Street Art legal

Redl

Wer in diesen Tagen über die Quaibrücke geht, sieht seine Bilder in Grossformat: Redl hat im Auftrag der Stadt die Baustelle beim Bellevue und Bürkliplatz mit der Spraydose verschönert. Wer ist der Künstler, der offiziell autorisierte Graffitis sprayt?

Wer sich öfters in Zürich bewegt, ist sicherlich schon an einem seiner Werke vorbeigekommen. Der Street-Art-Künstler, Grafiker und Illustrator Redl prägt das Stadtbild seit vielen Jahren. Sein aktuellstes Projekt entdeckt man derzeit auf der Quaibrücke. Anlässlich der Grossbaustelle am Bellevue hat Redl, zusammen mit anderen Strassenkünstlern im Auftrag der Stadt den Baustellenauftritt optisch aufgefrischt. Statt öder Bretterwand findet man 284 Quadratmeter gesprayte Fläche. Vor allem der Löwe in sattem «züri-blau» fiel mir beim Überqueren der Brücke auf. Ich bin neugierig geworden und will wissen, wer sich hinter den Bildern und der Spraydose verbirgt.

Zur Zeit bei der Quaibrücke zu sehen: ein Stück Redl-Street-Art. (Bild: redl.ch)

Ich verabrede mich mit Redl in seinem Atelier im Kreis 6. Alles, was ich vor dem Gespräch über ihn weiss: Sprayer in Zürich seit den ersten Graffiti-Stunden der Stadt, Rapper bei Radio 200000 (ich erinnere mich an Textzeilen wie «Nimm sie, nimm sie wänn sie de Eisprung hätt») und FCZ-Fan. Tönt irgendwie nach einem verwegenen Typen… Ist er das auch?

Von illegal zu legal

Bei meiner Ankunft fallen mir als erstes die Graffitis an der Hausfassade auf. Die einzigen in der Nachbarschaft, die so deutlich sichtbar sind. Zufall? Kaum. Die Tür öffnet mir dann aber ein mindestens auf den ersten Blick nicht ganz so verwegener Typ – es ist nämlich ein Mann mit graumeliertem Haar, violettem Polo-Shirt, farblich passenden grauen Shorts und trendigen Sneakers. Redl und ich setzen uns an einen Tisch und kommen sogleich ins Gespräch.

«Es gab nur den illegalen Weg»

Redl alias Patrick Wehrli ist 46 Jahre alt und hat seine ersten Sprayer-Erfahrungen als Teenager in den 80er-Jahren gemacht. Legal und illegal. Ich gestehe ihm, dass ich mich in der Szene nicht auskenne, mir aber vorstelle, dass er immer mit einem Fuss im Gefängnis gestanden hat. «Das ist natürlich schon so, das war und ist ein Teil des Spiels. Zu dieser Zeit gab es noch keine Workshops, zur Verfügung gestellte Flächen oder Aufträge, die diese Art der Kunst unterstützten. Es gab somit eigentlich nur den illegalen Weg, wenn du diese Kunst erlernen wolltest. Und früher oder später wirst du auch mal erwischt.» Redl gibt das ohne Zögern und ohne Reue zu. Scheint, als ob das wirklich einfach dazugehört hat.

Schon bald aber winkten dem jungen Redl bezahlte Aufträge – auch von der Stadt. Ich bin irritiert. Soviel ich weiss, stehen Graffiti und Street Art vor allem gegen Kapitalismus, Konsumgesellschaft und öffentliche Ordnung. Beisst sich das denn nicht, wenn ein Graffiti-Künstler im offiziellen Auftrag der Behörden die Stadt beschmiert oder verziert? «Ich persönlich finde, es beisst sich überhaupt nicht. Das eine ist ein Auftrag, das andere ist die eigene Ausbildung und die Erfahrung, die man sammelt. Aber natürlich gibt es solche, die finden, das geht gar nicht. Mich hat einfach beides fasziniert.» Heute, das will er betont haben, sei er aber ausschliesslich legal unterwegs.

Jungbrunnen Street Art

Wenn ich an Street Art denke, kommen mir Stichworte wie «jung», «frech», «modern» in den Sinn. Redl ist auf dem Papier zwar fast gleich alt wie meine Mutter, dennoch scheinen die beiden Welten komplett verschieden. Redl wirkt auf mich nicht wie jemand, der geradewegs auf die 50 zusteuert – mit allem, was potenziell dazu gehören könnte: Hund, Samstagsbrunch im Sprüngli, Midlife-Crisis. Ist Street Art womöglich eine Art Jungbrunnen? Physisch hält Street Art auf jeden Fall jung. «Man ist viel in den Knien, steigt Leitern rauf und runter, bewegt Arme und Beine während Stunden, das geht manchmal schon recht an die Substanz», gesteht er.

Doch Fitness allein ist nicht alles. Redl will auch künstlerisch mit der Zeit gehen, sich permanent weiterentwickeln. Dazu gehört beispielsweise die Reisen, auf denen man Werke besichtigt oder auch das Internet, das auch in dieser Szene viel verändert hat. Zu viel Zeit will er dafür aber nicht opfern: «Ich lasse mich lieber von meinem näheren Umfeld inspirieren, dem Alltag, der Natur. Ich brauche keine Überdosis an Bildern aus dem Internet.»

