Wenn ein VBZ-Mitarbeiter einen viralen Hit landet

Was hat die Rhätische Bahn (RhB) mit Japan am Hut? Vermutlich gar nichts, wäre wohl der erste Gedanke. Das jedoch ist falsch, denn tatsächlich besteht eine tiefe Verbindung zwischen der RhB und dem Land der aufgehenden Sonne. Die Bündner Bergbahn diente einst als Inspiration für das älteste Pendant Japans, die Hakone Tozan Railway. Seit 1979 gibt es gar eine Partnerschaft zwischen den beiden Transportunternehmen. Für VBZ-Mitarbeiter Reto Hürlimann eine perfekte Vorlage. Er ist Mitorganisator der JapAniManga Night (JAN) in Davos. Ganz nach dem Vorbild der japanischen Bahngesellschaften schlug er eine Manga-Figur als Event-Maskottchen für die RhB vor. Eine Idee, die für Furore sorgen sollte und in Japan über 10 Millionen Menschen erreichte. Mehr dazu im Interview mit Reto Hürlimann.

Herr Hürlimann, Sie arbeiten bei den VBZ in Kundendienst und organisieren nebenbei die JapAniManga Night in Davos. Was machen sie dort?

Vor fünf Jahren war ich als Fan am Event anzutreffen. Da Fanartikel zu meinen Vorlieben gehörten, ist mir aufgefallen, dass auf dem Markt der JAN viele Fälschungen verkauft wurden. Dagegen habe ich mich vor vier Jahren beim Organisationskomitee gewehrt. Nach dem Umzug nach Davos wollte ich schliesslich eigene Projekte am Event realisieren. So zum Beispiel das «Otaku-Zimmer» (Otakus sind leidenschaftliche Fans, Anm. d. R.). Dieses Zimmer war voll mit Anime-Figuren und Merchandising-Artikeln. Ein Hit für die Besuchenden, da sie japanische Illustratoren und Figurenmacher hautnah erleben konnten. Heute habe ich mehr Aufgabengebiete. Ich kümmere mich auch um diverse Ehrengäste und deren Programm. Dazu reise ich mehrmals pro Jahr nach Japan.

Sie betreiben einen erfolgreichen, japanischen Twitter-Account. Woher kommt die Faszination für Japan und insbesondere Anime und Manga?

Ich habe als Kind im Fernsehen die ganzen Serien wie Pokémon oder Dragonball geschaut,  aber nach der Oberstufe damit aufgehört. Erst kurz bevor ich meine Lehre begann, kam ich durch eine Klassenkollegin wieder in Kontakt damit. Ich war damals noch skeptisch, habe mich aber immer mehr darauf eingelassen. Schliesslich habe ich online meinen heutigen besten Freund kennengelernt, der vermochte mich dann wieder richtig dafür zu begeistern. Als ich erkannte, dass ich Fanartikel online bestellen kann, habe ich angefangen, mein komplettes Zimmer damit zu dekorieren. Das sah zeitweise aus wie bei einem Teenie-Mädchen, das sein ganzes Zimmer mit Justin-Bieber-Plakaten zugepflastert hat – bei mir waren es halt Anime- und Manga-Sachen.

Das ganze Zimmer war also restlos voll?

Kann man schon so sagen, ja. Während meiner Lehrzeit habe ich praktisch meinen ganzen Lohn dafür ausgegeben. Heute ist das alles nicht mehr so extrem. Natürlich habe ich noch Unmengen an Artikeln, die Wohnung ist heute jedoch viel dezenter eingerichtet. Mein Zimmer war aber auch der Anlass dafür, einen Twitter-Account zum Thema zu starten. Ich wollte meine Begeisterung für die Materie und meine neuen Japanisch-Kenntnisse in die Welt hinausposaunen. Das hat in Japan richtig eingeschlagen. Dabei half alleine der Fakt, dass ich Ausländer bin.  Vor rund sechs Jahren fing ich an zu twittern, heute sind es 32‘000 Follower. Pro Monat verzeichne ich weit über 4 Millionen Klicks auf meinem Account.

