Die neue Limmattalbahn und ein besseres Busangebot: Per 11. Dezember 2022 bewegt sich einiges im Limmattal. Auf diesen Anlass hin stellen wir in einer Mini-Serie Menschen vor, die im Limmattal ebenfalls etwas bewegen. Heute: Finn Thiele, Landwirt der Hofkooperative Ortoloco im «Fondli».
Denkt man an das Limmattal, sind Bauernhöfe möglicherweise nicht das Erste, was man vor Augen hat. Dennoch gibt es einige davon. Kaum über der Stadtgrenze, findet sich vom Gemüse- und Obst- bis hin zum Weinbauern alles, was der Boden hergibt. Rinder grasen friedlich auf den Weiden, Ziegen lugen neugierig über die Zäune und Pferde traben ihre Runden in der Alterspension. Sie alle haben gemein, dass es der Bauer und die Bäuerin sind, die auf dem Feld arbeiten, und gewiss nicht die Kunden. Bis auf den einen, bei dem alles etwas anders ist…
Im Fondlihof in Dietikon sind es – nebst fünf Fachkräften – die Konsumenten, die ihre Ärmel hochkrempeln und anpacken. Oder genauer gesagt die Genossenschafterinnen, denn der Hof wird von der Landwirtschaftskooperative Ortoloco betrieben. Wir haben mit Gründungsmitglied Finn Thiele gesprochen.
Was kostet es?
Geboren wurde die Idee im Jahr 2009 unter dem Eindruck der damaligen Finanzkrise. Eine Handvoll junger Menschen beschloss, Verantwortung für soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit zu übernehmen. Nämlich in Form einer solidarischen Landwirtschaft, kurz «Solawi». Wie so etwas geht? Im Grunde simpel: Arbeit, Kosten und Ertrag werden redlich geteilt: Die Mitglieder kaufen Anteilsscheine am Hof und wählen ein Abonnement. Bei Ortoloco kostet das kleinste, das sogenannte «Hofabo vegi» rund 1’080 Franken und beinhaltet vier Arbeitseinsätze pro Jahr. Dafür gibt’s regelmässig Obst, Sonnenblumenöl und Getreide. Beim «Vollabo» kommt obendrein wöchentlich eine Tasche voll Gemüse und pro Jahr 15 Kilo Fleisch auf den Tisch, das kostet entsprechend mehr, nämlich 2’890 Franken und 10 bis 14 Einsätze.
Der ursprüngliche Eigentümer, ein Pioniergeist und Freund
Der «Fondlihof» gehörte ursprünglich Landwirt Samuel Spahn, ein «Pioniergeist», wie Thiele betont, einer, der auf seinem Bio-Hof für neue Ideen stets offen gewesen sei. Der ideale Grund und Boden für das Projekt. Die ersten Jahre arbeitete man Hand in Hand, Ortoloco mit einer Gemüsekooperation und Spahn und seine Frau Anita Lê mit der übrigen Landwirtschaft. Unterdessen hat Spahn den Betrieb abgegeben. Im 2021 wurde der Hof komplett auf das «Solawi»-System umgestellt, das heisst, die Kooperative umfasst den gesamten 20 Hektaren grossen Hof. Die Liste dessen, was das – nebst dem Gemüse – bedeutet, ist lang: Obstbäume, aus denen auch Süssmost produziert wird, Beeren, Getreide, Speisesoja und Sonnenblumenöl, Teekräuter, aber auch Hühnereier, Suppenhühner und sogar Rinder. Auch der Hof als solches und die Hecken müssen natürlich unterhalten und gepflegt werden.
Der pensionierte Spahni und seine Frau sind nach wie vor eng mit den jüngeren Landwirten verbandelt: «Mit Sämi und Anita verbindet uns immer noch eine gute Freundschaft, sie kommen oft vorbei – manchmal bringt Sämi das Saxophon mit und spielt eine Runde», verrät Thiele, der mit seiner Lebenspartnerin in unmittelbarer Nähe des Hofs wohnt. Gemeinschaft wird ohnehin gross geschrieben im Fondlihof, das ist nicht nur Teil des Konzepts, sondern macht dieses aus. Auf die 270 Abonnemente kommen zwei bis drei Personen, also insgesamt rund 600 Genossenschafterinnen besitzen aktuell 265 ein Abonnement – das Engagement am Hof ist gefragt, in der Region ebenso wie bei den Stadtzürcherinnen und –zürchern.
