Im Sommer wie Winter draussen: Der Job eines «Instandhalters» für Fahrleitungen und andere elektrische Anlagen sorgt öfter mal für «Action» – und vor allem aber dafür, dass der ÖV ein stabiles «Rückgrat» hat.
Es ist, als hätte es ihn nie gegeben, den Schnee: Sonnenschein, ein laues Lüftchen, erste Triebe an den Bäumen, da und dort ein Jogger mit kurzen Hosen. Die Plattform hoch oben auf dem Turmwagen schaukelt sanft den Tramgleisen unter der Hardbrücke entlang. Am Steuer sitzt Daniel Müller; die Fahrleitungs-Teams sind immer zu dritt unterwegs. Gonçalo – kurz «Gonzo» – Ribeiro und Camillo Filipe prüfen, ob mit den Fahrleitungen über ihnen noch alles in Ordnung ist. Letzterer wirft sich für die Fotografin spontan in eine kecke Pose: eine, die eines Helden würdig wäre. Und irgendwie ist es ja auch so. Noch nicht lange ist es her, seit das Team «Elektrische Anlagen» an jenem als «Flockdown» bekannt gewordenen Tag mit Eis, umgeknickten Bäumen und einem komplett darniederliegenden Netz rang.
Es sind nicht gerade wenige Fahrleitungen, um die sich besagte Abteilung zu kümmern hat, genauer gesagt 273 Kilometer – das entspricht in etwa der Strecke von Zürich nach Genf. Eine lange Leitung dürfen die Profis selber aber nicht mitbringen, denn der Aufgabenbereich ist gross: «Wir sind für die gesamte elektrische Infrastruktur zuständig», sagt Ribeiro. Notabene nicht nur die VBZ, auch die Forchbahn, die Glatttalbahn und die Dolderbahn AG setzen auf die 26-köpfige Mannschaft in Altstetten. Ins Aufgabengebiet fallen nebst den Fahrleitungen Ticketautomaten, Schmier- und Blitzschutzanlagen, elektrische Bauprovisorien auf Gleisbaustellen, der Strom in Depots, Garagen, ja gar Toiletten an den Endhaltestellen. Und last, but not least, natürlich auch die 536 Tram- und 61 Trolleybus-Weichenanlagen.
Die Männer, die aus der Kälte kommen
Trotz flauschig-warmen Weichen sollte nicht aus Pappe sein, wer zu den «Höllenhunden der Fahrleitung» gehört – wie sich die Männer nach dem Schneechaos des vergangenen Winters scherzhaft nannten. Die Arbeit findet zu 90 Prozent draussen statt, bei jeder Witterung, Temperatur und Tageszeit, versteht sich. Besonders erbarmungslos zeige sich übrigens der Bucheggplatz, vor allem nachts, verrät Ribeiro, denn «dort herrscht immer Durchzug: Minusgrade fühlen sich schnell doppelt so kalt an.» Zwar kann man sich den Gegebenheiten entsprechend kleiden, jedoch trifft das auf das wichtigste Arbeitsinstrument, die Hände, nicht zu, weil sich klobige Handschuhe mit zarten Schrauben schlecht vertragen.
Klirrend kalt war es auch am 15. Januar 2021, als Zürich unter einer weissen Decke verschwand. An jenem Tag hätten sie sich als «diplomierte Baumschüttler» profiliert, witzelt Filipe. Anschaulich berichten die beiden Fahrleitungsprofis, wie alle sich im Einsatz befindlichen Männer weitere Schäden durch herabstürzende Ästen zu verhindern versuchten, indem sie die Bäume mit einer beherzten Schüttelaktion von ihrer Last befreiten, nur durch einen Helm vor weiteren stürzenden Ästen geschützt. Seite an Seite mit Feuerwehr und Polizei schafften sie beiseite, was im Weg lag: Mitunter ganze Stämme, die bei ihrem Sturz die Leitungen mit sich in die Tiefe gerissen hatten.
