EM – diese zwei Buchstaben lassen uns in der Regel an Profis denken, die gegen den Ball und einander auch mal gegen die Schienbeine treten. An dieser Europameisterschaft nun flogen tatsächlich die Bälle, und auch die Schienen wurden stark beansprucht. Aber irgendwie anders.
27 Teams traten an der 5. Tram-EM an, die heuer am 23. April in Berlin über die Bühne, pardon, das Gleis ging. 17 Nationen, so viele wie noch nie. Monika Hartmann und Thomas Köhler hatten sich an der Zürcher Vorausscheidung vergangenen November bestens qualifiziert (vbzonline.ch hat darüber berichtet) und zogen nun als «die Schienenheinis» ins Berliner Rennen. In einem Gespräch mit der Autorin berichteten die beiden Tram-Wettstreiter von ihren Erfahrungen.
Sie kamen, um zu gewinnen. Alle. Aber auch, um sich mit Kollegen auszutauschen. Ein internationaler Teamgeist lag über dem BVG-Betriebshof in Lichtenberg: «Der Zusammenhalt war klasse. Man gönnte den anderen ihren Erfolg und jeder wurde gleich behandelt, unabhängig seiner Resultate», resümieren Hartmann und Köhler.
Es wäre nicht übertrieben, die 5. Tram-EM ein Volksfest zu nennen. 18’000 Zuschauer jubelten den wettkampfhungrigen Champions vor Ort zu. Auf der Bühne spielte Venterra «Alles auf Gold», das Lied zur WM. Entsteht bei so viel Trubel nicht ein bisschen Lampenfieber? «Beim Fahren vergisst man das Publikum». Ja, sie seien gar ein bisschen stolz, dass sich so viele Menschen für diese EM und damit irgendwie auch für ihre Arbeit interessieren.
Tacho, Seitenspiegel? Nichts da – das Gefühl ist entscheidend
Die Disziplinen brachten den Teams insgesamt etwa «7 Minutes of Fame» – also weniger lang, als man in Zürich auf das Tram zu warten braucht. Ein Lauf à 3.5 Minuten am Morgen, ein zweiter Lauf am Nachmittag, mit getauschten Rollen im Team. Der Beginn des Spektakels wurde signalisiert durch das Drücken des roten Buzzers – fast wie in einer der einschlägigen Supertalent-Shows, und eine solche war’s ja irgendwie auch. Das Signal wirkte auf die Teilnehmenden wie das Schwenken des Tuchs auf den Stier: Sie senkten ihre Häupter und rannten. Alle Aufgaben gingen nämlich auf Zeit. Wer sich jetzt vorstellt, der Fahrer habe aufs Pedal gedrückt, als gehe es darum, Paris-Dakar zu gewinnen, der irrt. Die Polizei schläft nicht, sie führte vor Ort Geschwindigkeitskontrollen durch. 20 km/h hatte die Fahrt zu betragen, nicht mehr und nicht weniger, und das bei verdecktem Tacho. Gemessen wurde das vorschriftsgemässe Einhalten des Tempos ganz professionell – mit dem Laser. Bei Zuwiderhandlung gab’s eine Busse in Form von Punkteabzug. Der rassigen Fahrt folgte ein jäher, aber präziser Stopp: direkt vor der Absperrung. Je näher dran, desto mehr Punkte. Die Absperrung à la Hollywood zu durchbrechen, brachte indes keine Punkte, immerhin auch nicht in Flensburg.
«Der Fahrtregler regelt alles ein bisschen anders»
Unserem Zürcher Team stellte sich dabei eine besondere Herausforderung. Das Flexity fährt sich nämlich mit einem Joystick. Dieser Joystick (korrekt hiesse das «Fahrtregler»: Da halten wir es aber wie BMW und bleiben aus Freude am Fahren bei der Bezeichnung, unter der sich alle etwas vorstellen können) ist heute Standard – nur nicht in Zürich. Unsere Trampiloten steuern heute noch mit einem Kontrollrad – als einzige Teilnehmende in Berlin.
Millimetergenau auch das Manöver, das Fahrzeug mit der zweitvordersten Türe am richtigen Ort zum Halten zu bringen. Was daran schwierig ist? Erstens war die Türe links – Sie erinnern sich, in Zürich sind die Türen rechts. Zum anderen wurde der Rückspiegel abgedeckt. Rauhe Sitten in diesem Berlin.
