Manchmal verläuft ein Gespräch zwischen einem Fahrgast und mir vollkommen anders, als erwartet. Eine kleine Sammlung von solchen «Perlen» der Kommunikation.
Zur Hauptverkehrszeit presste sich die Dame am Bahnhofplatz gleich nach Betreten meines Trams an das Fenster zu meinem Führerstand:
«Sie, ich müsste zur Limmattalstrasse 237.»
Kein «Guten Tag!», kein «Entschuldigen Sie bitte… ». Mir und zahlreichen meiner Kolleginnen und Kollegen ist zwar bekannt, wo die Limmattalstrasse ist und wie man da hin kommt, wo genau aber diese oder jene Hausnummer liegt, wissen wir in der Regel nicht.
«Da müssten Sie die 13 nehmen, aber wo genau diese Hausnummer ist, kann ich Ihnen bei bestem Willen nicht sagen. » Ich setzte meine Fahrt nach Albisrieden fort.
«Aber so etwas müssen Sie doch wissen! Und wo fährt denn hier der 13er? Der sollte doch auch am Bahnhofplatz fahren?»
«Geschätzte Frau, wir sind Tram-Chauffeure und keine Taxi-Chauffeure, beginnt zwar beides mit einem ‹T›, ist aber etwas vollkommen anderes. Die 13 verkehrt am Bahnhofquai und nicht am Bahnhofplatz. Sie sind jetzt in der 3, müssten an der nächsten Haltestelle aussteigen und zurück fahren, den Hauptbahnhof durchqueren und zum Bahnhofquai laufen.»
«Können Sie mich nicht jetzt hier raus lassen? Wir sind doch noch gar nicht weit gefahren.»
Unnötig zu erwähnen, dass wir den Löwenplatz noch nicht erreicht hatten.
Der Verlauf mancher Gespräche steht in den Sternen
Am Bahnhof Tiefenbrunnen machte ich zu später Stunde meinen Rundgang durch das Cobra-Tram, um die üblichen Hinterlassenschaften unserer Fahrgäste einzusammeln und zu entsorgen, als eine Frau recht zielorientiert auf mich zustrebte und mir entgegenschleuderte:
«Sie sind doch bestimmt Steinbock!»
Der Tag war sehr anstrengend und ich hatte keine Lust, mich über irgendwelche nicht Dienst-bezogenen Themen zu unterhalten, also antwortete ich knapp: «Nein.»
Zum ersten Mal, seit ich Tram-Chauffeur bin, hoffte ich, die Pause würde schnell vorbei gehen.
«Dann sind Sie sicherlich Waage, die bemühen sich ja immer um Ausgeglichenheit, und Sie sind sehr ausgeglichen gefahren.»
Meine Antwort war erneut: «Nein». Zum ersten Mal, seit ich Tram-Chauffeur bin, hoffte ich, die Pause würde schnell vorbei gehen. Aber dieses Sternzeichen-Fragespiel zog sich bis zum Paradeplatz hin, die Frau gab einfach keine Ruhe. Erst, als ich sie sehr freundlich, aber auch kompromisslos darauf hin wies, dass sie meine persönlichen Belange nicht zu interessieren hätten, machte sie Anstalten, von mir abzulassen. Beim Verlassen meines Trams aber war sie sich sicher:
«Dann können Sie nur ein Widder sein, die sind immer so pünktlich!». Unnötig zu erwähnen, dass ich kein Widder bin und nach diesem Fragespielchen auch nicht mehr pünktlich war.
Manche brauchen einfach einen Freund, der ihr Leben mitmacht
Am Central steuerte zu später Stunde eine jüngere Frau zielsicher an das Fenster zum Führerstand:
«Guten Abend! Wie lange brauchen Sie bis Albisrieden?»
«Etwa 20 Minuten.» antwortete ich.
«Ah, dann ist ja gut, dann komme ich ja noch rechtzeitig in die Praxis, kann den Schlüssel holen. Wissen Sie, ich will morgen ins Tessin mit dem Auto meines Nachbarn fahren, aber ich habe den Schlüssel in der Praxis vergessen. So komme ich noch mit dem letzten Tram wieder zurück zum Central. Wissen Sie, ich wohne da nämlich in der Nähe. Ich könnte auch mit dem Taxi fahren, aber mit den Taxi-Chauffeuren kann ich mich nie gut unterhalten, die sind nie so freundlich wie Sie und Ihre Kollegen. Sie fahren aber besonders ruhig!»
Das Heck meiner Cobra war noch immer im Central, als mir diese Frau jenen Informationsschwall um die Ohren gehauen hatte. Wir waren also nicht weit gekommen, und dennoch hatte die Frau ein Urteil über meine Fahrweise getroffen.
«Ich will Sie ja nicht vom Fahren abhalten, aber ich bin der Meinung, dass Sie mal eine Massage gebrauchen könnten. Sie haben ja so einen anstrengenden Beruf, ich habe ja auch einen so anstrengenden Beruf, deswegen mache ich viel Yoga und überhaupt sind diese Tees, die wir in unserer Praxis verkaufen… ».
Der Redeschwall wollte einfach nicht mehr enden. Ich hatte noch nicht einmal die Möglichkeit, sie irgendwie zu unterbrechen und darauf hinzuweisen, dass sie mich wirklich in meiner Konzentration stören würde. Es war zwar spät am Abend, aber auf der 3 kann immer und zu jeder Tageszeit etwas Unvorhergesehenes passieren – diese Linie ist kein Liebling von mir. Bis Albisrieden und wieder zurück zum Central war die Frau quasi mit meinem Führerstand verwachsen und erzählte mir so ziemlich alles aus ihrem offensichtlich stark esoterisch geprägten Leben. Als wir am Central angekommen waren, flötete sie dann zum Abschied noch:
«Danke für die schöne Fahrt und hoffentlich sehe ich Sie bald wieder, ich suche ja immer noch einen Freund, der mein Leben mitmacht!»
Unnötig zu erwähnen, dass ich inständig hoffte, dieser Frau nie wieder zu begegnen. Noch nie hatte ich eine gut eineinhalb Stunden andauernde Anmach-Tour erlebt, und ich war auch absolut nicht erpicht darauf, mein Leben durch diese Frau durchesoterisieren zu lassen.
Ebenfalls unnötig zu erwähnen, dass es nicht gestattet ist, mit uns «da vorne» zu sprechen, so lange das Fahrzeug in Bewegung ist. Aber halt! Vielleicht ist ja genau das mal wieder dringend nötig!