Die «Mirage» ist zurück: Ein geschichtlicher Rückblick und weitere Hintergründe zum Tram, das Fahrgäste wie auch Fahrpersonal gleichermassen begeistert.
Seit Ende Februar weht, pardon, rollt ein Hauch von Nostalgie über die Hardbrücke. Die Linie 8 erlebt nämlich ein Revival des Tramtyps «Mirage». Damit haben die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) aus der Not eine Tugend gemacht: Das Retro-Tram dient dazu, den Fahrplan zu stabilisieren. Gleichzeitig aber freuen sich nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Tramführerinnen und -führer über diese Gelegenheit für einen Ausflug in die Vergangenheit.
Die Geschichte des «wiederauferstandenen» Trams reicht bis in die späten 50er-Jahre zurück. Damals sahen sich die VBZ mit einem Personalmangel konfrontiert. Der Betrieb musste rationalisiert werden; die vorherrschenden Drei-Wagen-Züge mit Kondukteur-Betrieb waren personalintensiv. In der Konsequenz wurden die Kondukteure zu Fahrern umgeschult und ihre einstige Aufgabe durch die heute übliche «Selbstkontrolle» ersetzt.
Die Geburt der «Mirage»
Als weitere Massnahme sah man den Einsatz grossräumiger Gelenkwagen vor, welche die eher leistungsschwachen Anhängerzüge ersetzen konnten. 1960 entstanden erste Prototypen, welche der «Mirage»-Serienproduktion vorausgingen. Nach verschiedenen Versuchen folgte schliesslich der leistungsstarke, platzsparende Doppelgelenkwagen Be 4/6 nach Bauart SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft Neuhausen a/R), welcher überall auf dem städtischen Gleisnetz einsetzbar war. Bedingt durch die Steilstrecken auf dem Netz war vorgesehen, dass der Tramwagen auch in Doppeltraktion fahren sollte, weil beim Ziehen eines Anhängers die geforderten Geschwindigkeiten nicht erreicht werden konnten.
Ab Ende 1963 bestellten die VBZ 90 Gelenkwagen, welche ab 1966 geliefert wurden. Zur Erneuerung des Fuhrparks sollten weitere Exemplare dazukommen. Der Gemeinderat war aber nicht gewillt, noch mehr dieser teuren Fahrzeuge anzuschaffen, zumal Basel eben gerade den preisgünstigeren Düwag-Gelenkwagen einführte. Schliesslich erhielten die VBZ 36 weitere Wagen in einer Version, bei welcher günstigere Komponenten verwendet wurden, und die anstelle eines vollwertigen Führerstands nur einen Hilfsführerstand aufwiesen: Diese Fahrzeuge konnten demzufolge nur als geführter Wagen in Doppeltraktion verwendet werden. Wegen anfänglich fehlender Frontscheinwerfer bekamen sie den Übernamen «blinde Kühe».
Apropos Namen: Der Grund, die Trams als «Mirage» zu bezeichnen, war der für die damalige Zeit hohe Preis (nämlich 742‘500 Franken) und die damit verbundenen politischen Querelen – entsprechend der zeitgleichen Beschaffung von Mirage-Flugzeugen durch die Armee, welche in einem Finanzskandal endete.
Der heutige Einsatz der «Mirage» in Zürich
Derzeit existieren in Zürich noch zwei Exemplare. Sie tragen die Wagennummern 1674 und 1675. Vorerst fährt – entsprechend der Verfügbarkeit – ein Wagen immer auf der Linie 8, in der Hauptverkehrszeit von Montag bis Freitag (zwischen 16 und 19 Uhr).
Wenn im September der 2er nach Schlieren verlängert wird, nimmt der Wagenbedarf erneut zu. Es ist deshalb möglich, dass auch auf einer weiteren Linie ein Kurs in der Hauptverkehrszeit mit einer Mirage geführt wird. Sobald die Flexity dem Betrieb übergeben werden können und damit eine Entspannung in der Fahrzeugsituation eintritt, wird die Mirage aus dem Kursbetrieb wieder zurückgezogen.
Ein Designklassiker mit qualitativ hoher Technik
«Die Mirage hat eine sehr grosse Fangemeinschaft. Unsere Fahrerinnen und Fahrer sind von der Agilität und vom Fahrkomfort überzeugt», weiss Daniel Küenzi, Gruppenleiter vom Betrieb Tram. Zudem sei auch die «Klimatisierung» im Fahrgastraum durchaus angenehm: Weder zu kalt noch zu warm, und das ganz ohne Kühlanlage; die Lüftungsklappen und Senkfenster sorgen auch an warmen Tagen für genügend Luftaustausch.
Vermutlich spielt aber für die Beliebtheit ein Mix aus verschiedenen Aspekten eine Rolle. Auf der einen Seite ist es der «nostalgische» Reiz: Fährt man mit der Mirage durch die Stadt, ist das wie eine kleine Zeitreise. Plötzlich sind sie wieder da, die vertrauten Geräusche, das Zischen der Druckluftbremse, das progressive Aufheulen der Motoren beim Beschleunigen, das Klackern der Räder über die Gleiskreuzungen. Da ist aber auch die Haptik der Inneneinrichtung oder die Gesamterscheinung als solches. Ein vertrautes «Gesicht», welches Zürich jahrzehntelang prägte. Das damalige Industriedesign mit seiner klaren Formensprache und doch auch weichen Linien liess die Mirage eigentlich zu einem «Designklassiker» unter den Tramwagen werden, der international Beachtung fand.
