhalf ihr Ende 2017 zu einem Aufstieg, der besagtem Märchen in Nichts nachstand. Gemeint ist der Aufstieg auf die Hardbrücke, und damit der Eintritt ins Rampenlicht. Die neue Strecke, vorbei am hochmodernen Prime Tower und dem altehrwürdigen Schiffbau, verliehen ihr vorübergehend einen gewissen Promistatus. Wie eine Achterbahn schoss sie auf die Titelblätter der Zeitungen, im Netz hielten Videos ihre Jungfernfahrt über die Brücke fest, ja sie wurde gefeiert und erhielt den klangvollen Beinamen «Tramverbindung Hardbrücke». Ausserdem wurde sie so nebenher mit einem neuem «Gspusi» verkuppelt, der Linie 17, mit der sie sich seit Fahrplanwechsel 2021 wieder den Weg zu einem imaginären Fussballstadion teilt, das dem Vernehmen nach von zukünftigen Generationen dort erbaut werden soll.
Die Herausforderungen werden mit unorthodoxen Massnahmen gemeistert
Natürlich liessen auch die Schattenseiten der Prominenz nicht lange auf sich warten. So hetzte das bis anhin eher ruhige Tram plötzlich von Termin zu Termin. Die Herausforderungen der neuen Strecke brachten auch das Fahrpersonal in die Bredouille, dem jetzt gar die Zeit fehlte, gewisse Örtlichkeiten aufzusuchen. Diesem Unbill wurde vorübergehend mit einem sogenannten «Boxenstopp» begegnet, will heissen, die in Not geratenen Trampilotinnen und -piloten wurden – ähnlich wie beim Formel 1, der Vergleich ist nicht ganz aus der Luft gegriffen – auf der Strecke abgelöst. Auf die etwas umständliche Situation reagierte man wenig später mit dem Einsatz eines zusätzlichen Fahrzeugs, was die angespannte Lage entschärfte. Das war ohnehin nötig, kutschierte der Achter doch binnen eines Jahres nach seiner Verlängerung 76 Prozent mehr Fahrgäste durch die Stadt.
Diese Lösung ging allerdings mit einem neuerlichen Kuriosum einher. Es mangelte nämlich am nötigen Rollmaterial für zusätzliche Trams, weshalb die Linie – als solche eben noch die jüngste Ode an die Zukunft – einen Oldtimer des Typs «Mirage» unter seine Fittiche nahm. Wir mutmassen, dass sich das «Achti» bei seiner Reise in die Vergangenheit nicht wirklich unwohl gefühlt haben dürfte. Zumal die Linie auch vorher schon nicht mit dem neuesten Rollmaterial, sondern ganz genügsam mit einem Tram 2000 auskam. Unterdessen ist wieder Ruhe eingekehrt, allenthalben begleitet von einem friedlichen Summen: Der Linie 8 fällt am Hardplatz nämlich die Ehre zu, die begrünte Haltestelle der Stadt – deren Aufgabe es ist, Bienen und anderen Insekten eine Heimat zu bieten – zu bedienen.
Und so beweist sich die Acht als Pfad zu einer wichtigen Erkenntnis: Bisweilen wächst Neues an unerwarteter Stelle. Wer unterwegs aber besonnen die Weichen stellt, gelangt schlussendlich ans Ziel.