Per Tram in Frau Wanzenrieds Schulzimmer

Früher spielten die Kinder mit Eisenbahnmodellen, heutzutage schieben sie gleich ein echtes Tram übers Gleis. Der Besuch einer Schulklasse bei den VBZ zeigt, dass ernste Themen auch Spass machen.

Womit kann man Kindern die grösste Freude machen? Mit Barbie und Ken? Ach woher. Mit einem Fidget Spinner? Denken Sie!  Eine der grössten Freuden ist es, wenn sie ein Tram stossen dürfen. Aber jetzt mal ganz von vorn.

Gewachsen sind sie durch Mund-zu-Mund-Propapaganda, die Besuche der Schlussklassen beim Sicherheitsverantwortlichen der VBZ, Heinz Illi. Jetzt zeigt er fast zweitausend Kindern pro Jahr die Welt des ÖV, wie sie diese sonst nirgends sehen. Ausserdem – und das ist das Ziel – gibt er ihnen mit auf den Weg, wie sie sich in eben dieser Welt am sichersten bewegen.  Zusammengefasst heisst das: Eine Portion Ernst, garniert mit ganz viel Spass.

Die Gesichter der Viertjahrklässler, die sich heute morgen in Begleitung zweier Lehrerinnen im Depot an der Kalkbreite einfinden, leuchten ähnlich froh wie ihre pinkfarbenen Westen. Schon bevor Heinz Illi das Zeichen zum Start der Tour gibt, fallen erste Fragen: «Was passiert, wenn ich diesen Knopf hier drücke?», «Wohin fährt dieser Bus?». Sobald der Wissensdurst gestillt sind, gemahnt Illi zur Konzentration und hält die Schülerinnen und Schülern an, nicht durch die Halle zu springen.

Bei jeder gestellten Frage schnellen die Finger hoch wie ein Gepard, der ein Gnu entdeckt hat - die Kids wissen so einiges. (Bild: VBZ)

Mit einem Wecker fängt alles an

Zuerst einmal erfahren die Kids interessante Infos zu dem um 1912 erbauten, unter Denkmalschutz stehenden Depot. «Siiiie, es hat doch noch andere Depots, nicht wahr?», fragt einer der Springinsfelde und beweist sogleich, dass er die Antwort eigentlich schon kennt – denn nun beginnt er sie aufzuzählen. Kein Zweifel, die nächste Generation ist auf Zack. Wann immer Illi eine Frage in die Runde wirft, schnellen die Finger hoch wie ein Gepard, der ein Gnu entdeckt hat. «Was denkt ihr, was braucht es, damit die Fahrer am Morgen so früh mit dem Tram starten können?» – «Einen Wecker!», ertönt eifrig die erste Antwort. Korrekt. Aber auch einen Stundenplan – Der VBZ-Experte erklärt, wie die Disposition funktioniert. Nichts bleibt unhinterfragt: «Wie kommen denn die Chauffeure hier hin, wenn morgens doch noch gar kein Tram fährt?» – «Früher wohnten die Trampiloten alle noch in der Stadt», weiss Illi. Heute kommen manche mit dem Velo, andere mit dem Auto, und einer legt morgens gar einen einstündigen Fussmarsch hin. «Und wie viele Pausen haben denn die?», will eins der Kinder wissen und erfährt, dass manche Einsätze – kurze Toilettenpausen ausgenommen – ohne Unterbruch von statten gehen. «Dafür kann man früh heim», lacht ein Trampilot, der eben vorbeigeht.

Rot wie ein Feuerwehrauto: Der Notfallwagen

Just in dem Moment, als Illi das Niederflursystem erklären möchte, fährt der Notfallwagen ins Depot, leuchtend rot wie ein Feuerwehrauto. Das Gefährt ist das einzige seiner Art, komplett ausgerüstet mit allem, was es bei einem Notfall auf der Strecke brauchen könnte. Da staunen und schweigen nun sogar jene, die sonst Fragen um Fragen haben.

Sand bremst Eisen auf Eisen

Weiter geht’s zum Sandsilo. Wozu es denn bei den VBZ Sand brauche, fragt Illi in die fidele Runde. «Zum Bremsen, und darum quietscht es.». Fast richtig. Den Sand braucht es zum Bremsen, ja, aber es quietscht, weil Eisen auf Eisen rollt. Und genau deswegen wird der Sand benötigt, im Herbst nämlich, wenn das Gleis mit Laub bedeckt ist, und das Tram den Berg hochfahren soll. Der Sand verleiht den nötigen Grip. «Rund 60 Tonnen Sand werden pro Jahr verbraucht», berichtet Illi. Ein Raunen geht durch die Klasse, und freilich wird nun munter spekuliert, welche Strecken dies betrifft.