Auf der anderen Seite überzeugt das Fahrzeug auch in technischer Hinsicht: Das Gelenktram aus jener Epoche verfügt über gute Fahreigenschaften und eine optimale Aufteilung im Fahrgastraum. Der Wagen ist leistungsstark und angenehm zum Fahren. Obschon der Komfort im Fahrgastraum wie im Führerstand relativ spartanisch wirkt, verfügt das Tram über eine hohe funktionelle Qualität und Dauerhaftigkeit: Nur schon deshalb konnte man die Mirage einfach wieder in den laufenden Kursbetrieb geben. Die qualitativ hochstehenden, komplexen (und teuren) Drehgestelle gleiten souverän über Unebenheiten und Gleiskreuzungen, obschon die Federung nicht sonderlich weich ist.
Alle wollen die «Mirage» fahren
Entsprechend gross war die Nachfrage, einen Fahrdienst mit der «Mirage» leisten zu dürfen, berichtet Küenzi. Gemeldet haben sich alle, die in der Vergangenheit bereits damit gefahren sind, also jene Mitarbeitenden, die schon vor 2010 bei den VBZ als Trampiloten unterwegs waren. Ende Juni 2010 wurde das Fahrzeug nämlich aus dem regulären Betrieb genommen. Seither fanden auch keine Schulungen auf der «Mirage» mehr statt.
Zum Handkuss kamen dann aber dennoch nur jene, die seither im Rahmen einer Extrafahrt – das Fahrzeug kann nämlich auch gemietet werden – am Kontroller waren und somit über eine Fahrberechtigung verfügen.
Der Grund hierfür liegt im Schulungsaufwand: Mit dem offiziellen «Dienstende» des Trams wurden auch sämtliche entsprechenden Berechtigungen aus den Fahrbescheinigungen des Personals entfernt. Für die grundsätzliche Wiedererlangung der Berechtigung wäre eine 1,5-tägige Schulung nötig. In Anbetracht der zwei beschränkt eingesetzten Fahrzeuge wäre die Schulung aller Fahrdienstmitarbeitenden unverhältnismässig gewesen. Die rund 30 Mitarbeitenden wurden für den Linieneinsatz mit dem historischen Fahrzeug während einem halben Tag fit gemacht.
Makelloses Schalten ist gefragt
Was aber ist denn eigentlich so anders an der Mirage? Die Bedienung des Fahrzeuges erfolgt im Wesentlichen über den Kontroller, welcher ein Lenkrad nach Bauart der VW-Käfer aufweist. Obschon die «Mirage» bereits einen Anteil Elektronik nach damaligem technischem Stand verbaut hat, gibt sie dem Fahrer das Gefühl, die Beschleunigung und Verzögerung direkter beeinflussen zu können. Beim Beschleunigen ist es so, dass man die Zugkraft mittels der Wahl entsprechender Stufen regelt und somit viel freier ist im Vergleich zu den erzwungenen Geschwindigkeitsstufen (will heissen, dem «Tempomaten») beim Tram 2000 oder Cobra: Damit lässt sich die Fahrt viel individueller gestalten. Hinzu kommt die Druckluftbremse, welche das Fahrzeug in unteren Geschwindigkeitsstufen (unter 12 Stundenkilometern) bei Bremsvorgängen sehr sanft beeinflussbar macht.
Während ein Cobra einen Schaltfehler oder uninspirierte Schaltvorgänge eher verzeiht, tut das die Mirage nicht: Das Bedienen erfordert «makelloses Schalten», man muss die ganz leichte Verzögerung der Elektronik mit in die Bedienvorgänge einkalkulieren.
Übrigens: Als ich 1996 – damals war der Tramtyp ja schon 30 Jahre im Einsatz – als junger Wagenführer auf der «Mirage» lernte, war ich nicht sonderlich froh mit ihr: Im Gegensatz zu den direkt geschalteten «Karpfen», welche noch älter waren, kam ich mit der Elektronik zuerst nicht zurecht, was dann aber im Laufe der Zeit verschwand. 2010 fuhr ich zum letzten Mal kursmässig mit ihr, dann ein paar Jahre immer nur kurz im Einsatz für das Tram-Museum. Noch heute ist es so: Wenn ich in den Führerstand sitze, sind alle Handgriffe sofort vertraut. Nach zwei Haltestellen ist alles wieder wie «früher», so, wie ich sie 15 Jahre lang fuhr.
Begeistert sind letztlich nicht nur die Fahrerinnen und Fahrer, sondern auch viele Fahrgäste. Der Grund dafür ist nicht nur das 60er-Jahre-Feeling, sondern vor allem die Holzsitze. Damit läutet die «Mirage» auf der Linie 8 gewissermassen den symbolischen Übergang ins Flexity-Zeitalter ein. Die neuen Fahrzeuge nämlich bringen eben jene Holzsitze zurück in die Gegenwart.