Die Stimmung sei eigentlich wie immer gewesen, berichten die beiden lässig, doch ein kleines Funkeln in den Augen verrät, dass sie die Herausforderung und das Adrenalin wohl durchaus auch genossen haben. Ein Spass war es sicher trotzdem nicht: Der zeitraubendere und anstrengendere Teil, erfahren wir, seien noch nicht mal die Fahrleitungen gewesen, sondern das Eis, das aus den Schienen herausgepickelt werden musste. Anlässlich des Flockdowns waren über 50 Störungsmeldungen abzuarbeiten (gegenüber normalerweise einer Meldung pro Tag), nebst dem, dass die Tram- und Trolleybusstrecken von Ästen und Bäumen befreit werden mussten. Drei Tage lang waren 24 der «Höllenhunde der Fahrleitung» unentwegt auf Draht. Dass es nicht noch schneller ging, liegt allein daran, dass bei solchen Piketteinsätzen eine Ruhezeit von 11 Stunden gesetzlich vorgeschrieben ist, sechs davon am Stück. Übermüdete Mitarbeiter haben unter 600-Volt-Stromkabeln nichts zu suchen.
Seiltanz mit Stolperschuhen
Zurück zum Alltag: Was muss geschehen, damit Fahrleitungen überhaupt zu Schaden kommen, wenn es nicht Frau Holle ist, die vorübergehend ausflippt? «Oft sind es Entdrahtungen durch Trolleybus-Schuhe, die hängenbleiben», erläutert Camillo Filipe. Der Schuh, damit sind nicht etwa die Pneus, sondern die Stromabnehmer gemeint. In diesem «Schuhwerk» steckt auch das «Schwarze Gold» – ein Kohle-Verschleissteil, das bröckeln und abfallen kann. Fehlt es, ist die Gefahr grösser, dass der Stromabnehmer aus der Leitung rutscht. Dabei wird oft auch die Fahrleitung beschädigt. Ein anderes Problem ist der Kupferdraht, der sich bei Hitze ausdehnt. Im Sommer entstehen so Schäden, die ebenfalls zu Entdrahtungen (bedeutet, wenn der Stromabnehmer den Kontakt zur Fahrleitung verliert) führen können.
Kaputte Leitungen und 600 Volt: Wie sieht es mit der Sicherheit aus? «Wir arbeiten unter Spannung», antwortet Ribeiro. Tagsüber nämlich werde die Spannung bei kleineren Störungen nicht abgestellt. Aber das sei nicht allzu riskant, sagt Filipe, «unsere Turmwagen sind isoliert, da kann man anfassen was man will, solange es sich nur um den Pluspol handelt».
Fakt ist: Bei manchen Unfällen können schon mal die Funken sprühen. Wenn die beschädigte Fahrleitung obendrein auf einem Fahrzeug liegt, steht eine Evakuierung der Fahrgäste bevor. Bei solch extremen Szenarien und natürlich allgemein bei Unfällen und grösseren Störungen bekommt die Dreiereinheit aber Unterstützung: «In solchen Fällen werden Serviceleiter aufgeboten, und über die Leitstelle wird eine Umleitung veranlasst».
Brennende Kupferdrähte und eine gute Portion Humor
Nie genau zu wissen, was der Tag bringt, gefällt den Fahrleitungsmonteuren gut, auch wenn die Einsätze nicht immer spektakulär sind. «Wir mussten auch schon ausrücken, weil ein Anwohner gemeldet hatte, die Fahrleitung stecke in Brand! Bei dem vermeintlichen Feuer handelte es sich jedoch um einen neuen Kupferdraht, der im Sonnenlicht glänzte», grinst Filipe. Sein Kollege meint: «Wir kümmern uns wirklich um alles. Es hiess auch schon mal, die Fahrleitung liege am Boden, dabei war es nur irgendein Abzug».