«Rund 60 Tonnen Sand werden pro Jahr verbraucht»

Alle Kinder bitte festhalten!

Bald darauf sind wir an der nächsten Station des Rundgangs, und da klettern die Schüler dahin, wo wir sie normalerweise auf keinen Fall haben möchten: Unters Tram! An diesem Posten wird ihnen gezeigt, was sonst im Verborgenen bleibt: Scheibenbremsen, Magnetklötze und der Spurkranz, der am Rad dazu beiträgt, das Tram in den Schienen zu halten.

Auf diesen Höhepunkt, der ja irgendwie ein Tiefpunkt ist, folgt ein weiteres Highlight: Die Fahrt im Tram. «Und wieso genau soll das spektakulär sein?», werden Sie sich nun womöglich fragen, «jedes Kind hat doch schon mal in einem Tram gesessen.» Stimmt, doch selbstverständlich hat Meister Illi einen Spezialeffekt eingeplant: Eine Vollbremsung auf der Strecke. Das tut er nicht, weil er das ausgelassene Kreischen der Kinder geniesst – ja, vielleicht das auch – aber es geht darum, den Kleinen nahezubringen, warum sie sich im Fahrzeug unbedingt festhalten und ordentlich hinsitzen sollen. «Wir machen das übrigens nur einmal», betont der Instrukteur Illi – und knickt damit sämtliche Hoffnungen auf eine Zugabe. Kleiner Irrtum: Kurz vor der Einfahrt in die Zentralwerkstatt der VBZ geht die Barriere nicht hoch, wie sie sollte. Also, noch eine Vollbremsung – fast, wie wenn das Mami sagt «es gibt nur ein Glaçé», und dann kommt die Oma mit einem zweiten daher.

Drei Schulzimmerlängen Bremsweg

Als nächstes will Illi die vor dem Tram lauernden Gefahren vermitteln und lässt die Kinder raten, wo das Tram nach dem Bremsen zu halten käme. Hier verschätzen sich die Kinder nun ebenso wie die meisten Erwachsenen. 40 Meter Bremsweg hat ein Tram. «Drei Schulzimmerlängen, da kämen wir bei Frau Wanzenried zum Stehen», veranschaulicht die Lehrerin das Resultat.

Diese Kinder können etwas bewegen. Sogar 26 Tonnen Tram mitsamt Heinz Illi, der drin steht, und deswegen heute extra keinen Zmorgen gegessen hat – sagt er. In Vierer-Reihen stellen sie sich auf, je zwei Mädchen und zwei Buben. Achtung, fertig, los. Die Kinder schieben, was das Zeug hält, und  – welch eine Überraschung – das Gefährt gibt nach. Danach verändert Illi die Konstellation, nun versucht eine reine Mädchengruppe das Tram vom Fleck zu bewegen, und wahrhaftig: es gelingt ebenfalls! Als sich danach aber eine nur aus Buben bestehende Gruppe voller Tatendrang ans Werk macht und schiebt und schiebt wie verrückt, geht gar nichts mehr – zum hell kichernden Triumph der Mädchen. Die Verwirrung unter den männlichen Schubkräften ist gross. «Was ist da los?», ruft Illi aus der Türe. «Die Türe ist offen!» schallt es ihm aus Kindermündern entgegen. Also schliesst Illi die Türe, aber potzdonner, das Fahrzeug bewegt sich noch immer nicht. Nun, wir wollen Sie nicht länger auf die Folter spannen: War die Türe erst einmal offen, bekommt das Fahrzeug den Befehl, still zu stehen. Erst als Illi den Controller betätigt, kommen auch die Buben noch zu ihrem wohlverdienten Erfolgserlebnis.

Dennoch steht natürlich die Frage im Raum, wie es möglich ist, dass ein paar Viertklässler einen satte 26 Tonnen schweren Tramwagen  bewegen. Die geschriene Antwort der Schüler heisst «Weil wir es können!», und sie ist natürlich richtig. Die des Experten jedoch lautet «Eisen auf Eisen», sie ist nicht nur richtig, sondern auch einleuchtend – und sie schlägt auch noch gleich einen eleganten Bogen zur Rundgangstation mit dem Sand.

Das Thema ist ernst

Zum Abschluss des Kurses thematisiert Heinz Illi auf fast väterliche Art und Weise noch zwei sehr ernsthafte Themen. Das betrifft zum Einen das Einsteigen: Wie sich die Türe verhält, und wie man ältere, langsamere Personen unterstützen kann. Zum anderen aber auch das Fallgatter am Tram 2000, wozu es gut ist und was Menschen widerfahren ist, die dort oder auch unter einem Cobra lagen. «Macht es nicht den Grossen nach – also nicht mit den aufgesetzten Kopfhörern über die Gleise hühnern, und immer gut schauen!».

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