Konfliktfähigkeit ist gefragt

Kundenberater sind – nebst dem Fahrpersonal – die Männer und Frauen an vorderster Front und oftmals die ersten Ansprechpersonen für unsere Fahrgäste. Im Interview mit Luka Dragovic* erfahren wir, wie abwechslungsreich sein Beruf tatsächlich ist.

Es sind die Menschen, die ein Unternehmen ausmachen. Bei den Verkehrsbetrieben Zürich geben namentlich die Männer und Frauen im Führerstand dem ÖV ein Gesicht. Abgesehen davon sind auch die Kundenberater eine Art «lebende VBZ-Visitenkarten», sprich direkte Kontaktpersonen für die Fahrgäste, die das Image des Unternehmens prägen. Doch wie sieht eigentlich der Alltag aus, da, an vorderster Front?

Dies verrät uns Luka Dragovic*. Der zweifache Familienvater, 39 Jahre alt, arbeitet seit 2005 im öffentlichen Verkehr der Stadt Zürich. Zuerst sammelte er Erfahrungen als Trampilot, später wurde er zum Lehrmeister für neue Mitarbeitende im Führerstand, und seit neun Jahren wirkt er bei den VBZ als Kundenberater.

Herr Dragovic, Sie sind seit 14 Jahren bei den VBZ und heute Kundenberater. War das Ihr Traumberuf?

Ursprünglich habe ich die Lehre als Mechaniker gemacht. Als ich dann heiratete, habe ich eine neue Herausforderung gesucht; vor allem auch, weil ich nicht immer nur an einem Ort, im selben Raum bleiben wollte. Ich brauche Abwechslung. Mein damaliger Nachbar hat mich dazu motiviert, mich bei den VBZ bewerben. Und ja, das war beziehungsweise ist genau meine Welt.

Im Job als Kundenberater, heisst es, weiss man nie, wie der nächste Arbeitstag aussieht.

Das ist so. Das einzige, was ich im Vorfeld weiss, sind Dienstbeginn und Dienstende. Wo, wie und mit wem wir eingesetzt werden, das erfahren wir beim Meeting zu Dienstbeginn. Anschliessend wird das Vorgehen untereinander besprochen und antizipiert, wie in welcher potenziellen Situation zu verfahren sei.

Potenzielle Situation? Das klingt auch nach anspruchsvollen Momenten. Hat dieser Job demzufolge spezielle Anforderungen, die man mitbringen muss?

Teamplay steht für uns Kundenberater stets im Vordergrund. Wir sind keine Einzelgänger und -kämpfer, wir sind eine Mannschaft. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen, das möchte ich hervorheben. Natürlich sind wir immer wieder im Kontakt mit Fahrgästen – in schönen, aber auch in schwierigen Situationen. Da ist viel Sozialkompetenz einschliesslich Konfliktfähigkeit gefragt. Eine gewisse Wortgewandtheit ist wichtig und natürlich Fremdsprachen, wenigstens Englisch – alle weiteren sind von Vorteil.

Was gehört denn alles zum Job eines Kundenberaters?

Das kann ein sogenannter «Platzdienst» sein, da stehen wir den Fahrgästen, aber auch dem Fahrpersonal für Fragen und Hilfeleistungen zur Verfügung. Das gilt natürlich besonders für Grossveranstaltungen, zum Beispiel für die Pop- und Rockkonzerte im Letzigrundstadion, wo wir alle möglichen Fragen zu hören bekommen. Vor allem aber auch Billettkontrollen gehören zu unserem Aufgabengebiet sowie Fahrdienstleistungen, wenn ein Trampilot oder eine Trampilotin ausfällt. Wenn das Tram nicht fahren kann, steuern wir die Ersatzbusse.

Was davon machen Sie am liebsten?

Die Billettkontrolle.

Warum?

Man kommt mit sehr vielen verschiedenen Leuten in Kontakt. Wir haben nämlich sehr, sehr nette Fahrgäste, und manchmal ergibt sich sogar ein kurzes Schwätzchen, vor allem mit älteren Leuten.

Gibt es nicht auch schwierige Momente?

Die schwierigen Situationen sind in der Minderzahl. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man eine Busse erhält, wir nehmen ja aber nicht grundlos Leute heraus. Am wichtigsten ist mir, dass man sich in die Augen sehen und am Ende noch die Hand geben kann. Ausserdem: Auch wenn jemand kein Ticket hat, ergeben sich manchmal lustige oder sogar schöne Situationen.

Lustige Situationen? Erzählen Sie mehr!

Nun, einmal, trafen wir auf einen Fahrgast, der uns eine wunderbare Ausrede aufgetischt hat, während ihm sein Kollege in serbokroatischer Sprache souffliert hat, welchen «Seich» er uns erzählen soll. Ich habe mir alles in Ruhe angehört und seine Angaben notiert. Als er fertig war, hab ich ihn dann auf serbokroatisch gefragt, ob er sicher sei, dass alles stimme, was er mir gerade berichtet habe. Weil ich auch aus dieser Region stamme, ist das nämlich meine Muttersprache. Er hat daraufhin kurz mal die Gesichtsfarbe gewechselt (lacht).

