Was bewegt und verbindet zwei Generationen? Ein Gespräch mit dem heute pensionierten langjährigen Wagenführer und Ausbildner Jürg Wyser und der jungen Trampilotin Valeria Schmidli.
Zwei Generationen im Austausch über die damalige und heutige Arbeitswelt, ihr Lebensgefühl und ihre Werte: Der 81jährige ehemalige Wagenführer, Leiter der Ausbildung und engagierter Gewerkschafter Jürg Wyser, war sofort begeistert von der Idee, sich mit einer Vertreterin der Generation Y auszutauschen. Sein Wunschgegenüber war in der jungen Trampilotin Valeria Schmidli rasch gefunden. Bereits der Start in die Vorstellungsrunde ist unkompliziert. Wer beginnt? Ohne die Einstiegsfrage zu kennen, wirft Wyser ohne Zögern ein: «Alte Schule, die Frau zuerst! Ganz klar, Valeria, du hast das Wort!»
Dann steige ich doch etwas anders als geplant ein – ist Gleichstellung für Sie ein Thema?
Valeria Schmidli: Auf jeden Fall! Meine Mutter war alleinerziehend. Bis jetzt habe ich zwar ich nur Gutes erlebt. Die VBZ ist die beste Arbeitgeberin, die ich je hatte. Alles ist sehr fair. Und unter den Kollegen habe ich bisher nie etwas Negatives erlebt.
Jürg Wyser: Ja, ich habe mich immer für die Anliegen von Frauen stark gemacht, aber die Gleichstellung haben wir noch nicht erreicht.
Herr Wyser, Sie haben die Zeit erlebt, als Frauen Kontrolleusen oder im Büro tätig waren, aber noch nicht im Fahrdienst. Wie war das damals?
Wyser: Als 1978 die ersten Frauen in den Fahrdienst kamen, gab es grossen Widerstand bei den Kollegen. Ich war damals schon recht aktiv in der Gewerkschaft und sagte immer: ‹Seid doch froh, dass wir nun auch Frauen in den Fahrdienst aufnehmen können.› Es war eine schwierige Zeit, ich bekam sogar Drohanrufe, doch ich blieb dran. Etwas später holte ich die Wagenführerinnen Monika Voser und Margrith Hefti als Instruktorinnen in die Ausbildung.
Sie haben als Wagenführer begonnen, sind aber auch Bus gefahren. Wie kamen Sie zur VBZ und was gefiel Ihnen besonders? Und wie war es bei Ihnen, Frau Schmidli?
Wyser: die selbstständige Arbeit, ohne immer einen Chef im Genick zu haben – so wie es die VBZ jetzt in der aktuellen Werbung sagen! (lacht). Das war mir schon als Koch oder beim Taxifahren wichtig. Und natürlich faszinierten mich Schienenfahrzeuge schon immer. In den 70er-Jahren hatte man viel zu wenige Mitarbeiter im Fahrdienst, die Löhne waren tief und das Ansehen des Wagenführers gering. Und so kam es, dass ich mit zwei Kollegen entschied: ‹Kommt, lasst uns die VBZ aufmischen!›
Schmidli: Auch mir war die Selbstständigkeit immer sehr wichtig. Schon in meinem Job am Paradeplatz faszinierten mich die vorbeifahrenden Trams, doch das Tramfahren traute ich mir in meinen jungen Jahren noch nicht zu. Dann ging ich ins Ausland. Als ich aus New York zurückkam, habe ich mich beworben, und es hat geklappt! Damit ging für mich ein Wunschtraum in Erfüllung. Ich liebe es ‹zmitzt› im Geschehen zu sein; es ist spannend und ich liebe das Fahren. Und die Sonnenaufgänge auf der Quaibrücke – die kann mir niemand wegnehmen (strahlt).
Wyser: Ja genau! Und jeden Tag zwei verschiedene Fahrzeuge zu fahren, jeden Tag einen anderen Dienst; das macht es abwechslungsreich.
Braucht es besonderes Talent zum Tramfahren, was ist wichtig?
Wyser: Es braucht sicher eine gewisse Affinität zu diesem Beruf. Man muss allein sein können im Führerstand, die Monotonieresistenz, die Schichtarbeit – und zwischen Bubentraum und Realität kann es herausfordernd sein. So muss man etwa den Kontakt mit den Kollegen anders organisieren.
Schmidli: Das immer Präsent-Sein, das vorausschauende Fahren. Es braucht viel Konzentration und die Verantwortung ist gross. Und vor allem darf man darf sich nicht zu schnell nerven, immer schön cool bleiben – das ist wichtig.
Und wie erleben Sie den Umgang mit den Fahrgästen?
