Ein sonniger Samstag im August. Arglose, am HB gestrandete Touristen reiben sich verwundert die Augen. Ist das Zürich, Krypton oder sonst ein Planet? Der Tramverkehr ist lahmgelegt. Statt dessen ziehen Horden von schrill, wenn überhaupt gekleideten Menschen wie bunte Kleckse durch die Strassen: In Zürich dröhnt die Streetparade .
Die Sause geht morgens daheim schon los. Freunde finden sich ein mit grossem Hallo. Wir nerven die Nachbarn mit 140 Beats pro Minute. Bald ist das Wohnzimmer übersät mit Gürteln, Strümpfen, die Frauen fummeln sich in den Haaren rum. Nicht zum ersten Mal, aber immer wieder, solange das Hüftgelenk mitmacht und das Gebiss im Rhythmus klappert. Im 2er Richtung Paradeplatz kommt man mit Fremden locker ins Gespräch. Ältere Menschen schmunzeln, noch mehr bunte Gestalten strömen ins Fahrzeug, man macht sich Komplimente. Umsteigen lohnt sich, war aber im Stadtkern nie unbequemer als heute. Der Bürkliplatz ist verstopft, Hektik bringt nichts. «Äxgüsi, darfi schnäll düre». Gut gelaunte Gesichter überall. Wir pflügen uns gemächlich, aber stetig Richtung Utoquai, dem Startplatz der Streetparade.
Beklagen wir uns sonst gern über Handtaschen auf den Sitzplätzen und 84 Franken für ein Monatsabo, gelten heute ganz andere Massstäbe. Da lässt einer schon mal 200 Mücken liegen für eine einzelne Fahrt vom Seefeld bis zum Hafendamm Enge. Früher traf man sich auf dem Wagen, um gemeinsam zu feiern. Heute drängen sich die Exhibitionisten ans Geländer. Die beiden kräftigen Zwillinge in ihren neongelben T-Shirts, sie entfalten ihre Ellbogen wie ein Pfau seine Federn, verteidigen ihren Platz wie eine Kuh ihr Junges. Der 50-jährige Felix hat seine Lackhösli montiert und postiert sich vor seiner leidgeplagten Kollegin Maria. Sie sieht nicht mehr als seinen stringbewehrten, nackten Hintern, den er ihr jetzt entgegenstreckt. Ich bringe ihr nächstes Mal Stecknadeln mit.
Ein schwarz gekleideter Security pflückt sich Jasmin. Sie hängt kopfüber am Gestänge des Wagens, wie eine reife Banane. Poledance. Derweil hält ein junges Mädchen – offensichtlich nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte – ihre entblösste Oberweite in die Menge. Die handybewehrte Meute knipst schneller als der Sound aus den Boxen donnert, einige Herren betatschen wie gierige Wölfe geifernd das nackte Fleisch. Das macht mich ein bisschen traurig, vor dem Panorama des blauen Zürisees in der Sommersonne. Es nimmt dem Anlass den Charme, den er einst hatte, als es noch um Musik ging und nicht ums Gaffen. Als man den Alltag vergass, aber nicht sich selbst.
Das Rezept für den 26. August lautet daher: Steigt munter in die Wagen und erfreut euch an der tollen Stimmung! Ämel soweit Tram und Bus in die Innenstadt fahren. Danach geht’s leichter zu Fuss.