Mein persönliches Highlight ereignete sich allerdings im Fahrdienst. Es regnete heftig, ein Fahrgast stieg am Stauffacher in den 8er, der fürwahr pitschnass nass war. Dann fing der an, sich auszuziehen! Am Hardplatz angekommen, trug er nur noch die Unterhose, nahm seine Sachen unter den Arm und stieg – als ob nichts gewesen wäre – aus. Ich war sprachlos (grinst).

Und die schönen Seiten des «Erwischtwerdens»?

Einmal, spätabends am Wochenende, stiessen wir auf eine Gruppe Jugendliche. Als sie uns als Kontrolleure erkannten, riefen sie fröhlich aus, sie hätten allesamt kein Billett. Es stellte sich dann heraus, dass eins der Mädchen tatsächlich kein Billett gelöst hatte. Daraufhin hat die ganze Gruppe je einen 20er hingelegt, um die Busse bezahlen zu können. Diese Solidarität hat mich sehr beeindruckt. Das sind Situationen, in der auch ich als Mitmensch Mühe damit habe, auf dem Zuschlag zu bestehen.

Dann gefällt Ihnen an diesem anspruchsvollen Beruf in erster Linie der soziale Aspekt?

Absolut. Wenn ich den Leuten behilflich sein kann, etwa indem ich einem Sehbehinderten über die Strasse helfe oder jemanden beim Ticketkauf assistiere, dann freut mich das. Der soziale Aspekt gilt aber nicht nur im Umgang mit Fahrgästen, sondern ganz besonders auch mit den Leuten aus dem Fahrdienst. Ich war ja selber Trampilot und weiss, welche besonderen Herausforderungen dieser Job mit sich bringt. Deshalb möchte ich die Kolleginnen und Kollegen so behandeln, wie ich es selber geschätzt habe. Als banales Beispiel etwa der Fall, dass ich einspringe, wenn ich sehe, dass jemand eine WC-Ablösung braucht. Es ist aber auch wichtig, dass die Trampilotinnen und –piloten zwischendurch mit jemandem sprechen, sich nach einem schwierigen Erlebnis «auskotzen» können. Mehr noch, wenn es zu einem Unfall mit Passanten oder anderen Verkehrsteilnehmenden kam. Ich weiss, wie sich so etwas anfühlt; ich musste es selber erleben.

Trotzdem: Das Thema «Gewalt» ploppt immer wieder mal auf

Das ist es leider so, am Wochenende und abends eher als unter der Woche. Umso wichtiger ist es, dass man sich untereinander abspricht und auf einander schaut. Wir haben ja keine fixen Partner, die man in- und auswendig kennt, sondern werden immer wieder neu eingeteilt. Mit der Zeit entwickelt man aber auch ein Gespür für heikle Situationen. Ich merke, wenn jemand gereizt ist, nehme zum Beispiel wahr, wie die Adern stärker hervortreten. Dem grössten Teil der Situationen können wir selbst aus dem Weg gehen. Natürlich werden wir auch geschult. Momentan ist ein neues Schulungsprogramm** in Erarbeitung, das auf gewisse Herausforderungen noch tiefer eingehen wird als bisher.

Gibt es andere, der heutigen veränderten Zeit geschuldete Veränderungen in Ihrem Berufsalltag?

Mit der Digitalisierung wurde die Kontrolle auch zeitaufwändiger. Die Kunden haben nicht mehr einfach ein Ticket, sie haben oftmals Lezzgo, die ZVV- oder die SBB-App. Das spüren wir extrem. Früher ging alles schneller und effizienter. Bei den SBB etwa muss man die Fahrt auswählen, die Fahrgäste gehen dann aber trotzdem auf die frühere S-Bahn. Das führt zu Unklarheiten. Aber man muss mit der Zeit gehen. Die Kunden, egal ob älter oder jünger, nutzen das digitale Angebot. Als ich angefangen habe, arbeiteten wir mit einem speziellen und ziemlich grossen Kontrollgerät, heute arbeiten wir mit einem Smartphone.

Apropos Zeit. Sie arbeiten Schicht. Wie geht es Ihnen damit?

Das ist im Moment für mich super! Ich war jeweils der einzige Vater, der tagsüber Zeit hatte, mit den Kindern «Räbeliechtli» zu schnitzen und sie bei Schulveranstaltungen zu begleiten. Ich arbeite im Turnus und weiss genau, wann ich frei habe. In einem Job mit «normalen» Zeiten ist das schwieriger möglich. Einkaufen am Samstag? Zum Glück muss ich mir das nicht antun! Auch wenn ich zur Post gehe – also unter der Woche – stehe ich nie lange in der Warteschlange. Seit ich im Schichtdienst arbeite, bin ich viel erholter und entspannter. Heute beispielsweise arbeite ich noch bis halb fünf am Nachmittag, morgen habe ich frei und gehe in die Badi – dann, wenn sonst niemand dort ist. Für mich gibt es echt nichts Schöneres.

*Name von der Redaktion geändert
** Wir berichten demnächst an dieser Stelle darüber

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