«Wo wir fahren, lebt Zürich»: Unser Versprechen gilt in guten Zeiten und auch in diesen. Zürich lebt, auch wenn es gerade etwas aus dem Takt gekommen ist. Darüber, wie es unserer Stadt und ihnen so geht, erzählen Zürcherinnen und Zürcher gemeinsam mit uns in der Serie #sogahtsZüri. Heute berichtet die Primarlehrerin Dominique Arnold über ihren Schulalltag im Corona-Ausnahmezustand und darüber, wie aus einer spontanen Idee eine herzerwärmende Dankesaktion ihrer Schule in Uitikon wurde.
Am meisten vermisst sie die Kinder. «Ihre Ideen, ihre lustigen Sprüche, das ganze Soziale», sagt Dominique Arnold. Die Primarlehrerin unterrichtet eine 6. Klasse an der Schule Uitikon. Eine «gschaffige» Klasse, präzisiert sie, mit einem tollen Zusammenhalt. «Es tönt vielleicht schnulzig, aber ich glaube, dass wir auch deshalb nun alle darauf vertrauen, dass wir die schwierige Situation als Klasse gemeinsam gut meistern werden.»
Ein Gefühl wie von 100 auf 0 muss es für Arnolds Schützlinge gewesen sein – ein bisschen wohl auch für sie selbst –, als am 16. März die Schulen wegen des Coronavirus schweizweit geschlossen blieben. Monatelang hatten die Kinder mit ihrer Lehrerin pausenlos gebüffelt. Wenige Tage zuvor nur waren sie mit rauchenden Köpfen und wohl der einen oder anderen Schweissperle auf der Stirn an der Gymiprüfung gesessen. Und nun: «full stop»! «Oh je, dachte ich, jetzt haben sie doch viel zu wenig zu tun», so Arnold. Während die 31-Jährige noch die Medienbilder im Kopf hatte, von italienischen Ärzten am Limit und von klatschenden Menschen auf Balkonen, kam sie auf eine Idee. «Wer hat Lust auf eine Challenge?», schrieb sie in den Klassenchat, und als sich ein «Daumen hoch» unter das nächste reihte, weihte sie die Klasse ein in ihren Plan, mit Zeichnungen dem Gesundheitspersonal zu danken. Es war nichts Grosses, das ihr vorschwebte. Die Kinder sollten ihre Werke bloss gleichzeitig als WhatsApp-Profilbild benutzen. Doch nicht nur die Schülerinnen und Schüler waren angetan von der Aktion, sondern auch Schulleiterin und Schulpflege. So wurde aus der spontanen Idee bald eine Serie des Dankes auch für weitere Berufsgruppen, die täglich dafür sorgen, dass zentrale Strukturen im Lockdown weiter funktionieren – von Briefträgerinnen und Briefträgern über Handwerksleute bis zu Detailhandelsangestellten. Vor einigen Tagen durften auch Tram- und Bus-Pilotinnen und -Piloten den Dank der Kinder in Form zahlreicher Zeichnungen entgegennehmen, die Arnold jeweils zu einem kleinen Film zusammenstellt.
«Liebe Busfahrer! Bleiben Sie bitte gesund! Wir brauchen Sie!»
«Liebe Busfahrer! Bleiben Sie bitte gesund! Wir brauchen Sie!»
Mit liebevollen Zeichnungen von Trams und Bussen und mit Sprüchen wie «Danke, dass Sie noch fahren.» oder «Liebe Busfahrer! Bleiben Sie bitte gesund! Wir brauchen Sie!» erweisen die Kinder der Schule Uitikon von Kindergartenstufe bis 6. Klasse so auch dem VBZ-Personal ihre Ehre. Ein Lichtblick in einer schwierigen Zeit, der, wie Arnold glaubt, auch die Kinder selbst froh stimmt. Auch für sie ist die Aktion ein Aufsteller. Bereits ist sie an der Koordination weiterer «Runden». Dies, obwohl sie sich auch im Ausnahmezustand nicht über zu wenig Arbeit beklagen kann. «Es ‹räblet› den ganzen Tag», beschreibt sie ihren neuen Alltag im Homeoffice. Das Schwierigste am Unterrichten auf Distanz sei die Kommunikation. «Spontan etwas mitzuteilen, ist schlicht nicht möglich.» Alles muss erst koordiniert und verfasst und auf die Online-Lernplattform der Schule gestellt werden. «Wir waren gezwungen, auf einen Schlag einzutauchen in die digitale Welt», sagt Arnold, und schiebt sogleich nach: «Aber wir haben einen Raketenstart hingelegt!» Jetzt, da Strukturen und Abläufe eingespielter sind, geben – neben vielen Vorbereitungen und Arbeiten mit dem Lehrerteam – die Fragen der Kinder und Eltern den Takt vor. Arnold erhält sie via Telefon, per Mail, per Online-Plattform oder auch im Klassenchat und reagiert laufend.
