Bus-Chauffeur Yusuf Demirayak und Tram-Pilot Hannes Paul gehören zu den rund 60 Fahrern, die seit 20 und mehr Jahren ohne selbstverschuldeten Unfall für die VBZ unterwegs sind. Im Gespräch erklären sie ihr «Erfolgsrezept» und sagen, weshalb ihr Beruf sie oft auch zum Schmunzeln bringt.
Herr Demirayak, Herr Paul, Sie beide sind heute für 25 beziehungsweise 30 Jahre unfallfreies Fahren ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
D: Es ist ein schönes Gefühl, dass man dies wahrnimmt und uns diese Wertschätzung entgegenbringt.
P: Ja, das sehe ich auch so. Ausserdem ist der Anlass eine gute Gelegenheit, unsere Vorgesetzen und Kollegen in einem informellen Rahmen zu treffen. Berufsbedingt sind wir ja nicht allzu oft als Team unterwegs.
Unfallfreies Fahren über eine so lange Zeit – wie geht das?
D: Einerseits hatten wir in vielen Situationen Glück und sind froh, dass es viele aufmerksame Passanten und Verkehrsteilnehmende gibt. Eine Portion «Können» unsererseits kommt aber sicherlich dazu (schmunzelt). Wir dürfen uns nicht hetzen lassen und müssen vorausschauend fahren. Das ist das wichtigste in unserem Job.
P: Das Erfolgsrezept zu erklären, scheint mir schwierig. Aber ich stimme Yusuf zu, dass man mit Stress umgehen können muss. Was mir auch hilft, einen guten Job zu machen, ist das Bewusstsein, dass ich die Verantwortung dafür trage, was rund um mein Tram passiert. Egal, welche Situationen man antrifft – ich muss entscheiden und ruhig handeln können.
Kamen Sie auch schon in Situationen, in denen es – wie man so schön sagt – «brenzlig» wurde?
D: Die gibt es oft. Aber mit der Erfahrung und dem Wissen, was passieren könnte, kann auch vieles verhindert werden. Erst kürzlich wollte eine junge Frau an der Bushaltestelle eine Menschenmenge überholen und bewegte sich dazu mitten auf der Busspur. Ich habe sie von weitem gesehen und konnte entsprechend reagieren.
P: Ein anderes Beispiel sind die Passantinnen und Passanten, welche bei Rot über die Kreuzung rennen oder plötzlich um die Ecke kommen. In solchen Situationen hat man keine Chance vorausschauend zu sein, da muss man einfach Glück haben, dass nichts passiert.
Wie geht man mit einer solchen Situation um?
D: Mein erster Gedanke ist meistens «Schwein gha». Und natürlich merke ich, wie das Adrenalin durch meinen Körper schiesst. Aber mit diesem Risiko ist dieser Job nun mal verbunden. Wir können jedoch nicht für jede Situation die Verantwortung übernehmen. Die Passanten und die anderen Verkehrsteilnehmer müssen ebenfalls ihren Beitrag leisten.
P: Ich reagiere ähnlich. Aber ich habe persönlich einen guten Umgang mit solchen Situationen gefunden. Ich kann daraus lernen oder im Falle, dass eine schwierige Situation fremdverschuldet ist, muss ich sie auch einfach «abhaken» und weitermachen können. Es wäre kontraproduktiv, wenn ich immer mit der Angst fahren würde, dass etwas passieren könnte.
Wenn Sie von Kollegen hören, dass sie in Unfälle verwickelt sind – wie ist das für Sie?
D: Mir ist bewusst, dass mir das genauso passieren könnte. Deshalb tauscht man sich auch untereinander aus und erzählt von ähnlichen Erfahrungen. Wir sind ein Team und unterstützen uns gegenseitig, wenn nötig.
P: Jeder hat seine eigene Strategie, mit solchen Situationen umzugehen. Ich gebe meine Erfahrungen ebenfalls gerne weiter, wenn es gewünscht ist.
Anders als in anderen Berufen können Sie sich nicht einfach mal zurückziehen und einen Tag in Ruhe Liegengebliebenes abarbeiten. Wenn Sie unterwegs sind, müssen Sie voll bei der Sache sein. Wie schafft man das tagein, tagaus?
D: Das schafft man nicht immer – jeder von uns hat mal schlechte Stunden. Aber es hilft, wenn man sich selbst gut kennt. Wenn ich weiss, dass ich nicht 100 Prozent bei der Sache sein kann, gehe ich nicht zur Arbeit. Das erfordert Disziplin, aber das bin ich mir, den VBZ und vor allem den Kundinnen und Kunden schuldig. Das kommt aber so gut wie nie vor. Wenn ich mich ärgere, marschiere ich auch einfach mal rund um den Bus und atme tief ein und aus. Das hilft schon sehr.
