«Ich bin gerne zu Fuss und mit dem ÖV unterwegs»

Im Interview auf vbzonline spricht Michael Baumer, Vorsteher der Industriellen Betriebe, über seine Erlebnisse bei der jüngsten Mitmachaktion der VBZ zur Mobilität der Zukunft. Zudem benennt er künftige Problemzonen des öffentlichen Verkehrs – und erläutert seine Lösungsansätze.

Wie sieht der ÖV im Jahr 2050 aus? Um ein Zukunftsbild zu entwerfen und darauf die Netzentwicklung 2040 aufzubauen, haben die VBZ ganz Zürich und Umgebung dazu eingeladen, ihre Ideen, Bedürfnisse und Meinung zu platzieren – auf vbz2050.ch und an sogenannten Walk-ins. Auch Stadtrat Michael Baumer, Vorsteher der Industriellen Betriebe, war dabei und hat sich für das Gespräch mit der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Was er dabei erfahren hat, und wie er die Zukunft des ÖV sieht, verrät er uns in diesem Interview.

Herr Baumer Sie sind mit Zürcherinnen und Zürchern ins Gespräch zum öffentlichen Verkehr der Zukunft eingestiegen. Was haben Sie dabei erlebt?

Ich durfte einige spannende Gespräche führen; Das Publikum war sehr heterogen, von ganz jungen Menschen bis zu älteren Besucherinnen und Besuchern war alles vertreten. Manche Themen hatten zwar nur am Rande mit dem ÖV zu tun, ebenso wurden aber auch viele konkrete Anliegen und Ideen geäussert. Den Kontakt mit den Interessierten habe ich sehr geschätzt.

Worin sehen Sie den Vorteil so eines Walk-ins?

Im persönlichen Gespräch lässt sich ein Thema besser vertiefen. Man kann nachfragen und gewisse Punkte gezielt erläutern – was digital nicht ganz so leicht möglich ist. Insbesondere ist es wichtig, dass wir allen Bevölkerungsschichten die Möglichkeit geben, sich zu beteiligen, auch Leuten, die nicht so online-affin sind beziehungsweise wenig Zugang zur entsprechenden Technik haben.

Was brennt den Pendlerinnen und Pendlern ganz konkret unter den Nägeln?

Wenig überraschend: Für viele waren Pünktlichkeit und Kapazität wichtige Themen. Dazu gehört auch das Thema der Umsteigefreiheit. Das ist nämlich nicht nur eine Bequemlichkeits-, sondern auch eine Geschwindigkeitsfrage. Umsteigen kostet Zeit gegenüber der direkten Fahrt. Ich habe von vielen Leuten gehört, dass der ÖV noch schneller sein dürfte. Jüngere Personen hatten das Anliegen, das Nachtnetz während der ganzen Nacht beziehungsweise auch unter der Woche nutzen zu können.

Haben Sie auch Überraschungen erlebt?

Teilweise wurden auch eher ausgefallene Vorschläge eingebracht, zum Beispiel eine Hochbahn.

Oder der Verkehr in der Luft, zum Beispiel mit fliegenden Taxis?

Das wurde am Walk-in nicht vorgeschlagen, aber derartige Ideen existieren natürlich. Ob das als Massentransportmittel taugen würde, wage ich stark zu bezweifeln, nicht nur aus finanzieller Sicht. Wir sind natürlich alle keine Propheten, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich wollen, dass wir den Verkehr auch noch auf der zweiten und dritten Ebene haben…

 

Gehen wir weg von Hochbahn und Luftverkehr – wie sieht Ihre persönliche Vision einer zukünftigen Mobilität aus?

Unabhängig davon, wie sich die Technik weiterentwickelt, werden wir in dieser wachsenden Stadt einen starken ÖV brauchen. Neben dem Fussverkehr sind Trams und Busse die platzsparendsten Verkehrsmittel. Wollen wir im Interesse der Ökologie mehr Leute gewinnen, die das Auto stehen lassen und umsteigen, braucht es attraktive Alternativen. Deshalb wird der Ausbau des ÖV ein ganz entscheidender Faktor sein, um eine steigende Menge an Personen transportieren zu können.

Haben Sie konkrete Ideen zu diesem Ausbau?

Der Hauptbahnhof stösst punkto Kapazität mit den vielen verschiedenen Tramlinien an seine Grenzen. Zusätzlich entwickeln sich viele Gebiete weiter, gerade im Bereich der Hochschulen: Der Irchel wird ausgebaut, auch am Balgrist sollen 10’000 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Bahnhof Oerlikon ist schon ausgebaut, am Stadelhofen wird das vierte Gleis gebaut, und am Flughafen entsteht das neue Zentrum namens «Circle». Meine Idee ist daher, all diese Stationen mit einer «Forschungslinie» zu verbinden.

Forschungslinie?

Was ich damit meine: Würde man diese Linie auf der einen Seite mit der Forchbahn und auf der anderen mit der Glatttalbahn verknüpfen, hätten wir vom «Circle» am Flughafen bis hinauf zur Lengg eine grosse Umfahrungslinie. Damit könnten wir einerseits den HB entlasten, und andererseits diese wachsenden Arbeits- und Forschungsgebiete miteinander verbinden.

Sehen Sie abgesehen vom klassischen Netzausbau auch andere Optimierungsmöglichkeiten und -chancen? Zum Beispiel in der Digitalisierung?

