«Moviestar» mit acht Rollen

Die VBZ-Linien sind Zürichs Lebensadern. Schnurgerade oder mit Ecken und Kurven verlaufen sie kreuz und quer durch die ganze Stadt. Dabei hat jede dieser Linien ihren Charakter, der geprägt ist von den Fahrgästen und der Strecke. In einer losen Serie gehen wir ihren Persönlichkeiten auf den Grund. Diesmal: Die Buslinie 32.

Gibt es Buslinien mit Charisma? Jawohl, die gibt es: Ein Zürcher Exemplar vermochte – fast schon im Sinne einer Muse – gar einen ganzen Verein zu inspirieren. Es handelt sich dabei um die Buslinie 32, welche für den Namen «Verein Linie 32» Pate stand.

Dieser Verein verbindet Cinéasten miteinander, wie unsere Linie 32 die Kinos Riffraff und Houdini miteinander verbindet. Passend gewählt, wie uns scheint, ist doch die eigentliche Aufgabe von Bussen tatsächlich «to move» – womit auch klar wäre, wie eine Busline ein «Movie-Star» sein kann. Unterm Strich ist eine Fahrt im Bus ohnehin immer auch ein bisschen Stadtkino. Und Rollen (oder Räder…), auf denen unser Held, der Bus, einfährt, hat er genug, nämlich deren acht.

Das Schicksal mancher Schauspieler besteht ja darin, nach einem besonders erfolgreichen Film auf eine bestimmte Art von Rollen reduziert zu werden. Auch die Linie 32 blieb davon nicht verschont. Viele Zürcherinnen und Zürcher kennen sie vor allem wegen ihrer Reise durch die Langstrasse – zu der die 32 mit ihren knapp 25 Metern Länge perfekt passt. Trotzdem ist sie keine Jessica Lange in Busform, schon alleine deshalb nicht, weil wir ungern sehen möchten, wie das Gefährt von King Kong entführt würde. Letztlich ist der besagte Trolleybus zwar durchaus ein wandelbarer Charakter-Darsteller, aber eben dennoch keine Hollywood-Diva.

Um dem Wesen dieser prominenten und auf ihre Weise schillernden Buslinie gerecht zu werden, muss ohnehin nicht einer, sondern vielmehr eine ganze Vielfalt an Kinofilmen konsultiert werden. Was wir an dieser Stelle tun. Film ab!

Adams Äpfel

Am Affoltemer Startpunkt der Linie 32 gehen wir mit dem dänischen Film «Adams Äpfel» ins Rennen; eine schwarzhumorige Komödie so frisch wie das Obst, um das es geht. Was Äpfel mit Affoltern zu tun haben, fragen Sie? Viel! Das Wort «Affoltern» ist keltischen Ursprungs und bedeutet nichts anderes als «Apfelbaum» – und ebenso wie der Baum, wächst das Gebiet unaufhörlich. In der genannten Komödie sind zwar einige Hindernisse und Turbulenzen zu überstehen, bevor es zu einem schmackhaften Apfelkuchen kommt. In jedem Fall ist der Film aber heiter, lebensfroh und überraschend – genauso, wie dieser Streckenabschnitt der Linie 32.

Das Wappen von Zürich-Affoltern enthält viel Vitamin C. (Bild: Pixabay)

Im Rhythmus der Musik outdoor und «into the wild»

Eine Schnittstelle zum SRF besteht nicht nur in Affoltern, wo der «Tatort» gedreht wird, sondern auch beim Radiostudio. Lassen wir das bewegte Bild also kurz beiseite und konzentrieren wir uns auf die Akustik.  Ein kleiner Ausflug in die Welt der Filmmusik: Diese grossen Kompositionen, die man ja dann und wann auch im Radio SRF2 geniessen kann, kommen nicht selten ebenso opulent daher wie die nächstfolgende Haltestelle, der Bucheggplatz. Was hätten Sie denn gerne? «Star Wars», wegen der sternförmigen Anordnung des Platzes? «Zurück in die Zukunft», weil der «Doppelgelenktrolley plus», unser Akteur auf der Linie 32, Zukunft und Vergangenheit vereint? Oder den Soundtrack von «Speed», einem Blockbuster, in dem es um eine rasante Busfahrt geht?

