«Was bleibt einem dann noch?»

«Wo wir fahren, lebt Zürich»: Unser Versprechen gilt in guten Zeiten und auch in diesen. Zürich lebt, auch wenn es gerade etwas aus dem Takt gekommen ist. Darüber, wie es unserer Stadt und ihnen so geht, erzählen Zürcherinnen und Zürcher gemeinsam mit uns in der Serie #sogahtsZüri. Heute sprechen wir mit Stefanie Gubser, Künstlerin und Co-Leiterin von «Zürich tanzt», was die Absage des stadtweiten Events mit ihr macht.

Im Tanz liegt der ultimative Ausdruck von Lebensfreude und einer gesunden Kraft. Wenn wir nicht mehr tanzen dürfen, ja der Tanz metaphorisch am Boden liegt, birgt das also ähnlich viel Ausdruckskraft wie die Schlussszene des sterbenden Schwans. Dieser Symbolik sind sich wohl auch die Organisatorinnen des Festivals «Zürich tanzt» bewusst, weshalb auf deren Website hoffnungsfroh in grossen Lettern zu lesen ist: «Zürich tanzt dihei».

Der düsteren Metaphorik gänzlich entziehen kann sich Stefanie Gubser, Kommunikationsverantwortliche und Co-Leiterin von «Zürich tanzt», aber trotzdem nicht. Ein «Schockzustand» sei es ja, in dem sich die Welt befinde. Für sie habe es sich ganz ähnlich angefühlt wie die Begleitung eines dem Tode geweihten, nahestehenden Menschen. Erst Schockstarre, dann der Adrenalinschub zur Überwindung des Schocks, Hilflosigkeit und Trauer und plötzlich die schmerzhafte und doch gleichzeitig erleichternde Anerkennung der Veränderung: Die Entscheidung, Zürichs Tanzfest für dieses Jahr sterben zu lassen und schliesslich all die sich überschlagenden Ereignisse, die es in der Folge zu bewältigen galt. «Es war verrückt, wie mit einem Schlag ganz viele Leute sehr innovative Ideen hatten» meint die Kulturorganisatorin mit Blick auf den ersten Ausbruch von Hektik, und dann, «nach all diesen Adrenalinschüben, die gähnende Leere, eine extreme Ruhe.» Gubser schweigt einen Moment. Sagt, sie sei sich noch am Finden. Innehalten, das sei wohl eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit.

«Mit einem Schlag fällt alles ins Wasser»

Ganz so geknickt, wie es zunächst klingen mag, ist sie aber nicht. Immerhin habe man  das Ruder gerade noch rechtzeitig herumreissen können, beruhigt sie: «Wir hatten Glück im Unglück. Der Anlass hätte nämlich etwas später stattgefunden als andere Jahre. Dadurch konnten wird gerade noch aufs Stoppknöpfchen drücken.» Das Projekt «Zürich tanzt» wird zwar von Stadt und Kanton unterstützt, trotzdem finanziert sich das Projekt auch durch Einnahmen aus dem Anlass. «Hätten wir bereits mehr Ausgaben getätigt, hätte es uns an den Kragen gehen können», seufzt die Kulturmanagerin, «doch wir sind enorm dankbar, können wir unseren Verpflichtungen gegenüber Künstler*innen und Freelancer*innen nachkommen, welche die Situation hart trifft.»

Selber Sängerin mit Künstlernamen «Pina Jung», hat sie am 13. März eine neue Single veröffentlicht. «Komischerweise heisst sie ‹Lonely Time› – gerade so, als hätte ich eine Vorahnung gehabt.» Nach und nach hätten sich all ihre Projekte in Schall und Rauch aufgelöst, erzählt sie trocken. Nicht nur «Zürich tanzt», sondern auch verschiedene Konzertreihen und Fashionevents, die momentan und bis in den Juli hinein auf dem Programm stehen – oder vielleicht standen? «Es sieht ganz danach aus, als ob bis dahin nichts mehr geht». Die Künstlerin macht sich keine Illusionen. «Das ist schon merkwürdig – da arbeitet man ein Jahr lang auf etwas hin, und mit einem Schlag fällt alles ins Wasser. Was bleibt einem dann noch?»

Rückbesinnung auf das, was wirklich wichtig ist

Die Antwort darauf gibt sie denn auch gleich selbst: «Man wird aufs engste Umfeld zurückgeworfen. Familie, Freunde. Und auf die Frage: ‹Was ist die Essenz des Lebens, wo tanke ich auf, wenn all das wegfällt, womit ich mich sonst ablenken kann?›». Dieser spannende Zustand, philosophiert Gubser, könne Angst machen, aber auch eine Chance sein. «Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der wir uns extrem leicht von uns selbst ablenken können. Jetzt gibt es kaum noch Ausflüchte. Jetzt zeigt es sich, wie fest wir unser eigener Freund sind.»

Trotz aller tiefsinnigen Gedankengänge ist es dennoch nicht so, dass die Kulturschaffende dem Weltlichen entsagt hätte. Im Gegenteil nützt sie die Gelegenheit, sich an neue Herausforderungen heranzuwagen. «Ich beginne am Mittwoch mit einem dreimonatigen Musicproducer-Kurs, der online aus London angeboten wird. Ich weiss nicht, ob ich mir ohne die aktuelle Situation die Zeit genommen beziehungsweise mir zugetraut hätte, so etwas online zu machen.»

