Goliath setzt David unter Druck

Auch vbzonline spielt die EM 2021 durch – allerdings nicht auf dem grünen Rasen, sondern auf Strassen und Schienen: Wir lassen nämlich den ÖV der insgesamt 11 Austragungsorte gegeneinander antreten! Ein Jux? Ja, aber einer, bei dem einiges zu lernen ist. Das heutige Duell: Sevilla gegen Rom.

Eine ungewöhnliche Partie steht heute an, nachdem der Austragungsort Dublin gestrichen wurde. Das kleine Sevilla gegen das grosse Rom, David gegen Goliath. Ob es so ausgehen wird wie im Alten Testament? Man verspeise diese Dritt-Liga-Mannschaft zum Frühstück, witzelt Rom hämisch, gewissermassen «zum Aufwärmen». Sevilla kontert, Rom möge sich doch besser von Anfang an warm  anziehen.

Rom spöttelt weiter, dass Italien im Fussball ohnehin schon führe und man eigentlich gleich zum (italienisch oder auch spanischen) Wein übergehen könne. Doch Sevilla unterbricht das hämische Geplänkel mit dem Hinweis, es gehe schliesslich um den ÖV, und bläst mit dem Ausruf «Sevilla hat ein Tram!» zum Angriff. Die Stadt im andalusischen Spanien bleibt nur kurz am Ball, schon landet Rom mit dem Konter, es habe sechs Tramlinien und nicht nur deren eine, das erste Tor!

Sevilla gibt nicht auf. Vier U-Bahn-Linien seien geplant. Doch Rom ist vorbereitet: Gerade einmal eine davon sei in Sevilla in Betrieb, weil schon seit den 70er-Jahren ohne nennenswerte Erfolge an dem Projekt herumgewerkelt werde. «Eine durch und durch unorganisierte und veraltete Mannschaft» höhnt Rom. Alt sei auch die Römer U-Bahn, entgegnet Sevilla trotzig. Rom winkt ab. Die erste U-Bahn sei seit 1955 in Betrieb. Man beachte, in Betrieb, nicht im Bau! Sevilla kenne offenbar den Unterschied zwischen «alt» und «historisch» nicht. Nicht verwunderlich, wisse doch die Metro-Cento in Sevilla noch nicht einmal, ob sie eine U-Bahn oder eine Metro sein wolle. «Foul!» brüllt Sevilla, bleibt aber ungehört. Rom hechtet mit seinen drei U-Bahn-Linien von  insgesamt 60 Kilometern Länge und 74 Stationen ihr schon wieder Richtung Tor und zielt und setzt seinen Treffer ab. David ist gegen Goliath für einmal scheinbar chancenlos. 

Jetzt ist Sevilla in der Defensive und argumentiert mit dem Grund, weshalb nur eine der Linien gebaut worden ist: Man habe die Arbeiten anno 1983 einstellen müssen, weil man Schäden an historischen Bauten fürchte. Der römische Stürmer wirft sich vor Lachen auf den Rasen,  übernimmt nach dieser kleinen Einlage aber sofort wieder die Führung und rennt praktisch ungehindert Richtung Tor: Punkto historischer Bauten lasse sich Rom kein X für ein U vormachen, nur schon deswegen nicht, weil die beiden Buchstaben für jene Buslinien stehen, die Touristen zu besagten historischen Bauten bringen, nämlich X für die Eilkurse und U für die ganztägig fahrenden Busse . Ohnehin, an historischen Bauten habe Rom ja das Eine oder Andere mehr – und, wie bereits erwähnt, trotzdem sechs Tramlinien. Ein Volltreffer!

Busse, keucht Sevilla jetzt, seien ohnehin die beste Möglichkeit, sich in der Stadt zu bewegen. Es wagt einen Vorstoss: Das Verkehrsunternehmen Tussam habe eine grosse, moderne Busflotte mit rund 40 Ring- und Routen-Linien, der Fahrplan könne per Smartphone abgerufen werden.  In Rom sei die Sache mit dem Fahrplan der Busse hingegen nicht so ganz klar, man wisse ja, dass in Italien… Rom lässt sich nicht beirren. In ihrer Stadt gebe es 414 Linien, soviele, dass man sie unterteilen müsse in Urbane, Espresse, Esatte und Notturne. Der Bus komme in der Regel alle 5 Minuten, da sei ja ohnehin egal, wie exakt der Fahrplan eingehalten werde. Sprach’s und setzte zum letzten Treffer an: Man habe auch 75 Gelenk-Trolleybusse auf drei Linien mit 19.5 Kilometern Strecke. Sevilla stöhnt: Bei ihnen sässen auf dem Dach die Touristen, des schönen Wetters wegen.

Nun versucht Sevilla  es über die Brieftasche. Und endlich, knapp am Pfosten vorbei, doch immerhin: ein Treffer! Ein Euro kostet das Ticket, derweil Rom mit 1.50 zu Buche schlägt. Das Publikum tobt!

Nach diesem kurzem Erfolgserlebnis ist Sevilla bald schon wieder frustriert angesichts der Übermacht, es folgt eine hitzige Diskussion mit dem Schiedsrichter: Es werde hier mit zwei Ellen gemessen, Sevilla zähle auch nur 700’000 Einwohner, derweil Rom gegen die drei Millionen erreiche. Mit dem öffentlichen Verkehrsnetz lasse sich jeder Punkt der Stadt optimal erreichen. Auch die Römer mischen sich in die Diskussion ein und zitieren: «Es gibt nicht viele Linien innerhalb des historischen Zentrums (von Sevilla) und diese sind auch nicht wirklich effizient, sodass meistens nur ein Taxi oder zu Fuß gehen bleibt». Ein Stürmer von Sevilla lässt sich zu Bode fallen und täuscht ein Faul vor. Er wird vom Feld getragen, gewonnen ist damit nichts.

Die spanischen Fans sind in Aufruhr. Immerhin sei doch das Stadion, und das sei das Wichtigste überhaupt,  mit den Buslinien C1 und C2 erreichbar. Gar gebe es einen verstärkten Fahrplan zu den Spielen. Es hilft nichts. Sevilla ist in diesem Spiel vernichtend geschlagen. Kleinlaut meint ein Spieler, bevor er vom Platz geht: «Wir haben auch Velos…»

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