Situation löst viel Selbständigkeit aus
«Gerade ist es zwar ruhig», sagt sie. Und lacht: «Ich weiss nicht, ob das ein gutes Zeichen ist.» Im Präsenzunterricht kann sie ein Kind anschauen und merkt sofort, ob es einen guten oder schlechten Tag hat. «So kann ich gezielt auf sein Befinden eingehen. Dies fällt jetzt völlig weg.» Was schwierig sei! Und ständig nachfragen will sie ja auch nicht. Gerade die Eltern, so vermutet sie, würden überflutet mit Nachrichten und Infos. Sie kann sich vorstellen, wie es in den Familien zu und her geht, auch wenn sie eher wenig Feedback bekommt. «Es fehlt wohl einfach die Zeit dazu.» Dafür löse die Situation bei den Kindern auch viel Selbständigkeit aus. Um dies zu fördern, und um die Eltern zu entlasten, versucht sie, wenn möglich direkt mit den Kindern zu kommunizieren. Und auch mal Aufträge zu vergeben wie: «Staubsauge dein Zimmer.» Oder: «Bring deinen Eltern einen Kaffee.»
Das Wichtigste für Arnold ist nun, dass die Kinder motiviert bleiben – auch wenn die Schulen noch länger zu bleiben. «Dass sie nicht plötzlich denken, ‹da reiss ich mir kein Bein mehr aus›.» Ihre Klasse steht kurz vor dem Übertritt in die Oberstufe. Das Ziel der Lehrerin ist, dass die Kinder top vorbereitet und bereit sind für diesen wichtigen Schritt. «Wir haben seit Anfang Jahr viel aufgegleist. Und jetzt steht alles still.» Ein Klassenlager, das im Mai geplant war, hat Arnold bereits in die zweitletzte Woche vor den Sommerferien gelegt. Sie hofft, dass es bis dann auch wieder möglich sein wird, gemeinsam den Abschluss zu feiern. «Die Kinder haben die Klassenkasse seit der 4. Klasse mit eigenen Projekten aufgestockt. Das Geld wollten sie immer für diesen Abschluss sparen. Ich würde es ihnen von Herzen gönnen, wenn wir es noch zusammen ‹verpulvern› könnten.»
Nur noch am Computer und am Telefon
Arnolds Sorgen gelten ihren Schülerinnen und Schülern und deren Familien. «Wir wissen nicht genau, wie ihre Umstände sind, ob es zum Beispiel Vorerkrankungen gibt.» Um sich selbst hat sie keine Angst. Und weil sie nur noch zum Einkaufen oder zum Spazieren kurz rausgeht, bekäme sie es wohl gar nicht mit, wie sie meint, wenn draussen Panik herrschte. Manchmal, da wundere sie sich aber, wie sehr sich ihre Tage verändert haben. «Ich bin nur noch am Computer und am Telefon, das ist eigentlich nicht mein Ding.» Dass sie nun allerdings innovativ, kreativ und flexibel handeln muss, beflügelt sie. «Wir erleben eine Situation, für die es keine Rezepte gibt, kein Schema F, das man auf der pädagogischen Hochschule hätte lernen können. So kann jede und jeder einfach das Beste geben.»
Zwei Sätze sind es, die ihr im Trubel der letzten Zeit öfters in den Sinn kommen. Einer davon stammt von ihrem Grossvater: «Nur Mut, du schaffst das!» Der andere von ihrem Onkel: «Es ist alles eine Frage des Prioritätensetzens.» Es sei die Kombination dieser Sätze, die sie nun gut durch die herausfordernden Tage geleite. «Und unser Balkon!» Hier, auf dem Balkon ihrer Wohnung in Oberrieden, «am wunderschönen Zürichsee», macht sie jeweils 15 Minuten Pause nach dem Mittagessen, gönnt sich einen Kaffee und etwas Süsses. Momente, die ihr heilig sind. Danach geht’s sofort weiter mit Mails, Telefonaten, Fragen und Vorbereitungen. Und wenn das alles mal vorbei ist, wieder Normalität einkehrt: Worauf freut sie sich am meisten? Die Antwort kommt postwendend: «Darauf, die kleinen Gesichter wieder zu sehen und zu hören, wie die Kinder voller Enthusiasmus erzählen werden, wie es ihnen ergangen ist.»
Noch mehr Geschichten darüber, wie es den Zürcherinnen und Zürchern in diesen Zeiten geht, gibt’s unter #sogahtsZüri. Wer selber Teil von #sogahtsZüri sein möchte, kann unter vbz.ch/sogahtszueri mitmachen.