Tempo 30 und öffentlicher Verkehr – ein Thema, das die Politik, die Öffentlichkeit und die Verkehrsbetriebe Zürich stark beschäftigt. Stadtrat Michael Baumer, Vorsteher des Departements Industrielle Betriebe, ordnet ein.
Michael Baumer, wie sind Sie normalerweise in der Stadt unterwegs?
Ich benutze alle Verkehrsmittel, ÖV, Velo und Auto. Hauptsächlich bin ich aber zu Fuss und mit dem ÖV unterwegs.
Was halten Sie von Tempo 30 in der Stadt?
Der Lärmschutz der Bevölkerung ist ein berechtigtes Anliegen. Wichtig ist, dieses verhältnismässig umzusetzen. Mobilität gehört zu einer Grossstadt, dabei soll der ÖV durch Tempo 30 nicht beeinträchtigt werden.
Die Stadt kommt vorübergehend für die Mehrkosten auf, die Tempo 30 bei den VBZ verursachen – ein Erfolg für Sie?
Ich werte als Erfolg, dass alle Parteien einstimmig das ÖV-Angebot auch mit Tempo 30 ohne Leistungsabbau aufrechterhalten wollen. Damit konnten wir ein starkes Signal aus dem Gemeinderat erwirken. Der Wermutstropfen dabei: Ich hätte diese Mittel natürlich lieber in den Ausbau des ÖV, statt in den Erhalt der Kapazität investiert.
Der Präsident des Schweizerischen Städteverbands, Anders Stokholm, ein Parteikollege von Ihnen, fordert Tempo 30 in allen Siedlungsgebieten – was halten Sie davon?
Es zeigt sich, dass Tempo 30 nicht nur in grossen Städten, sondern auch in mittleren und kleinen Städten ein Thema ist. Mir fehlt dabei die Differenzierung. In grossen Städten ist schon viel gemacht worden, um die Nachteile für den ÖV aufzufangen. Es gelten hier auch andere Massstäbe. Kleinere Städte haben noch mehr Potenzial für Verbesserungen. Zürich ist weiter: bei uns sind viele Massnahmen schon ausgereizt.
Wie sieht es mit der vermehrten Elektrifizierung des Verkehrs und technischen Lösungen wie Flüsterbelägen aus, um den Lärm für die Bevölkerung zu mindern?
Auch solche Massnahmen sollen geprüft und noch mehr genutzt werden, denn häufig reicht Tempo 30 allein nicht, um die Lärmschutzwerte zu erreichen.
«Das sogenannte Zürcher Modell,
um das uns viele Städte immer
noch beneiden, umfasst neben der
zentralen Leitstelle die ÖV-Bevorzugung an den Lichtsignalen sowie Eigentrassees für Bus und Tram.»
Michael Baumer, Vorsteher der Industriellen Betriebe
Oft wird behauptet, dass Staus und Eigenbehinderungen den ÖV mehr behindern als Tempo 30. Was braucht es, dass der ÖV auch in Zukunft nicht ausgebremst wird?
Wir müssen dem Erfolgsmodell ÖV in der Stadt Zürich Sorge tragen. Das sogenannte Zürcher Modell, um das uns viele Städte immer noch beneiden, umfasst neben der zentralen Leitstelle die ÖV-Bevorzugung an den Lichtsignalen sowie Eigentrassees für Bus und Tram. Bei allen berechtigten Ansprüchen an den öffentlichen Raum sollten wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und das Erfolgsmodell für einen attraktiven ÖV nicht mit mehr Mischverkehr und Einschränkungen für den ÖV gefährden. Auf abgesetzten Eigentrassees kann der ÖV schneller unterwegs sein, auch wenn auf der Strasse für die anderen Verkehrsteilnehmer Tempo 30 gilt. Und beim Mischverkehr fehlen Reserven für einen stabilen Betrieb. Bremsen wir den ÖV deshalb auch in Zukunft nicht aus!
Wie läuft nun die konkrete Umsetzung von Tempo 30 in Zürich ab?
Alle beteiligten Dienstabteilungen haben einen Umsetzungsplan aufgesetzt. Dabei wird in den nächsten Jahren Strasse für Strasse geprüft, dies in Abstimmung mit dem Fahrplanverfahren der VBZ. Gegen die verfügte Geschwindigkeit auf einer Strasse können Rechtsmittel ergriffen werden. Mein Ziel ist es, das Fahrplan- Angebot auch in Zukunft ohne Einschränkungen zu fahren. Dieses Vorgehen erlaubt den VBZ, rechtzeitig den Mehrbedarf an Fahrzeugen und Fahrdienstpersonal zu beschaffen.
Wenn Sie bei einer Fee drei Wünsche für die VBZ frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Für eine Stadt wie Zürich ist eine funktionierende Mobilität zentral, sowohl für die Bevölkerung wie auch für die Wirtschaft. Unser Erfolgsmodell führt dazu, dass wir in Rankings und Bevölkerungsbefragungen immer wieder ganz vorne dabei sind. Die VBZ werden von der Bevölkerung sogar regelmässig als beliebteste Dienstabteilung der Stadt gewählt. Meine drei Wünsche lauten deshalb: Den Stellenwert des ÖV in Zürich erhalten, in den Ausbau investieren und ein attraktiver Arbeitgeber für die Mitarbeitenden zu sein!