So langsam also ein richtiger Star?

Unter den Enthusiasten der Subkultur habe ich mir einen guten Namen gemacht, ja. Die japanischen Fans nennen mich gerne «Schweizer Otaku-Kultur-Botschafter». Das kommt nicht von ungefähr. Ich hatte, seit ich den Account habe, diverse TV-Auftritte in Japan. Es gibt zudem Politiker, die meine Aktivitäten mit Interesse verfolgen. Besonders freut mich der direkte Draht zur japanischen Botschaft in Bern.

Ihre Figur Nozomi für die RhB: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Das Ganze wurde in einer Teamsitzung für die JapAniManga Night losgetreten. Jemand erwähnte eine Partnerschaft der RhB mit der japanischen Hakone Tozan Bergbahn – die RhB hat sogar eine Lokomotive ihrer Schwesterbahn im Einsatz. Ich nahm mit der RhB Kontakt auf und eine Woche später war ich schon unterwegs nach Chur um die Zusammenarbeit zu besprechen. Kurz vor dem Ende des Gesprächs kam mir plötzlich Nozomi in den Sinn.

RhB Maskottchen Nozomi

Die Figur war also mehr ein spontaner Einfall?

Ich hatte diese Figur vor zwei Jahren entworfen, um sie allenfalls privat zu vermarkten.  Ich schlug also den Verantwortlichen vor, Nozomi in eine RhB-Version mit japanischen Merkmalen zu verwandeln. Eine Woche später erhielt ich grünes Licht und zwei Wochen später war Nozomi geboren. In Japan besitzt praktisch jedes grössere Bahnunternehmen ein Maskottchen. Diese stehen als grosse Pappfiguren in den Bahnhöfen.

Und wie wurde Nozomi dann zu einem viralen Hit?

Wir kündigten die Kooperation auf Facebook an, und es gab nur positive Reaktionen. Von einem viralen Hit aber war noch keine Spur. Einen Tag später postete ich sie auf Twitter und damit startete die Medien-Achterbahn. Innert 24 Stunden hatte ich mehr als 1.5 Millionen Klicks auf meinem Twitter-Account. Die Mobile App hat aufgrund der ganzen Benachrichtigungen den Geist aufgegeben. Der Account lief völlig heiss. Medientechnisch wurde die Story zuerst auf bekannten Blogs diskutiert, und etwas später kam sie in den japanischen Massenmedien wie Yahoo News.

Und dann kam noch das Fernsehen ins Spiel.

Genau. Drei Tage nach meinem Post auf Twitter, erhielt ich eine E-Mail vom grössten TV-Sender Japans: FujiTV. Sie wollten Nozomi, das erste Manga-Bahnmaskottchen Europas, in die Morgensendung bringen. Und das gleich am nächsten Tag zur besten Sendezeit. Umgehend rief ich die RhB an und gemeinsam koordinierten wir den Beitrag. FujiTV war nach der Ausstrahlung auch der festen Ansicht, dass solche Projekte die Beziehungen der beiden Länder stärken.

 

Reto Hürlimann und Nozomi

Sie haben ja einiges ausgelöst, gibt es Pläne für eine Fortsetzung?

Nun, ich habe diverse Pläne. Wenn ich mir die Reaktionen anschaue, bin ich zuversichtlich, dass wir das Bild der teuren und konservativen Schweiz in Japan positiv verändern können. Ein gutes Beispiel dafür ist Finnland. Sie arbeiten seit fünf Jahren mit Animes. Die finnische Botschaft hat ein eigenes Maskottchen. Ausserdem haben sie einen Twitter-Account mit rund 130’000 Followern in Japan. Sie werden von den jungen Japanern als «easy to approach» und «trendy» wahrgenommen. Eine weitere Idee, die ich habe, ist eine Schweizer Bahnmaskottchen-Kollektion zu entwerfen. Auch männliche Charaktere sind vorgesehen. Den meisten ist gar nicht bewusst, wie viele Bahnfans es in Japan gibt. Vorerst muss sich aber Nozomi bewähren.

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