Zwetschge im Turnschuh und Portemonnaie zum Kauen

Seit 27 Jahren leitet Daniela Baldauf das Fundbüro. So manche Veränderung von Trends und Sitten hat sie erlebt, aber auch viel Kurioses.

Nichts symbolisiert den Wandel der Zeiten besser als der Boden, auf dem das Fundbüro steht. Einst Stätte der Klosteranlage Oetenbach, wurden die Gebäude später für Amtsstuben, das Zuchthaus und ein Waisenheim genutzt, ehe der einstige Hügel anno 1911 – nur das im 18. Jahrhundert neu errichtete Waisenhaus blieb bestehen – abgetragen und die heutigen Amtshäuser nach den Plänen von Gustav Gull gebaut wurden.

Es ging also im weitesten Sinne schon immer um das Finden, sei es von Gott, Läuterung oder einem neuen Zuhause, und um Verlust – der Eltern, der Weltlichkeit, der Freiheit. Das im Amtshaus III eingerichtete Fundbüro erlebt seit seinem Bestehen, wie sich die Zeiten ändern. Daniela Baldauf, seit 27 Jahren Hüterin der verlorenen Schätze, hat über die Jahrzehnte das Werden und Vergehen von Trends und Gewohnheiten beobachtet.

Immer mehr Habseligkeiten gehen auf Wanderschaft

Eins gleich mal vorneweg: Zürich «verhühnert» immer mehr. In Zahlen ausgedrückt, fanden anno 2008 noch 28‘230 Gegenstände den Weg ins Fundbüro, und 26‘536 Kunden wurden vorstellig. Im 2018 drängten sich bereits 35‘604 Besitztümer in den Regalen und gar 44‘182 potenzielle Besitzerinnen und Besitzer vor dem Schalter. Der Grund dafür ist freilich nicht, dass die Zürcher Bevölkerung fortschreitend kopfloser würde, vielmehr liegt es daran, dass die Stadt wächst. Mehr Menschen, mehr Trams und Busse auf längeren Strecken, mehr Gelegenheiten, etwas liegenzulassen.

Staub setzt sich also gewiss keiner an auf jenen Regalen, über welche die Gegenstände zusehends flotter rutschen. Dort stapeln sich nebst den obligaten Schirmen, Portemonnaies und Schlüssel vor allem Hundertschaften von Smartphones und – nicht immer nach Flieder riechende – Turnbeutel, Rucksäcke und sonstige Taschen. Vor allem nach Grossanlässen wie dem Züri-Fäscht oder der Streetparade (wobei man sich an letzterem Anlass offenbar besonders leicht von seinen Habseligkeiten trennt, mit 700 gegenüber 300 Fundstücken am Züri-Fäscht), flutet das Hab und Gut der eben noch feiernden Menge die Gestelle und umzingelt die Mitarbeitenden, die emsig Taschen auseinanderklamüsern, in das System einpflegen, sortieren und – wenn es denn irgendwie möglich ist – den Menschen am Schalter wieder aushändigen.

Versteckspiel und Detektivarbeit

So wie der Grund, auf dem das Fundbüro steht, stecken auch die Gegenstände voller Geschichten. «Viele Dinge wirken von aussen ‹hui›, der Inhalt aber offenbart das ganze Elend eines Menschen, etwa bei Betreibungsdokumenten», sinniert Baldauf. Nach all den Jahren erstaune sie nichts mehr, obwohl, «doch, die Zusammensetzung: Äpfel, Birnen oder Zwetschgen zum Beispiel, unverpackt, in stinkenden Turnschuhen gelagert.» Fragen werfen auch die diversen Gehhilfen und drei Gebisse auf, die darauf warten, dass den Besitzern der Verlust auffällt. Faszinierend sei allerdings der Ideenreichtum mancher Leute: «Als die Sackgebühr eingeführt wurde, hat man uns einen Panettone-Karton abgegeben. Der war fein säuberlich verschlossen, wie neu; wir dachten, da sei auch Panettone drin. Stattdessen fanden wir Hausmüll… So ein Aufwand, nur um ein bisschen Abfall im Tram zu entsorgen!?». Auch jenseits des Legalen ist der Erfindergeist gross. In einer Dose «Pringles» hätten sich unter einer Schicht Chips andere Substanzen, mit noch etwas mehr Suchtpotenzial, verborgen – und in einer Uhr, die rein zufällig geöffnet worden sei, fand sich Hanf. Gerade Drogen, sagt Baldauf, seien aber seltener geworden, seit der Platzspitz geräumt ist. «Früher, da hat man noch wahnsinnig aufpassen müssen, dass man in Taschen nicht plötzlich in eine Spritze hineingreift».

