«So gahts ois»

«Wo wir fahren, lebt Zürich»: Unser Versprechen gilt in guten Zeiten und auch in diesen. Zürich lebt, auch wenn es gerade etwas aus dem Takt gekommen ist. Darüber, wie es unserer Stadt und ihnen so geht, haben Zürcherinnen und Zürcher gemeinsam mit uns in der Serie #sogahtsZüri erzählt. Zum Abschluss der Serie berichtet jetzt unser Redaktionsteam, wie es die vergangene Zeit erlebt hat.

In den vergangenen Wochen durften wir viele spannende Gespräche mit verschiedensten Menschen führen, die uns berichtet haben, wie es ihnen während des Lockdowns ergangen ist, womit sie gekämpft haben, was ihnen Hoffnung gab. Hoffnung ist auch jetzt wieder angezeigt: Das Schlimmste scheint vorbei, ab morgen sind wird alles noch etwas lockerer. Wir nehmen den Abschluss unserer Serie zum Anlass, die Karten auf den Tisch zu legen, selber zurückzublicken und zu erzählen, wie unser Team die turbulente Zeit erlebt hat.

Inhalt

1. Von der Wildnis Nord-Norwegens ins Kriegsgebiet
2. Rauchende Misanthropin in der Alpenfestung
3. Eigenverantwortung – im Interesse der Freiheit
4. Und täglich grüsst das Homeoffice
5. Vive la Corona-Crew
6. Bitte einmal rotieren
7. Eine kleine Hitparade (mit Zufallsplatzierungen)

 

Von der Wildnis Nord-Norwegens ins Kriegsgebiet

Carine Salzmann

Es ist Samstag Anfang März, und ich stehe glücklich und zufrieden, jedoch zusammengepfercht in der Warteschlange am Check-in-Schalter in Nord-Norwegen. Die Welt ist in Ordnung – na ja fast – denn die wundervollen Ferien sind vorbei. 2500 Kilometer Luftlinie oder knapp 5 ½ Stunden später erreiche ich Zürich und ich habe noch keine Ahnung, was mich die nächsten Tage erwartet. Eine Woche später das blanke Entsetzen. Es ist Samstag, 8.00 Uhr in der Migros und es herrscht KRIEG! Die Gestelle sind leergeräumt, dafür sind die Einkaufswagen der Leute umso voller und einige prügeln sich fast. Mein erster Gedanke: «Raus hier – sofort!» Die folgenden Tage verbringe ich damit mich, mein Leben und dasjenige meiner 88-jährigen Mutter zu organisieren und koordinieren, was sich als grosse Heraufforderung herausstellt, insbesondere, wenn man zu hundert Prozent berufstätig ist. Für mich steht von Anfang fest, dass ich mich strikte an die BAG-Regeln halten werde, denn ich schränke mich gerne eine gewisse Zeit ein, wenn es dafür anschliessend wirklich vorüber ist – ich habe keine Lust, das Ganze noch ein zweites Mal mitzumachen.

Ich bereue einzig, dass ich den Geburtstag meiner Mutter nicht mit ihr zusammen erleben durfte, da sie nach dem Tod meines Vaters letzten November eh schon einsamer ist als sonst. Aber trotzdem hat es auch etwas Gutes. Ich schätze heute noch mehr, was ich habe und bedaure weniger, was ich nicht habe. Ausserdem weiss ich nun, dass in den anderen elf Wohnungen ebenfalls Leute wohnen…