Fehlalarme sind aber in der Minderheit, meist geht es um Handfestes: «Wegen der vielen Baustellen kommt es ab und zu vor, dass ein Kran einen Querspanner herunterreisst. Erst gestern ist das gerade wieder passiert», meint Filipe, jetzt wieder ernst geworden, und Kollege Ribeiro ergänzt: «Neulich fuhr gar ein Lastwagen mit seiner Bühne in den Querspanner – und haute dann ab.» (Beim Querspanner, dies für Nicht-Insider, handelt es sich um das Seil, das quer über die Fahrbahn als Aufhängevorrichtung für die Fahrleitungen dient).
Manche der Mitstreiter in der Abteilung «Elektrische Anlagen» sind schon seit 30 Jahren dabei. Der 33-jährige Ribeiro hat es bisher auf zehn gebracht, sein «Gspänli» Filipe auf deren zweieinhalb. Vor langer Zeit begannen die beiden Elektroinstallateure beim selben Arbeitgeber, auf dem Bau. Jetzt sind sie wieder vereint, in einer eingeschworenen Mannschaft, die altersmässig wie auch von den Nationalitäten her stark durchmischt ist. «Das macht es interessant, wir haben einen guten Zusammenhalt und viel Sinn für Humor», schwärmt Filipe. «Natürlich wäre ich lieber Astronaut oder Fussballstar geworden», schmunzelt er, «doch dieser Job ist das Beste, was ich in meiner Berufskarriere erleben durfte.» Kollege Ribeiro nickt: «Mit Abstand!».
Nachts geht alles etwas schneller
Die Umschulung auf die Fahrleitung funktioniere, neben kleineren Zusatzausbildungen, hauptsächlich nach dem Prinzip «learning by doing» … beziehungsweise dank der Unterstützung von Kollegen mit längerer Berufserfahrung, sagt «Gonzo» Ribeiro. Besonders viel lerne man in der Nachtschicht. Dann nämlich, wenn die Fahrleitungen ausgeschaltet sind und grössere Reparaturarbeiten ausgeführt werden. Das gelte in besonderem Masse für die Lernenden, die sowieso nur an Leitungen arbeiten dürfen, die nicht unter Spannung stehen. Ist die Nachtschicht beliebt? Ja, er arbeite gerne zu vorgerückter Stunde, bekräftigt Filipe. Der 33-jährige Ribeiro zögert kurz, dann sagt er, früher sei es einfacher gewesen. Die Familie? Er lacht: «Meine Freundin mag es nicht so sehr, wenn ich in die Nachtschicht gehe», lacht er.
Tagsüber werden vor allem Kontrollfahrten mit dem Turmwagen ausgeführt. Für Notfälle steht eine Pikettgruppe allzeit bereit. Viele zusätzlichen Stunden pro Woche können bei so einem Pikettdienst zusammenkommen: «Manchmal klingelt das Telefon schon um 5 Uhr morgens», so Ribeiro: Dann also, wenn die ersten Trams ausfahren.
Inzwischen nähert sich hinter uns die Linie 8. Wir kriechen auf der Kontrolle nämlich mit vier Stundenkilometern dahin. «Das ist das Mühsame an den Kontrollen, dass man immer die Arbeit unterbrechen und zur Seite fahren muss», meint Ribeiro. Mühsam auch für den Trampiloten, der pünktlich an der nächsten Haltestelle eintreffen sollte. Das Verständnis falle denn auch nicht immer gleich hoch aus. Verkehrsteilnehmer, die ausbremsen, sind selten willkommen – sogar, wenn sie zur selben Firma gehören. «Mit uns muss man etwas Geduld haben, uns überholen in der Regel sogar die Fussgänger», flachst Ribeiro. Analog einem Elektron also, das im Kabel dahinschleicht und am Ende trotzdem in Echtzeit Strom liefert.