«Je grösser, desto lieber»

Die Digitalisierung hat zwar viel verändert, immer wieder sind Werbung und Öffentlichkeit auf den Zug «Street Art und Graffiti» aufgesprungen, dennoch ist diese eigenwillige Kunst bis heute nicht vorbehaltlos akzeptiert. «Gerade Zürich ist immer noch sehr konservativ», findet Redl. «Ich kämpfe immer noch dafür, dass gewisse Wände bemalt werden dürfen.» Er hätte viele Ideen, wo noch gemalt und gesprayt werden könnte. Speziell auf Hochformate hat er’s abgesehen. Wer also seine Hausfassade bei Gelegenheit etwas aufpimpen möchte – Redl macht’s. Dabei gilt: «Je grösser, desto lieber».

«Wenn jemand Minions auf seinen VW-Bus will, dann zeichne ich eben Minions.»

Dass sich Redl ab und zu für seine Aufträge anpassen muss, stört ihn nicht, solange die Motive und die Arbeit ethisch vertretbar sind. «Wenn mir etwas wirklich gegen den Strich geht, tu ich es nicht, aber ich bin sehr flexibel. Wenn jemand Minions (Anm. d. Red: Das sind kleine gelbe Figuren, die durch den gleichnamigen amerikanischen Animationsfilm bekannt geworden sind) auf seinen VW-Bus will, dann zeichne ich ihm eben seine Minions. Daran finde ich nichts Schlimmes.»

Radio 200000 lebt, aber anders

Je länger das Gespräch dauert, desto mehr kommt mir Redl wie ein geerdeter, anständiger Bürger vor. Wie ein Mann, der seine wilde Jugend hinter sich gelassen hat und wie andere auch einfach seine Brötchen verdienen will. Allerdings gibt’s ja noch Redl den Rapper. Mit seiner Gruppe Radio 200000 – kurz R200K – war er in den Nullerjahren ziemlich erfolgreich, das Quartett veröffentlichte die zwei Studioalben «Installation» (2005) und «Aktuelle Hits» (2008) sowie eine Remix-Platte. Bekannteste Titel waren «Discoscheiss», «Im Huus» oder eben «Eisprung». Die Texte handeln vom Zürcher Alltag, Frauen und natürlich vom FCZ und der Südkurve, wo die Formation auch herkommt.

Ich erfahre, dass sich die Gruppe immer noch in Originalbesetzung regelmässig trifft und musiziert. Es wird nicht mehr nur gerappt, die Bandmitglieder haben inzwischen alle zu Musikinstrumenten gegriffen und lassen die Musik nicht mehr produzieren, sondern machen sie selbst. Redl übernimmt dabei den Synthesizer. «Aber noch mit Klebern auf den Tasten, sodass ich weiss, wo sich A und C und so weiter befinden», grinst er. Ob sie je wieder ein Album aufnehmen oder gar auf Tour gehen, steht in den Sternen. Auch wenn Redl weiss, dass es da draussen immer noch viele Anhänger der «klassischen» Radio 200000 gibt, so hat er sich auch in diesem Bereich weiterentwickelt und meint, dass die Musikrichtung vielleicht noch die gleiche sei, wobei es textlich sicherlich anders töne als vor 10 Jahren.

Keine Leichen, sondern Spraydosen im Keller

Redl betont zwar immer wieder, dass die wilderen Zeiten in der Vergangenheit liegen; er inzwischen ja auch Frau und Kinder habe, für die er ein Vorbild sein möchte. Trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, dass in dem Polo-Shirt doch noch ein kleiner Rebell steckt. Vor allem, als ich ihn gegen den Schluss nochmals frage, wann das eigentlich genau aufgehört habe, mit den illegalen Nachtaktionen. Da glaube ich, es in seinen Augen zu sehen, dass die letzte nicht behördlich bewilligte Spray-Session vielleicht gar nicht so lange her ist, wie er mich glauben lassen will. Auf meine letzte Frage, was eigentlich der Name Redl bedeute, lacht er verschmitzt und meint: «Der kommt eben auch von damals, aus dieser Zeit. Das kann ich jetzt hier nicht erörtern. Ich bin eifach dä Redl.»

Sicher steht für mich: Es gibt keine Leichen im Keller, aber Spraydosen. In allen Farben.

Redls Werk zerstört

Nur kurze Zeit nach meinem Besuch fiel Redls Werk auf der Quaibrücke mutwilliger Zerstörung zum Opfer. Jemand hat mit einer einzigen roten Spray-Linie die Bilder ruiniert.Der Vorfall ist mehr als ärgerlich. Die einzelnen Bilder hätten nächstens versteigert werden sollen. Die Hälfte des Erlöses wäre an die Glückskette gegangen, zugunsten von Kriegsopfern in Syrien. Nun muss Redl die Graffiti in mühsamer Kleinarbeit restaurieren und hoffen, dass sie bis zum Ende der Baustelle überleben, damit das karitative Projekt doch noch zustande kommt.Redl ist selbstständiger Künstler, arbeitet und lebt in Zürich. Seine Firma artworks.ch betreibt er seit über 20 Jahren.

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