Rauchende Misanthropin in der Alpenfestung

Natascha Klinger

Als der Feind in Gestalt eines Virus Einzug in unser Land hielt, tat ich das, was Schweizer in so einem Falle halt tun. Ich zog mich in die Alpenfestung zurück. Will heissen, ich rückte meinem Churer Lebenspartner auf die Pelle. Ohnehin hatte er keine Zeit für die Pendelei, musste er doch für seine Eltern einkaufen. Hinter dem Calanda versteckte ich mich also vor Corona und versiechte mir meinen Rücken im Homeoffice auf dem Küchenstuhl. Euphorisch öffnete ich, das Stadtkind, mein Herz der wilden Natur, in der es sich mit 20 Meter Mindestabstand trefflich verweilen liess. Ein ebenso ergreifendes Schauspiel boten unsere diesjährigen Träume und Pläne, die wie schillernde Seifenblasen eine um die andere zerplatzten. Dann mutierte ich zwischenzeitlich zur Misanthropin, prioritär dem gesellschaftlichen Polarisierungsprozess beziehungsweise den unsäglichen Diskussionen auf diversen Medien geschuldet, weswegen ich Facebook gegen Zigaretten eintauschte – nach neunmonatiger Abstinenz notabene. Immerhin habe ich von einer Studie gelesen, wonach Nikotin vor Corona schütze…

Nichtsdestoweniger nahm ich mir vor, damit aufzuhören, sobald die Campingplätze aufmachen und im Wald getanzt werden darf, ohne dass die Polizei ausrücken muss. Was ja in Kürze der Fall ist. Zu guter Letzt hatte die Krise übrigens auch einen Vorteil: Nachdem sich mein Partner während der acht Wochen äusserst resistent gegenüber der Staffelei mitten im Hausflur, meinen zahllosen, über die Wohnung verteilten Brillen wie auch meinem Gesang und anderer meiner Eigenheiten erwies, haben wir jetzt beschlossen, zusammenzuziehen.

Eigenverantwortung – im Interesse der Freiheit

Elina Fleischmann

Worte wie Lockdown, Social Distancing, Lockerung, Pandemie oder eben Epidemie kannte ich vorher entweder gar nicht oder in einem Kontext, der weit weg schien. Und jetzt sind sie in unseren Wortschatz integriert und gehören dazu. Es ist aber ein anderes Wort, nämlich die Eigenverantwortung, die für mich in dieser Zeit einen neuen Wert erhielt. Denn ohne sie funktioniert keines der Konzepte, die vom Staat und dessen Spezialisten an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben worden sind.

Die Eigenverantwortung ist sozusagen das Gebot der Stunde. Im Interesse der Freiheit müssen wir uns diese wieder antrainieren. Denn natürlich möchte ich solidarisch sein und nicht egoistisch. So treffen wir uns zwar mit Leuten, aber im Freien zum Spazieren und mit Abstand. So bleiben wir in Kontakt mit unseren Liebsten, aber vor allem telefonisch und wenn mal physisch, dann im Garten, am Fluss, im Wald. Und mit Abstand. So können wir guten Mutes einkaufen gehen und am Leben teilhaben. Dank der Eigenverantwortung bleiben wir ein soziales und selbstbestimmtes Wesen. Und genau darum geht es mir gut. Weil die Freiheit, trotz den schwierigen Umständen, da ist.

Und täglich grüsst das Homeoffice

Julian Buri

Wenn ich so an die Anfänge der Coronakrise zurückdenke, dann merke ich erst, wie sich in kürzester Zeit mein Alltag verändert hat. Unter der Woche wird die Wohnung zum Büro, und am Wochenende sind das Wohn- oder Fernsehzimmer die beliebtesten Ausflugsziele. Wenn man dann doch mal wieder die eigenen vier Wände verlässt, fühlt sich sogar der wöchentliche Einkauf wie ein kleines Abenteuer an.

Die Wochen während der Coronakrise erinnern mich immer an den Film «Und täglich grüsst das Murmeltier». Im Film aus dem Jahr 1993 durchlebt der Protagonist immer und immer wieder den gleichen Tag. Durchbrechen konnte ich die tägliche Routine mit einer Runde Monopoly am Wochenende. Natürlich mit dem nötigen «Social Distancing», denn meine Freunde sind bei sich zu Hause geblieben. Wir veranstalteten die Spielerunde über eine Videokonferenz. Klingt komplizierter als es ist. Erstaunlicherweise klappten die virtuellen Gesellschaftsspielabende sehr gut. Ich kann es aber kaum erwarten, wenn ich wieder von Angesicht zu Angesicht mit meinen Freunden um die besten Besitztümer auf dem Spielbrett feilschen kann.