P: Ich mache meinen Job auch nach vielen Jahren noch wahnsinnig gerne, weil ich mit einer positiven Einstellung an die Arbeit gehe. Ich habe meine Mühe mit Kolleginnen und Kollegen, die sich ständig über Baustellen beschweren. Das verbraucht zu viel Energie, die ich besser investieren kann.
Herr Paul, Sie haben eben nochmals betont, dass Sie den Job schon lange machen – wie sind Sie aber damals, vor 30 Jahren, überhaupt dazu gekommen?
Ich war früher im Gastgewerbe tätig und schätzte damals schon den Menschenkontakt. Die Gastronomie machte jedoch harte Zeiten durch, weshalb ich mich irgendwann entschied, die Branche zu wechseln. 1986 sah ich im «Blick» ein VBZ-Inserat, auf welches ich mich bewarb und kurze Zeit später in den Tram-Dienst eintrat.
Und wie war das bei Ihnen, Herr Demirayak?
Durch Zufall (lacht). Ich habe vor 26 Jahren meinen Lastwagen zum Service gebracht und musste mit den öV nach Hause fahren. Im Bus entdeckte ich ein VBZ-Stelleninserat. Ich habe mich dann kurz mit dem Chauffeur unterhalten, der mir geraten hatte, mich als Busfahrer zu bewerben. Seither bin ich bei den VBZ.
Haben Sie eine Lieblingsstrecke?
D: Die Strecke des Busses 37, Richtung ETH Hönggerberg. Sie ist weniger verkehrsbelastet, weshalb auch Verspätungen leichter wieder eingeholt werden können.
Und welche Tramstrecke mögen Sie am liebsten, Herr Paul?
Meine Lieblingsstrecke ist nostalgischer Natur. Es ist die Linie 8, da es die erste Strecke war, die ich 1987, nach meinem Eintritt, fahren durfte.
Sie haben bestimmt auch lustige Erlebnisse…
D: Absolut. Kürzlich hatte ich einen Fahrgast, der seinem Frust über die Welt während der gesamten Fahrt freien Lauf liess. Nach etwa fünf Minuten habe ich aufgehört zuzuhören. Als er ausstieg, zückte er sein Portemonnaie und wollte mir zehn Franken geben – dafür, dass er bei mir seinen Ärger abladen durfte. Er habe jetzt ein schlechtes Gewissen und ich solle mit dem Geld frühstücken gehen. Natürlich habe ich dankend abgelehnt. Aber schmunzeln musste ich trotzdem.
P: Ich erinnere mich an diesen 26. Dezember 1999 als der Sturm Lothar wütete. Ich fuhr mit meinem Tram vom Lindenplatz in Richtung Stadt und sah, wie eine ältere Dame verzweifelt ihrem Hund nachjagte. Erst nach einigen Sekunden erkannte ich, dass es sich nicht um ihren Hund handelte, sondern um ihre Perücke.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf Ihren Beruf?
D: Eigentlich würde ich mir weniger Verkehr wünschen. Aber ich bin mir bewusst, dass sich dies nicht so einfach ändern lässt. Deshalb wäre mein primärer Wunsch, dass die Menschen etwas achtsamer unterwegs wären und nicht immer mit geducktem Kopf auf ihre Handys schauen.
P: Ja, die Zeiten haben sich verändert – früher sah man noch viel mehr Schirme. Heute sind viele Leute mit Kapuzen und Kopfhörern unterwegs , was das Seh- und Hörvermögen massiv einschränkt. Das können wir jedoch nicht ändern, weshalb ich mich darauf einstelle und die Situation so annehme, wie sie ist. Ich bin generell sehr zufrieden und mag auch die «Action» zwischendurch. So wie beispielsweise am Züri-Fäscht – da kann ich 150 Prozent geben. Das macht Spass.
Wir bedanken uns bei den Kollegen Yusuf Demirayak und Hannes Paul für das Interview und wünschen weiterhin eine gute und unfallfreie Fahrt.
«unfallfrei unterwegs»
Stadtrat Andres Türler und die VBZ zeichnen im Stadthaus Zürich jährlich Fahrerinnen und Fahrer aus, die seit 20 und mehr Jahren ohne selbstverschuldeten Unfall für die Fahrgäste der VBZ unterwegs sind. Die diesjährige Auszeichnungsfeier fand am 7. Februar 2017 statt.