Wie kann man in diesen Tagen glücklich sein? «Die Essenz des Glücks finden wir in uns selber» – und an mindestens 80 Orten in Zürich. Ein Gespräch mit Coco Petit, Kennerin unserer Stadt und Autorin des Buchs «Glücksorte in Zürich».
So gross die Vorfreude auf die alljährlich gemeinsame Wanderung auch gewesen war, glich nun jeder Schritt einem – wenn auch kleinen – Schlag ins Wasser. Über den Berggipfeln drängten sich dunkelgraue Wolken, es hat «gschiffed wie verruckt», erinnert sich Coco Petit. Sie und ihre Mama stapften unbeirrt Richtung Rütli, als schliesslich, gegen Mittag, der Regen etwas nachliess. «Luuueeeg, da obe isch es blau!», entfuhr es freudig der Mutter. Und tatsächlich, bei genauerem Hinsehen schimmerte ein Stück heiterer Himmel durch das Gewölk, vom Boden aus wirkte er winzig, nicht grösser als ein Quadratzentimeter… Im Nachhinein waren sich die beiden Frauen einig, es sei ein grossartiger Tag gewesen.
Wozu wir diese Geschichte erzählen? Weil darin so einiges liegt, was die Essenz von Glück ausmacht. Um nichts weniger geht es nämlich in dem Gespräch, das die Schreibende mit Coco Petit in einem Café am Stadtrand führe.
Es ist ein Herbsttag Ende Oktober, ein Miesepetrus bestimmt die Witterung. Obendrein schiessen die Corona-Zahlen aktuell wieder ins Kraut, der perfekte Tag für finstere Laune also. Gilt aber nicht für Petit, die Autorin des Buchs «Glücksorte in Zürich». Sie weiss, wo der begehrte Zustand zu finden ist.
Ist sie selber denn jemand, dem Fortuna fortwährend Präsente zuwirft? «Ja, ich habe schon das Gefühl, ich bin ein Glückskind», meint sie aufgeräumt, und ihre dunklen Augen leuchten. «Vielleicht hat aber auch jede und jeder Glück, und es ist lediglich die Art, wie man etwas sieht, eine Frage der Perspektive». Dann schildert sie die eingangs erwähnte Anekdote von der Wanderung und meint: «Ich kenne kaum jemanden, der positiver denkt als ich – bis auf meine Mutter.»
80 Orte des Glücks und nicht viel weniger Varianten davon
Wir alle wissen – es gibt nicht das eine grosse Glück, sondern etliche Facetten davon. Den flüchtigen, von aussen erzeugte Erfolgsmoment, Zufall, eine tief empfundene Verbundenheit, den Genuss des Moments, innere Balance… Wovon sprechen wir also? Die Schilderung des Wandererlebnisses unserer Glücksbringerin macht deutlich: Es geht nicht darum, ob man bekommt, was man will – sondern ob man das Gute wahrnimmt und schätzt. Glück beginnt im Kopf.
Trotzdem zählt die Autorin in ihrem Buch weitere 80 Orte in Zürich auf, an denen das Wohlgefühl zu Hause ist. So viele, dass man mit Fug und Recht behaupten könnte, unsere Stadt als solches sei ein veritabler Glücksort. Die Wirkung ihrer «Ecken der Freude» will Coco Petit aber keinesfalls absolut verstanden haben: «Ich habe mir überlegt, wo ich mich in Zürich glücklich fühle und weshalb.»
Profan ausgedrückt, wird das Glück ja von Hormonen ausgelöst, Noradrenalin zum Beispiel, wenn man etwas gewagt und bewältigt hat, der Botenstoff Dopamin, oder die Endorphine beim Sport und das von Licht gespeiste Serotonin», überlegt Petit überlegt laut, und meint dann: «Ich denke, Glück erleben wir über die Sinne.» Diese Sinne anzuregen, ist denn auch das Ziel der verschiedenen Orte in ihrem Werk. «Natürlich hat jeder seine eigenen Orte, die er behalten und weitergeben soll. So möchte ich auch meine persönlichen Perspektiven mit anderen teilen und dazu einladen, diese Orte und ihre Facetten selber zu entdecken.»
Ein neuer Blinkwinkel – das sagen nicht nur Psychotherapeuten – kann gesund sein: «Einer meiner «Glücksorte» ist ein Zürcher Vitaparcours. Was gibt es besseres, als die frische, kühle Luft einzuatmen, gerade jetzt, im Herbst, mit diesen wunderschönen Farben, und sich körperlich zu betätigen? Seit ich diesen Ort für mein Buch neu erkannt habe, treibe dort einmal pro Woche Sport.»
Mit etwas Glück zur Buchautorin
Autorin eines Glücksbuches wird man übrigens – mit etwas Glück! Die Zürcherin musste nicht bei Verlagshäusern Klinken putzen. Im Gegenteil: Der Verlag, welcher Glücksorte in Städten auf der ganzen Welt zusammenträgt, hat bei der erfahrenen Stadtführerin angeklopft. «Ich hielt das Mail erst für Spam, habe den Irrtum – zum Glück! – aber gerade noch rechtzeitig erkannt», grinst sie.