Vive la Corona-Crew
Florence Craman

13. März: Laax Talstation mit einem rassigen Gin Tonic in der Hand. Es war «A Day for Jake» – ein weltweiter Tag des Snowboardens, um das Vermächtnis von Jake Burton Carpenter zu feiern. Wir lassen den Tag ausklingen und lesen die News: Die Wintersaison wird per 16. März frühzeitig aus bekannten Gründen beendet. Ich öffne sofort die Meteo App und plane am 15. März nochmals einen sonnigen Tag auf meinem Schneebrett. Okay, cool.
13. März: Zürich, auf meinem Balkon mit einem guten Glas Rotwein in der Hand. Laax verkündet noch am selben Abend, dass das Gebiet per sofort geschlossen wird. Saison vorbei. Ciao zämä, see you next season. Okay, uncool.
16. März: Erster Arbeitstag bei den VBZ. Ich freue mich wahnsinnig. Wir erhalten die Nachricht, dass wir ab sofort von daheim arbeiten sollten. Interessanter Start, aber ich wage mich trotzdem täglich mit dem Velo ins Büro. Die Sicherheitsmassnahmen können hier gut eingehalten werden. Es funktioniert, und so habe ich im wilden Wasser die Schwimmflügeli montiert. Uf «los» gaht’s los.
Ich schweife hier nicht aus, wie ich die Lockdown-Wochen erlebt habe. Eines möchte ich festhalten: Vive la Corona-Crew – euch bin ich ewig dankbar.
4. Juni: Die Badisaison ist in den Startlöchern. Hoi Summer – dich hani würkli gern.

Bitte einmal rotieren

Sherin Madassery

Mich hat dieser internationale, klitzeklein-grausig-schnell akkumulierende Erreger namens COVID-19 in vielerlei Hinsichten an meinen Schreibtisch, der sich seinerzeit im Wohnzimmer befand, verdonnert. Neben Homeoffice war für mich auch «Distance Learning» angesagt, begleitet von hoher Selbstdisziplin und mit der Zuversicht, jegliche Prokrastination zu vermeiden… Tatsächlich konnte beziehungsweise kann ich mich mühelos in Geduld und Verzicht üben. Nicht, dass ich meinen Lieblings-Japaner oder das Bummeln in der Stadt nicht vermisst hätte. Ich habe diese ausserordentliche Zeit aber vielmehr dazu genutzt, unserer Privilegien bewusst zu werden. Nämlich jenen, dass die Massnahmen  in der Schweiz nicht annähernd so hoch waren wie in anderen Ländern: So, dass wir uns immer noch draussen aufhalten durften und die Quarantäne nicht alleine durchstehen mussten. Entschleunigung tut gut, man muss sie nur wollen und auch nutzen.

Das einzige Laster, dem ich partout nicht standhalten konnte, war die Ablenkung. Viel schlimmer noch, ich habe in ihr regelrecht Zuflucht gefunden, wenn auch nicht explizit danach gesucht. Überall war sie, die Ablenkung – insbesondere hat sie geschickt meine Aufmerksamkeit auf den optimalen Standort der Möbel oder auf ein bahnbrechendes Pizzateig-Rezept gelenkt. Nur das Homeoffice schien gegen derlei geistige Ausflüge  immun zu sein. Die Verantwortung gegenüber der Erwerbstätigkeit priorisiert man gerne höher als die der eigenen Verpflichtungen, wie das Lernen für die Uni – so ergeht es mir zumindest. Die Quarantäne regt die Fantasie an. So haben mein Mann und ich unsere schwedischen Möbel restauriert und ihnen einen neuen Zweck eingehaucht. Etwa haben wir aus einer Kommode eine Konsole gebastelt und neu angestrichen – et voilà, fertig war unser Züri-Vintage-Möbeli. Ein Tipp: Pressholzmöbel unbedingt vorgängig abschleifen! Der Drang nach Veränderung, und sei es nur die Deplatzierung des Bürotisches durch eine Rochade mit dem Schreibtisch, war ausgesprochen gross. Entsprechend blieb unsere innige Beziehung vor der einen oder anderen hitzigen Diskussion nicht verschont. Beklagen möchte ich mich dennoch nicht, ich bin überaus dankbar, gesund zu sein. Und glücklich verheiratet sind und bleiben wir auch immer noch…