Natürlich darf auf der Strecke unserer Kino-Buslinie ein Open-Air-Kino nicht fehlen. Der 32er lässt sich dazu nicht lumpen, er bedient deren zwei, zum einen das Sofa-Openair-Kino Wipkingen, welches sich unweit von der Lägernstrasse befindet. Dieses Kino im Hinterhof der Kirche «Guthirt» wird von Pfadfindern organisiert und unterstützt gemeinnützige Projekte. Allseits bekannt ist auch der Filmfluss in der Badi am Unteren Letten. Dort mutiert unser Gefährt temporär zu einer Art «Flussbus», wechselt also vom einen ans andere Ufer der Limmat. Glücklicherweise ist auf beiden Seiten der Limmat Zivilisation zu finden, sodass Szenen, wie wir sie aus «Into the Wild» kennen, wo der Held in einem Bus ums Überleben kämpft, weil er sich von seinem Rückweg abgeschnitten wähnt, nicht zu erwarten sind.

Die Strasse, welche die Linie 32 berühmt gemacht hat, ist lang

Auf dem illustren Abschnitt zwischen Limmatplatz und Kalkbreite pulsiert eine Art «Berlin Calling», ein Film, in dem es um elektronische Musik und den Konsum von unguten Substanzen aller Art geht. Falls Sie der Meinung sind, angesichts des Milieus im Quartier sei vielleicht «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» passender, würden wir uns zumindest im Berliner Dunstkreis weiterbewegen.

Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass die Linie 32 nicht nur das Riffraff mit dem Houdini verbindet, sondern ebenso das kleine, aber kultige Kino Xenix – im Sommer auch ein Openair-Cinema – mit dem Arthouse Uto, welches einst «Zürichs billigstes Arbeiterkino» war und heute vor allem anspruchsvolle Filme jenseits des Mainstreams spielt.

Wir lassen die turbulente und wilde Zone hinter uns und gleiten in unserer Linie 32 so nahtlos in das jüdisch-orthodoxe Viertel rund um das Zwinglihaus über, wie – Sie ahnen es – eine wunderliche Reise Wolkenbruch in die Arme einer Schickse trieb. Übrigens schimpfte Michael Steiner, der Regisseur des Films, anlässlich der Dreharbeiten in die Kamera (bei 2.58 Minuten auf der Zeitlinie), ob man «die hässlichen VBZ-Fahrzeuge» nicht vom Set entfernen könne. Wir sind uns aber ziemlich sicher, dass er damit nicht die unfassbar schöne Linie 32 gemeint haben kann.

An den Haaren herbeigezogen und vom Friseur in Form gebracht

Unterdessen ist der Bus am Goldbrunnenplatz angekommen. Wir sagen nichts, und lassen stattdessen Charlie Chaplin sprechen (oder eben gerade nicht) – nämlich mit dem Stummfilm «Goldrausch». Auch wenn am Goldbrunnenplatz das Schürfen Goldnuggets kaum von Erfolg gekrönt sein dürfte, mag man im Quartier gleichwohl sein Glück finden. Schliesslich geht ein frisches Lebensglück ja oft mit einer neuen Frisur einher. Und wo könnte diese «Friese» besser in Form geschnippelt werden als auf dem Friesenberg? In unserem Fahrzeug gilt jetzt das Motto «Let the Sunshin In». Erst recht nämlich, als in den Gärten dieses grünen Quartiers allerhand Flowerpower blüht, bewegt sich unser 32er auf dieser Strecke im Rhythmus des Musicals «Hair»: Der Klassiker, der im Jahr 1979 verfilmt wurde, ist eine Ode an die Lebensfreude und ein Statement gegen den Krieg.

Unterdessen ist der Bus beim Strassenverkehrsamt angelangt, und: Filme über Fahrstunden sind per se einfach nicht wirklich lustig. Nicht einmal, wenn es Komödien sind. Was ja irgendwie auch einleuchtet, denn – falls Sie die Fahrprüfung absolviert haben – fanden Sie das witzig? Eben.

Würden wir nun ganz zufällig Fans von Kriegsfilmen fragen, ob sie an dieser Stelle noch einen passenden Vorschlag hätten, würde früher oder später ziemlich sicher «Der Scharfschütze»  genannt – als Referenz ans nahe gelegene Schützenhaus Albisgüetli. Aber das wird diesem friedlichen Flecken Erde am Fusse des Uetlibergs nun wirklich nicht gerecht. Deutlich besser passt da schon der Thriller «Achterbahn» aus den 1970er-Jahren, dessen Handlung – ein böswilliger Sabotageakt am genannten Schienenfahrzeug – Sie hoffentlich vergessen haben werden, bis das nächste Knabenschiessen stattfinden kann.

Übrigens, kennen Sie das Werk «Number 32» von Jackson Pollock? Das Bild und sein Maler finden auch ihr Echo in der Filmwelt, namentlich beim neurotischen Woody Allen von 1972, weswegen wir dieses Linien-Psychogramm (gewissermassen als Aufforderung an unseren Bus) mit den Worten «Mach’s nochmal, Sam» schliessen möchten.

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