Schmidli: Es gibt schwierige und freundliche – damit muss man in einem Job mit Kundenkontakt rechnen. Ich kenne das vom Verkauf, beim Tramfahren ist das jedoch nicht so intensiv. Mein Motto ist: Immer ruhig und freundlich bleiben, nie etwas zu persönlich nehmen. Die sind jetzt vielleicht ‹hässig›, weil sie im Stress sind, zur Arbeit müssen oder endlich Feierabend haben.
Die Ausbildung zum Tramfahren ist anspruchsvoll, früher wie heute. Herr Wyser, Sie waren viele Jahre auch selbst als Ausbildner und schliesslich als Leiter der Ausbildung tätig. Wie hat sich die Ausbildung verändert und weiterentwickelt?
Wyser: Als ich noch Wagenführer war, mussten wir z. B. die Weichen noch selber stellen. Noch gab es keine Weichenpfeile, alle Fahrvorrechte mussten wir auswendig lernen. Das war richtig schulischer Frontalunterricht – den Gruppenunterricht haben wir erst später eingeführt – man studierte vieles an der Tafel oder nach Büechli. EVI (Einführungsinstruktion) war eine rein fahrtechnische Ausbildung. Fahrplanlesen war wichtig. Damals gab es ja noch graphische Fahrpläne, und dazu extra ein Schema, wie man diese faltete! Wir mussten die Kreuzungen aller Linien auswendig lernen. Auch die umfassende Störungssuche nach einer Checkliste gehörte zur 4-wöchigen Grundausbildung. Darauf folgten 18 Tage mit dem Lehrmeister und die technische Prüfung. Nachher war man mit dem Chefinstruktor im leeren Fahrzeug unterwegs. So war die Prüfung einfach! (lacht). Auch dass ich Frauen in die Ausbildung holte, war neu und teilweise sehr umstritten. Hei, waren das Zeiten!
Das sind vermutlich Welten für Sie, Frau Schmidli. Wie haben Sie Ihre Ausbildung erlebt?
Schmidli: Es war eine wirklich gute Erfahrung! Sehr intensiv ist der Monat mit viel Theorie, aber abwechslungsreich, dank dem, dass wir schon früh auch Fahrpraxis sammeln durften. Für Quereinsteiger ist es anspruchsvoll, du musst dranbleiben und dir z.B. einen ganzen Ordner einprägen. Vieles lernen wir aber auch online; damit habe ich keine Mühe, denn ich bin ja bereits mit digitalen Geräten aufgewachsen. Wir bekamen auch viel Unterstützung von den Instruktor*innen. Sie erklärten gut und auch unterwegs, im zweiten Monat, fühlte ich mich immer gut betreut. Fahren mit Fahrgästen ist dann nochmal was Anderes. Man muss sich an die Türverriegelung gewöhnen, die Zeit einhalten, nicht ins Minus fallen oder auch Frühfahrten vermeiden. Am Anfang achtet man noch stark auf die Schienen, der Weitblick kommt mit der Erfahrung.
Wyser: Wie war denn euer menschliches Verhältnis, ihr seid ja mittlerweile alle per du?
Schmidli: Ja, wir waren von Anfang an mit allen ganz selbstverständlich per du. Allerdings muss ich mich, im Vergleich zum Verkauf, noch etwas dran gewöhnen.
Wyser: Tja, bei uns war das damals ganz anders; es war eine komische Kultur. Das Verhältnis zu Vorgesetzten war manchmal schwierig – und dabei brauchte man so dringend Personal!
Ein perfektes Stichwort, um zum wichtigen Themenblock Unternehmenskultur und Arbeitswelt zu wechseln. Die Herausforderungen der heutigen Arbeitgeber*innen sind gross. Um im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu sein, die nötigen Fachkräfte zu finden, aber auch halten zu können, müssen sie die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ansprüche kennen. Junge Arbeitskräfte messen der Arbeit und Freizeit einen anderen Stellenwert bei. So sind Arbeitgeber*innen insbesondere gefordert, mit einer generationenverbindenden Unternehmenskultur einerseits das Fachwissen der Babyboomer zu erhalten, andererseits jungen Talenten Perspektiven resp. Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.
Welchen Stellenwert hat für Sie die Arbeit, die Freizeit?
Schmidli: Was ich an diesem Beruf sehr schätze, ist, dass ich gut abschalten kann. Nach Dienstschluss ist fertig! Am Wochenende zu arbeiten, stört mich nicht; ich habe gerne unter der Woche frei. Da ich im IDP bin, kann ich selber einteilen, das finde ich super. In der Freizeit gehe ich gerne ins Atelier zum Zeichnen und Malen. Ich bin sehr familienorientiert, treffe mich gerne mit Freunden und reise gerne. Manchmal gehe ich ins Fitness oder tanzen. Beim Flashmob wäre ich gerne dabei gewesen, doch leider war ich in den Ferien!