Online tanzen und frische Luft

Online ist freilich auch ein Thema beim Tanz. Viele Anbieter weichen jetzt auf Zoom aus. «Ja, wir sind am Recherchieren, ob wir eine Zusammenstellung von Online-Alternativen anbieten wollen», bestätigt Gubser. Versprechen will sie aber nichts. «Ich bin selber noch etwas hin- und hergerissen ob all dem Überfluss oder auch Überdruss an Online-Angeboten, der derzeit über die Bildschirme flimmert», meint sie kritisch, gerät dann aber trotzdem ins Schwärmen: «Es gibt ja aber auch wirklich ganz coole Aktionen – neulich entdeckte ich einen Break-Dance-Battle, direkt aus den Wohnzimmern der Tänzerinnen und Tänzer. Eine schöne Idee!»

Auf die Frage, ob sie selber auch im Wohnzimmer tanze, winkt sie ab: «Ich wohne in einer kleinen 3-Zimmer-Altbauwohnung, mein Boden ist sehr ringhörig. Selbst Yoga ist da schon grenzwertig. Wir haben aber ein leerstehendes Büro, zwei Minuten mit dem Velo von meinem Zuhause aus, das ist quasi wie ein eigenes Tanzstudio». Eigentlich bevorzuge sie im Moment aber Bewegung an der frischen Luft. «Früher musste ich mit den Eltern spazieren gehen – das war mässig lässig», erinnert sie sich grinsend, «jetzt aber erwachen offenbar gewisse Ur-Instinkte».

Die Kunstschaffenden sind sich unsichere Situationen eher gewöhnt

Die Eventbranche bekam als erste die Nebenwirkungen des Coronavirus zu spüren: «Künstler leben eher am Rande des Existenzminimums, dadurch haben sie nicht so ein finanzielles Polster, wie man es sich vielleicht in manch anderen Berufen zulegen kann. Wenn so ein Zustand länger anhält, geht das ziemlich schnell ans Eingemachte», stellt Gubser fest.

Trotz dieser prekären Lage, meint sie, würden eben gerade die Künstlerinnen und Künstler nicht allzu extrem reagieren. Weil sie es sich nämlich gewöhnt seien, mit unsicheren Situationen und mit dem Wandel umzugehen. «In diesem Berufszweig hinterfragt man immer wieder mal sein Leben, was man tut und wozu. Die aktuelle Situation wird jetzt einfach in diese Fragestellungen integriert» erklärt sie die künstlerische Krisenresistenz. Es sei nämlich so, dass man ihrem Umfeld laufend nach Inspirationen suche und daher recht flexibel sei, auf Neues aufzuspringen.

Den Blick auf andere Kontinente und in die Zukunft gerichtet

Anders als in Tansania und Nairobi, wo sich die Eventorganisatorin die letzten zwei Jahren oft aufhielt und Freunde rund um die Musik gefunden hat: «Der Blick nach Afrika in Bezug auf Covid19 macht mich demütig für das, was ich hier selbstverständlich bekomme», meint sie versonnen. «In Afrika geht es schneller ums nackte Überleben, denn sie haben kaum Rücklagen und auch keinen Staat, der die Einzelnen unterstützt. Die Leute sind auf sich selbst gestellt.» Das habe ihr bewusster gemacht, in welch privilegierter Lage wir uns in der Schweiz trotz allem befinden.

Ihr Wunsch wäre es denn auch, dass die aktuelle Situation eine Chance zur Transformation darstellt. «Ich hoffe, ich erlebe noch, dass unsere Gesellschaft eine neue Form findet, in der der Mensch und sein Glück wieder ins Zentrum gestellt wird und nicht so sehr das Kapital.» Vielleicht, sinniert sie, könne man aus alledem lernen, dass vieles auch anders funktioniert. Nachhaltiger. Zum Beispiel, dass es gar nicht so viele Reisen an irgendwelche Konferenzen braucht. Oder dass man ebenso gut kleinere, lokale Anbieter anstelle der Grosshändler bevorzugen kann.  Vor allem aber, dass der Mensch seine eigene Zufriedenheit findet, ohne diese mit Konsum kompensieren zu müssen.

«Es ist wichtig, dass man sich dorthin orientiert, wo man das Gefühl hat, ‹das tut mir gut›.»  Gubsers Lebenshaltung ist ganz in Sinne von ‹Wu wei›, dem taoistischen ‹Handeln im Nichthandeln› (was, so nebenbei erwähnt, auch der Titel ihrer im Herbst erscheinden Platte ist): «Das heisst, je präsenter wir sind, desto eher kommen die Dinge auf uns zu, die gerade wichtig sind, in einem natürlichen Fluss. Dann merken wir vielleicht, dass wir gar nicht so viel brauchen.»

Noch mehr Geschichten darüber, wie es den Zürcherinnen und Zürchern in diesen Zeiten geht, gibt’s unter #sogahtsZüri. Wer selber Teil von #sogahtsZüri sein möchte, kann unter vbz.ch/sogahtszueri mitmachen. 

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