Etwas Nervenkitzel löste die Aufgabe aus, einen potenziellen Fahrgast – will heissen eine Kartonpuppe – haarscharf beim Tram zu postieren. Ohne selbige auf der Fahrt zu touchieren, versteht sich. Ein gutes Augenmass ist da gefragt , müsste man meinen, aber nein: «Es war verboten, beim Platzieren der Puppe zum Tram zu schauen». Am Ende blieb trotzdem alles safe in Zürich: «Nein, wir haben die Puppe nicht abgeschossen» schmunzelt Köhler auf entsprechende Nachfrage. Wir haben nichts anderes erwartet. Teamwork war wichtig: Auch bei jenem Abenteuer in einem tschechischen «Tatra»-Fahrzeug. Der vordere Wagenteil wurde für defekt erklärt. Also schob die Trampilotin das Fahrzeug vom hinteren Wagenteil aus zum Ziel, der Kollege im vorderen Wagenteil signalisierte den Zeitpunkt zum Bremsen.
Eine Disziplin wurde ausserhalb des rund dreiminütigen «Staffettenlaufs» geführt: Das Tram-Bowling. Ein bisschen Glück gehörte dazu. Mehr Einfluss als die Trampiloten nämlich hatte der Wind. Ein Team landete gar ein Eigentor. Die Zürcher waren’s nicht. Haben sie getroffen? «Die Pylonen haben gewackelt». Na immerhin.
Dabei sein zählt
So. Und jetzt zur Quizfrage: Wie lautet denn nun das Resultat? Den Pokal räumte Budapest ab. Zürich indes landete auf Platz 25. Woran lag’s – doch der Joystick? «Das ist keine Entschuldigung», geht unser Team mit sich ins Gericht. Irgendwie aber doch: «Das Tram bremst mit dem Joystick viel stärker». Es galt, sich ratzfatz an das zu gewöhnen, was man sonst eher von Computergames her kennt. «Nach der ersten Runde waren wir gar auf dem letzten Platz», gesteht Köhler. Doch das Zürcher Team lernte schnell. «Das Ziel hiess dann: Weg vom Schlusslicht». Das gelang. «Ich bin mir sicher, nächstes Jahr würde es schon viel besser laufen.». Immerhin hat die Platzierung der Freude keinen Abbruch getan. So ist es dem Team ein Anliegen, sich nochmals zu bedanken: Bei allen, die sie unterstützt, die Daumen gedrückt haben, und nicht zuletzt der BVG. Mein Blick fällt auf das Revers unseres Trampiloten, und ich sehe ein gelbes Herz: «BVG». Auch nächstes Jahr wollen sie dabei sein – zumindest als Fans. Das dürfte leicht fallen: Die Tram-EM 2017 findet in Teneriffa statt.
Was bringen Monika Hartmann und Thomas Köhler aus Berlin nun mit, nebst neuen Freundschaften, dem gestärkten Team-Geist und der schönen Erinnerung? «Wir wollen den Joystick». Trotz aller Mühe, die er bereitet hat? «Damit lässt es sich sanfter anfahren und dosierter bremsen», schwärmen die beiden. Alles eine Frage der Übung.
Das Schlusswort überlassen wir Harald Giese, dem von der BVG gestellten Betreuer unseres Teams: «Ihr seid die Schweizer Meister».
Infos zur Tram-EM
Die Tram-EM wurde erstmals 2012 in Dresden durchgeführt, aus Anlass des 140. Geburtstags der Dresdner Straßenbahn. In Berlin starteten 27 Teams aus 17 europäischen Ländern, begleitet von 18'000 Zuschauern. Die zweitägigen Meisterschaften inklusive Rahmenprogramm wurden organisiert und durchgeführt von den Berliner Verkehrsbetrieben BVG in ihrem Betriebshof Lichtenberg in Berlin. Gewonnen hat Budapest mit 3270 Punkten, gefolgt von Leipzig und Lyon mit je 2880 und 2860 Punkten. Mehr Informationen finden Sie unter tramem.euVorausscheidung in ZürichTram-EM auf FacebookTram-EM auf Instagram