Wyser: Die neuen Arbeitsbedingungen sind ein Riesenvorteil. Das war Knochenarbeit, hier Veränderungen zu bewirken. Ich bin ja im Verein der Pensionierten, einige fanden den Flashmob nicht so toll, doch ich fand das herrlich.
Herr Wyser, Sie sind immer noch sehr verbunden mit den VBZ und verfolgen alles. Vermissen Sie heute etwas als nach wie vor engagierter Senior?
Ja, alles! Ich bin ein echter VBZler! In meiner Zeit Als Berufssekretär galt für mich immer ein wichtiger Grundsatz: Kollegen, wir sind nicht der Feind der VBZ; aber wir möchten gerne in den Unternehmensprozess integriert sein, ohne zu fordern. Es war für mich nie nur ein Job, sondern eine Berufung. Eine Gemeinschaft mit einem speziellen Zusammengehörigkeitsgefühl.
Und Ihre zentralen Erwartungen an einen Arbeitgeber?
Gemeinschaftlich partizipieren zu können. Loyalität verstehe ich auch als eine kritische Aktivität. Ich war immer bestrebt, diese Kultur einzubringen.
Frau Schmidli, wie sehen Sie es und wie erleben Sie das Betriebsklima?
Mir ist es wichtig, dass alles fair ist. Ich freue mich auf das neue System Avanti, das viele neue Möglichkeiten bietet und etwa die langen Pausen auf alle verteilt. Wir haben viel Kontakt untereinander, wenn wir uns im Depot treffen, und wir reden auch über diese Themen. Der Teamzusammenhalt ist schön, unterwegs winkt man sich – das finde ich cool.
Frau Schmidli, Sie könnten Jürgs Enkelin sein! Pflegen Sie auch Kontakte zu älteren Menschen?
Auf jeden Fall! Ich bin noch in einem Klub meines früheren Arbeitgebers, wo wir uns aus allen Altersklassen treffen. Den Generationenunterschied merkt man z. B. daran, wie man aufgewachsen ist. Ich schätze den Austausch sehr. Wir können so viel voneinander lernen und mitnehmen, und man kann sich auch gegenseitig helfen. Das ist schön.
Und wie halten Sie es, Herr Wyser?
Im Instruktorenklub treffen wir uns noch regelmässig, aber wir werden leider immer weniger… Umso mehr schätze ich den Austausch mit den Jungen, auch weil ich mein Wissen und meine Erfahrungen weitergeben kann – ich hoffe, dass sie von mir profitieren können. Ich habe zwei Enkel. Einen betreue ich intensiv, weil er Unterstützung benötigt. Das mache ich sehr gerne. Aber auch ich kann viel profitieren von den Jungen! Mein Enkel hilft mir mit dem PC, denn ich bin ja in einer analogen Welt gross geworden. Diese Entwicklung mitmachen zu dürfen, ist für mich als alter Mensch etwas Hochspannendes! Und als alter Mensch sollte man nie das Gefühl haben, man sei der Gescheiteste.
Herr Wyser, ist das Alter nur eine Zahl?
Nein, es ist ein Zustand! Die Leistungsbereitschaft ist noch da, aber die Leistungsfähigkeit nimmt leider ab. Ich merke das. Irgendwann muss man einsehen, dass es auch ohne mich geht! Aber man soll im Austausch bleiben…
Was machen Sie sich für Überlegungen zu Ihrer beruflichen Zukunft?
Schmidli: Momentan fahre ich – und ich fahre gerne. Ich mache mir aber schon auch Gedanken! Mich würde Kundenberaterin sehr interessieren, doch das Busfahren traue ich mir noch nicht zu.
Wyser unterbricht: Sag nie, dass traue ich mir nicht zu! Das kannst du höchstens sagen, wenn es um eine Trauung geht… (schmunzelt). Man hat immer Perspektiven, der Knopf geht manchmal erst später im Leben auf!
Schmidli: Jetzt noch nicht! Jetzt ist es grad perfekt – aber irgendwann packe ich das an!
Wyser: Du hast diesen Punch, da bin ich überzeugt!
Dann geht’s zum Fototermin. Beide sind sich einig: im Depot mit Trams im Hintergrund soll es sein. Zur Verabschiedung meint Wyser zu Schmidli: «Gäll, wenn ich dir irgendetwas helfen kann, dann rufst du mich einfach an!» Ein schönes Schlusswort.