Das Leben hat sich schon in diese Richtung entwickelt: das Ticket, das man heute per Smartphone kaufen kann, die Fahrplan-App… All das sind einfache Beispiele, die aber sehr beliebt sind und die Nutzung des ÖV stark vereinfachen. In der Zukunft werden wir das noch ausbauen, etwa mit der Mobilitätsplattform, die mit verschiedenen Verkehrsmitteln einen flexiblen Reiseweg von Haustür zu Haustür anbietet.

Sehen Sie dabei auch Risiken?

Natürlich ist es wichtig, Angebote zu schaffen, welche die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden stillen. Gleichzeitig bringen neue Entwicklungen immer auch Unsicherheiten mit sich. Gerade im Bereich der Automatisierung steht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Frage nach potenziell gefährdeten Arbeitsstellen im Raum. Auf solche Fragen müssen wir Antworten haben.

Und wie lauten diese, beziehungsweise: Was ist Ihre Einschätzung dazu?

Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung am Ende nicht Jobs kostet, es wird jedoch zu Anpassungen im Profil kommen. Dieses wird inskünftig vielleicht breiter gefasst sein. Ähnliches hat man bei anderen Stufen der Industrialisierung gesehen. So hatten einst die Heimarbeiter Angst, dass die maschinell betriebenen Spinnereien sie um ihre Existenz bringen. Insgesamt bin ich überzeugt, dass das Angebot von Jobs im ÖV-Bereich zunimmt, weil auch die Wichtigkeit des ÖV weiter zunimmt.

Hat sich Ihre Wahrnehmung des öffentlichen Verkehrs seit dem Amtsantritt verändert?

Ich habe mich schon vorher mit dem ÖV auseinandergesetzt. Jetzt sehe ich noch besser dahinter, was es doch alles braucht, damit das Angebot tagtäglich in dieser Form aufrechterhalten werden kann. Und natürlich auch, welche Schwierigkeiten wegen scheinbar kleiner Auslöser entstehen können: einem Defekt an Gelenkstangen etwa, oder wenn die Fahrzeuge knapp werden. Etwas, was ich ebenfalls erleben durfte, ist das grosse Engagement der Mitarbeitenden, einen tollen Service bieten zu wollen, und die hohe Identifikation mit den VBZ.

Was der städtische ÖV braucht, ist Platz – und der ist bekanntlich begrenzt. Spüren Sie deshalb steigenden Druck?

Der ÖV hat an Bedeutung gewonnen, auch in der Politik. Die Fragestellung, wie der Verkehr ökologischer betrieben werden kann, kommt dem ÖV zu Gute. Wir müssen jedoch realistisch sein: Auch der individuelle Verkehr der Zukunft braucht seinen Platz. Nicht alles kann per Velo oder mit Tram und Bus erledigt werden. Und natürlich ist der Raum in dieser Stadt begrenzt und daraus entstehen potenziell Konflikte. Das Ziel muss sein, möglichst viele Eigentrassees für den ÖV zu gewinnen. Dabei stellt sich die Herausforderung, wie man gleichzeitig Platz für den übrigen Verkehr schafft.

Und wie geht das?

Wir brauchen Gesamtlösungen für den Verkehr, so wie es beim Rosengarten angeboten wurde, wo wir für beide Verkehrsträger eine Lösung hatten. Das ist jetzt vom Tisch. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wir auch in Zukunft den Verkehr als Gesamtes denken müssen.

Apropos Gesamtverkehr: auch die Velofahrer fordern ihren Raum.

Es ist eine Interessensabwägung. Meine Aufgabe als Vorsteher der Industriellen Betriebe ist es natürlich, sich vor allem für einen attraktiven, schnellen ÖV einzusetzen. Und da stelle ich fest: Wenn wir Velos auf Busspuren zulassen oder Tempo 30 auf Hauptachsen einsetzen, führt das zu einer Verlangsamung des ÖV und damit zu einer Reduktion der Leistungsfähigkeit. Ich setze mich sehr dafür ein, dass wir den ÖV weiterhin attraktiv halten können.

Sehen Sie auch Potenzial in der Automatisierung des Individualverkehrs?

Ich glaube, die Automatisierung bietet Chancen, aber ein ganz wichtiger Punkt dabei ist, dass automatische Fahrzeuge ebenso Platz auf der Strasse brauchen. Auch in diesem Szenario gilt, dass Busse und Trams schlicht mehr Personen pro Quadratmeter befördern können, was insbesondere in einer wachsenden Stadt zunehmend an Wichtigkeit gewinnt. Trotzdem können solche Entwicklungen durchaus als Ergänzung dienen, vielleicht auch im Zusammenhang mit dem Bedarfsverkehr, den wir jetzt mit dem Flexnetz testen – mit dem Ziel, dass wir auch in der Peripherie der Stadt Zürich einen attraktiven ÖV bieten können.

Haben Sie sich eigentlich vor Ihrer Amtszeit auch mal bei den VBZ oder beim ZVV beschwert?

Das wäre mir jetzt gerade nicht bewusst… Aber ganz unter uns, natürlich mache ich auch heute noch manchmal die Faust im Sack, wenn mir das Tram «vor der Nase wegfährt» und ich umsonst gerannt bin. Das gehört zum Alltag und ist auch nicht weiter schlimm. Heute kenne ich jedoch die Abläufe besser und habe so einen anderen Blickwinkel, das bringt auch mehr Verständnis.

Zu guter Letzt: Wie sind Sie mobil?

Ich bin de facto sehr viel und gern zu Fuss unterwegs. Für längere Distanzen in der Stadt nutze ich aber den öffentlichen Verkehr. Diese Kombination ist ideal, da muss ich mich dann auch nicht darum kümmern, einen Abstellplatz resp. einen Parkplatz für mein Verkehrsmittel zu finden.

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