Auch im Glückspiel steckt das Glück, doch Petit sagt, Lotto spiele sie sehr selten: «Ich habe auch noch nie etwas gewonnen». Dann, ernster: «Man kann das Glück nicht forcieren. Aber man darf daran glauben, dass sich etwas erreichen lässt.»
Vielleicht habe es auch mit Durchhaltewillen zu tun, und mit Geduld. Eigenschaften, die ihr selber zugutekamen, als sie – die vorher bei Zürich Tourismus im Marketing angestellt war – sich beruflich mit ihrer Firma «Zürich Tour» selbstständig machte. So wie Petit es schildert, klingt es einfach: «Ich hatte keine Erwartungen. Ich dachte einfach, ich mache ein paar Führungen, und auf einmal hatte ich so viele Anfragen, dass ich gar nicht mehr wusste, wie ich das allein bewältigen soll.» Geholfen hätten ihr schliesslich vor allem ihr persönliches Umfeld und insbesondere ihr Freund – Menschen also, die mit Rat und noch mehr Tat eingesprungen seien.
Zuhören und Lernen
Dennoch braucht es ja ein gewisses Wissen und Fertigkeiten, um Stadtführungen anzubieten? «Ich durfte damals bei Zürich Tourismus eine Ausbildung als Reiseleiterin absolvieren und hatte danach eine Zeit lang zwei Jobs beim gleichen Arbeitgeber.» Zur Ausbildung gehörte logischerweise das Fach «Geschichte», anfänglich als Basiswissen. Den Rest lehrte sie das Leben: «Wenn man beginnt, das grosse Bild zu sehen, sind alle Erfahrungen letztlich Puzzleteile, die dieses Bild schärfen. Ich lese viel, unternehme Museumsbesuche. Aber auch Gespräche, die ich mit meinen Gästen führe, bringen mich weiter.»
Nicht nur reden, sondern auch Zuhören ist also gefragt. «Ich lerne die unterschiedlichsten Menschen in unterschiedlichsten Berufen kennen und lerne von ihnen», sagt Petit. «Einmal war die Gefängnisdirektion vom Pöschwies auf einer Tour dabei.» Sie habe gerade die Geschichte des einstigen Klosters und späteren Gefängnisses, in dem heute die Stadtpolizei drin ist, erzählt. «Ich bekam dann geschildert, wie anno 1901 die Gefangenen in einem Möbelwagen über den Hügel nach Regensdorf transportiert und dort einquartiert wurden», erinnert sie sich. Ein weiteres Puzzlestück, das sie heute weitergeben kann.
«Tragt Sorge, dass ihr nicht zu Hause vereinsamt»
Sind diese Zeiten, in denen der persönliche Kontakt so arg beschnitten wird, nicht ein Killer für das persönliche Glücksgefühl? Letztlich ist der Mensch doch ein soziales Wesen. «Ich habe neulich in einem Buch des Dalai Lama gelesen, glücklich zu sein habe sehr viel mit dem Mitgefühl für andere Menschen zu tun.» Im Grunde seien wir ja privilegiert, meint die 48-jährige. Trotzdem, wie geht man mit unguten Gefühlen in diesem Winter um? «Ich glaube, dass Furcht sehr hinderlich für das Glück ist. Ich ernähre mich gesund, mache viel Sport und habe dadurch vielleicht auch weniger Angst und kann die Momente mehr geniessen. Natürlich soll man sich in der aktuellen Situation den Vorschriften entsprechend verhalten, trotzdem muss man die sozialen Kontakte weiter pflegen. Ich würde den Leuten draussen gerne sagen: ‹Tragt Sorge, dass ihr nicht zu Hause vereinsamt›.»
Letztlich ist doch aber auch eine Coco Petit sicher nicht dauerhappy. Oder hat sie ein Zaubermittel, mit dem sie schlechte Gefühle vertreibt? «Nein,», lacht sie, «ich habe wirklich auch kein Zaubermittel, auf keinen Fall». Nach kurzem Sinnieren verrät sie: «Andere Menschen vielleicht. Wer auf andere Menschen eingeht, bekommt selber in unglücklichen Tagen etwas zurück. Uns natürlich suche ich selber nach Auswegen; es ist ja nicht so, dass ich nie unglücklich bin. Gerade wenn wir von Mitgefühl sprechen, sorgt das nicht immer für positive Gefühle. Es lässt einen manchmal nicht schlafen, sich um andere zu sorgen. Dafür geben uns die guten Momente, die wir teilen, umso mehr. Ich hoffe, dass die Menschen ihren Blick für die vielen kleinen und grossen Schönheiten öffnen. Das Glück ist direkt vor unserer Nase. Manchmal sieht man es einfach nicht – wir müssen uns dessen bewusst werden und danach greifen.»
Als wir das Café am Stadtrand verlassen, ist der Himmel blau. Oder in diesem Zusammenhang präziser: Blau vor Glück.
«Glücksorte in Zürich»
Das Buch «Glücksorte in Zürich» von Reiseleiterin Coco Petit ist 2020 im Droste-Verlag erschienen und stellt 80 vielfältige Orte vor, auf denen die Autorin Momente des Glücks gefunden hat. Hier gibts mehr Infos dazu.Mehr über die Glücksorte von Coco Petit ausserdem auf der Website von Zürich Tour.