Es ist ein bunter und lebhafter Hof, «manchmal arbeiten hier bis zu 50 Leute nebeneinander» berichtet Thiele, da entstünde auch viel Austausch: «Den sozialen Aspekt darf man auf keinen Fall unterschätzen. Von der Journalistin bis zum Bauarbeiter produzieren hier Menschen aus unterschiedlichsten Berufen gemeinsam ihr Essen, sitzen in der Pause zusammen an einem Tisch und sprechen miteinander.» Dadurch entstehe ein grosser Wissenspool: Neulich habe man jemanden gesucht, der beim Bau eines neuen Stalls mithelfen könne – im «Fondli» kein Problem, denn «in der Genossenschaft gibt es einige Architekten», meint der 39-jährige zufrieden.
Chriesi naschen oder den Hühnerstall misten
An diesem lauschigen Ort am Rande Dietikons, unweit des Bruno-Weber-Parks, wird nicht verbissen geackert: Die Arbeitskräfte sind freiwillig am «Schaffen», sie tun es gern. Ein Einsatz umfasst jeweils vier Stunden inklusive Pause, man kann sich die Arbeit aussuchen. «Wir erstellen einen Plan, auf dem man sieht, da braucht es fünf Leute, die Unkraut jäten oder Mostobst auflesen». Es gebe Aufgaben für jeden Geschmack – oder Fitnessgrad: «Manche wollen chrampfen, die helfen dann zum Beispiel bei den Hühnern misten. Andere sind vielleicht körperlich nicht so fit», erklärt Thiele. Das «Chriesi ernten» sei sehr beliebt, dort werde nämlich auch gern genascht. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, für alle Fachkräfte zu kochen. Auch thematisch existiere ebenfalls eine grosse Bandbreite an Arbeiten, es gibt zum Beispiel eine Biodiversitätsgruppe, eine Heckengruppe oder die Teekräutergruppe.
Natürlich werden die ungeübten Amateur-Landwirte bei der Arbeit angeleitet. Wer begabt ist, kann selber die Führung übernehmen. «Viele wollen das aber gar nicht, sie möchten einfach nur nach Anweisung ausführen, weil sie in ihrem Beruf normalerweise auf der anderen Seite sind», so Thiele. Hinter einem Abo sollten mindestens zwei Personen stehen, meint er: So könne man sich die Arbeit teilen. Jede und jeder sei willkommen, wer die ganze Familie oder Freunde mitbringe, habe sein Einsatzpäckli rasch abgearbeitet. «Einer hat mal nachgefragt, ob er seinen Geburtstag hier feiern könnte – er meinte, er bringe 15 Leute mit, dann habe er seinen Jahreseinsatz durch und könne hier gleich noch feiern», plaudert Thiele vergnügt und ergänzt, «wir sind da sehr flexibel.»
Am Ende wird die produzierte Ware verpackt und ausgeliefert – an insgesamt 17 Depots in allen Ecken der Stadt und Region, wo sie von den jeweiligen Genossenschafterinnen abgeholt werden können.
Entspannte Landwirte, ebensolche Konsumenten und wenig Risiko
Das Ziel dieser Gemeinschaftsarbeit ist einerseits genau das: die Gemeinschaft. Darüber hinaus entsteht bei den Verbrauchern ein vertiefteres Bewusstsein dafür, was es braucht, damit die Lebensmittel auf den Teller kommen. «Beim Äpfel pflücken zum Beispiel sagen viele, sie hätten nie gedacht, dass das so kompliziert sei», erzählt Thiele. Auch entstehe ein Wissen dazu, wie mit Lebensmitteln umgegangen werden müsse, damit sie länger frisch und schön bleiben. Das Modell kommt aber nicht nur den Konsumenten zugute, sondern auch den Hofbesitzern selbst. «Normalerweise chrampft der Bauer von früh bis spät, dazu trägt er das ganze Risiko eines Ernteausfalls selbst. Hier verteilt sich die Arbeit und das Risiko auf viele Schultern, das gibt auch dem Produzenten Luft zum Durchatmen.»
Das solidarische Modell, die ausgleichende körperliche Arbeit draussen und ein Bewusstsein für Ernährung und Umwelt entsprechen dem Zeitgeist und werden von den Konsumenten gesucht. Immerhin lässt es sich bei so einer Arbeit hervorragend abschalten – und das Fitnessabo kann man sich ebenfalls sparen. «Langsam wird die solidarische Landwirtschaft ernst genommen», freut sich Thiele. Der Erfolg gibt ihm recht. Wer mitmachen will, muss sich sputen. Für das nächste Jahr sind nur noch wenige Abos zu vergeben.
Der Limmattaler ÖV ab 11. Dezember 2022
Am Fahrplanwechsel bricht eine neue Ära für das Limmattal an: die Einführung der Limmattalbahn. Auch auf dem Busnetz wird einiges umgekrempelt. Was genau, erfahren Sie unter vbz.ch/limmattal