Eine kleine Hitparade (mit Zufallsplatzierungen)

Thomas Wyss

Wie normal die neue Normalität sein wird, werden wir sehen. Doch weil tatsächlich etwas zu Ende geht, ist der Blick zurück okay. Was wird mir fehlen?

1. Die von absurden menschlichen Hamstern leergekauften Regale.
10. Dass ich keine Videokonferenzen mehr schwänzen kann, weil es bald keine mehr geben wird – es war mein regelmässiger Akt des «zivilen Ungehorsams», es hat sich täglich besser angefühlt.
3. Das Nicht-Vermissen von Fussballspielen – es hielt sechs Wochen an, dann brach ich ein… da ich sonst ein Junkie bin, der jeden Match schauen muss (selbst wenn er Quatsch ist), habe ich mich in diesen eineinhalb Monaten so richtig befreiend «clean» gefühlt.
4. Die Siege über mich selbst (und auch ein bisschen über den Freundeskreis), weil es mir (und offenbar tatsächlich nur mir) gelang, während der Corona-Phase mindestens zwei Tage pro Woche keinen Alkohol zu trinken – es wird mir zwar auch zukünftig gelingen, sich aber weniger aussergewöhnlich anfühlen.
9. Die in vielen Alltagssituationen erlebte Solidarität, Rücksichtnahme und Unterstützung – ich denke, dass das (zu) bald verschwinden wird.
7. Den Arbeitstag sowohl inhaltlich (sprich Ignorieren von Anrufen, Mails etc.) als auch zeitlich von früh bis spät nach meinem Geschmack einteilen beziehungsweise gestalten zu können.
5. Dass ich am Sonntag wie selbstverständlich bald nach dem Aufstehen ein Brotrezept googelte, schlaftrunken die Zutaten zusammensuchte und los backte – ich kenn mich gut genug um zu wissen, dass dieses schöne Ritual leider bald versanden wird.
2. Die Klo-Papier-Witze der ersten Generation (die waren teilweise grandios originell … zum Beispiel der, wo im Klo eines FCZ-Fans anstelle der WC-Rolle ein Schal des FC Basel hängt).
6. Das Gefühl des «ersten Mals», das ich spürte, als ich a) am 16. März in der Nacht durch den Wald lief, b) am 18. März für meine Eltern einkaufte, c) vor Ostern (halb legal) einen Blumenstrauss ergattern konnte, d) ebenfalls an Ostern die Vespa startete, e) eine Woche nach Ostern mit Freunden auf dem Dach grillierte.
8. Unerwartet in aberwitzige Situation zu geraten – wie an jenem Morgen, als in der Waschküche sieben gefüllte Waschkörbe eine Schlange bildeten, weil die Maschine kaputt gegangen und offenbar mehreren Leuten im Haus zur selben Zeit die letzte saubere Unterhose ausgegangen war (meine Zeine musste natürlich zuhinterst «anstehen», bis sie nach der Reparatur dran kam, dauerte es 48 Stunden!).

Noch mehr Geschichten darüber, wie es den Zürcherinnen und Zürchern in den vergangenen Zeiten ging, gibt’s unter #sogahtsZüri

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