Obwohl die Zeit knapper geworden ist, durchforsten die Sherlocks und Watsons im Fundbüro auch heute noch viele Habschaften nach Hinweisen auf die Besitzerschaft. Wenngleich das schwieriger geworden sei, nicht nur wegen des höheren Arbeitsvolumens. «Früher hat man in einer Agenda vielleicht einen Arzttermin gefunden und über den Arzt vermitteln können», erzählt die Fundbüro-Leiterin. Heute, im Handy-Zeitalter, sei das nicht mehr möglich.

Zerkaute Portemonnaies und 6000 Euro für die Berghilfe

Nach wie vor kommen die Leute natürlich auch von selbst vorbei, wenn auch längst nicht alle. «Wenn Gott gut ist», hofft eben eine Frau am Schalter, «ist mein Portemonnaie samt Ausweis hier». Vieles wird aber nie abgeholt, selbst nachdem die Besitzer per Brief informiert wurden. Auch die Finder vergessen, dass sie Anspruch auf das Fundstück hätten, wenn es nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist noch immer im Fundbüro liegt. So geschehen mit 6‘000 Euro… Da muss man nämlich schon selbst dran denken, was bei so einem Betrag vielleicht einen Eintrag im Kalender wert wäre. Manche Finder verzichten auch freiwillig auf ihren Finderlohn. Der wird dann der Schweizer Berghilfe gespendet.

Was nicht abgeholt wird, geht bisweilen schon mal vor die Hunde, und zwar buchstäblich. Üblicherweise werden brauchbare Gegenstände in den Fundsachenverkauf weitergegeben (bei Gegenständen, die in den Fahrzeugen der VBZ gefunden werden, dauert die Frist drei Monate, während alles, was bei der Stadtpolizei eingeht oder auf öffentlichem Grund abgegeben wird, ein Jahr aufbewahrt werden muss), vereinzelt aber nutzt die Polizei manche Stücke zum Trainieren ihrer Spürhunde. Da wird so ein altes Leder-Portemonnaie vom tierischen Detektiv-Nachwuchs schon mal kurzerhand zerbissen und zerkaut.

Verloren gehen manchmal auch Geduld und Höflichkeit

Auch die Kundschaft liest sich wie ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Vom kleinen Knirps, der sein «Nuschi» verloren hat, bis zum Omi; das ganze Potpourri an Arbeitern und Geschäftsleuten, auch Prominenz aus Medien oder Politik: Verloren wird unabhängig von Alter, Beruf oder Status. Man kriegt viel mit, und an den Angestellten in der Werdmühlestrasse geht kein Trend vorbei: «Die neuesten Gadgets landen schnell auch bei uns, da bleibt man immer up to date».

Was sich ebenfalls verändert, ist das Verhalten der Menschen. «Die Leute sind heute oft ungeduldiger, man wird eher auch mal angeranzt», meint die alteingesessene Fundsachen-Expertin und rollt mit den Augen. Früher habe man auch von den Jungen sowas wie «Weisch überhaupt, was es iPad isch?» nie gehört, und zwar nicht nur, weil es das damals noch nicht gab. Trotzdem, und jetzt strahlt sie wieder, «werden immer noch Kuchen gebacken, Schöggeli vorbeigebracht, oder jemand hält gar ein Trompetenständchen und singt vor Freude».

Eine neue Ära für das Fundbüro

Dieser Geist ausgelassener Glücksmomente dürfte auch erhalten bleiben, wenn am 5. Dezember eine neue Ära für das Fundbüro anbricht. Das Team hat die Ärmel hochgekrempelt und ausgemistet, Kisten verpackt und angeschrieben, um temporär ins Tramdepot am Escher-Wyss-Platz zu zügeln – im Grunde ein logistischer Alptraum, angesichts der zahllosen Ware, welche die Räumlichkeiten bis in den Keller gefüllt hatte. Aber es soll sich lohnen: Die altehrwürdigen Hallen werden umgebaut, mit dem Ziel, mehr Ambiente für Kundschaft und Mitarbeitende zu schaffen, aber auch mehr Lagerraum. Ausserdem soll ein Ticketing-System verhindern, dass sich die Kundschaft – so ein Verlust schwächt die Nerven – um den Vortritt zankt. Das Fundbüro ist endgültig im 21. Jahrhundert angekommen.

Das Fundbüro wird modernisiert

Hier erfahren Sie alles über den Umbau des Fundbüros per 5. Dezember 2019.

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